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Anna Kim mit ihrem Korea-Roman in Frankfurt
Sie wollte es wissen. Deshalb hat Anna Kim, die als Zweijährige nach Deutschland kam und in Österreich aufwuchs, recherchiert, wie Nord- und Südkorea sich entzweit haben. Deshalb schickt sie die Protagonistin ihres zweiten Romans in die südkoreanische Hauptstadt Seoul. Hanna ist auf der Suche nach ihren biologischen Eltern. In Seoul begegnet sie Yunho. Der betagte Archivar erzählt ihr von seiner Jugendfreundschaft mit Johnny und Eve, die an den politischen Verhältnissen zerbrach. Johnny berichtet von dem, was wir im Westen nicht wissen: von Massenhinrichtungen im Korea der fünfziger Jahre, von einem Tal, in dem 7000 Menschen verscharrt wurden.
Was wissen wir schon über Korea? Wer der 40 Jahre alten Autorin aus Wien im Frankfurter Literaturhaus zuhört, will auf jeden Fall mehr wissen. Kim erzählt auf 600 Seiten von Freundschaft und Liebe nach dem Zweiten Weltkrieg und im Korea-Krieg, von der Flucht ihrer drei Hauptfiguren nach Japan und vom Versuch Südkoreas, die Flüchtlinge zu repatriieren. Vor allem auf diese Zeit, also die Jahre zwischen 1959 und 1961, bezieht sich Kims Buchtitel "Die große Heimkehr" (Suhrkamp), aber auch auf die Heldin der Rahmenhandlung: Hanna spricht Koreanisch mit japanischer Intonation, sie ist in einer westlich orientierten koreanischen Familie aufgewachsen, zwischen Thomas Mann, Hegel und Jaspers, denn ihre Mutter hat Germanistik und Philosophie studiert.
Über die Geschichte ihrer eigenen Familie wisse sie nur wenig, gesteht die Autorin. Das zumindest hat sie mit Hanna gemeinsam, die von westlichen Eltern adoptiert worden ist. Kim hat gegen einige Klischees anschreiben wollen, denen sie in der westlichen Lesart koreanischer Geschichte begegnet ist. "Wie ist Nordkorea zu dem geworden, was es heute ist?", hat sie sich gefragt. "Welche Version darf in den ostasiatischen Schulbüchern stehen?" Die Autorin, die auch für ihre politischen Essays bekannt ist, wollte das Thema nicht essayistisch verarbeiten, weil sie den Roman beim Changieren zwischen Wahrheit und Lüge für die ästhetisch flexiblere Form hält. Schon der Auftakt ihres Buchs klingt feingliedrig, elastisch, wenn sie die Musik zum Gesang von Billie Holiday wie leise Tierlaute beschreibt: "mauzend, trippelnd, tapsend".
Über die amerikanische Jazzsängerin hat Kim schon immer ein Buch schreiben wollen. "Ihre Liedtexte haben etwas Doppeldeutiges." Daher passt der Soundtrack des Romans gut zur undurchsichtigen Geschichte der beiden Koreas. Und zur Figur der Tänzerin Eve Moon, die der Politik wegen unter verschiedenen Namen unterwegs ist, ihre Identitäten wechselt und von den beiden Freunden Yunho und Johnny geliebt wird. Eves Tod in Amerika löst dem alten Yunho die Zunge. Was er zu erzählen hat, kann Kim im Literaturhaus nur andeuten. So viel aber kann sie klarmachen: Es lohnt sich, der Geschichte Koreas nachzuspüren.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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