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Bizarr ist unsere Welt, immer in Bewegung, ständig in Veränderung begriffen. Und das gilt auch für die faszinierenden neuen Erzählungen von Olga Tokarczuk, der großen Raumzeitreisenden – ein Buch, das in Erstaunen setzt, alle gängigen Erwartungen unterläuft. Jede der zehn Erzählungen entfaltet sich in einem anderen Raum: Wolhynien zur Zeit der "schwedischen Sintflut", die heutige Schweiz, das ferne Asien, fiktive Orte der Imagination. Worin besteht das Gefühl, dass etwas "bizarr" sei? Wo hat es seinen Ursprung? Ist das Bizarre eine Eigenschaft der Welt oder liegt es in uns? In den unablässigen…mehr

Produktbeschreibung
Bizarr ist unsere Welt, immer in Bewegung, ständig in Veränderung begriffen. Und das gilt auch für die faszinierenden neuen Erzählungen von Olga Tokarczuk, der großen Raumzeitreisenden – ein Buch, das in Erstaunen setzt, alle gängigen Erwartungen unterläuft. Jede der zehn Erzählungen entfaltet sich in einem anderen Raum: Wolhynien zur Zeit der "schwedischen Sintflut", die heutige Schweiz, das ferne Asien, fiktive Orte der Imagination. Worin besteht das Gefühl, dass etwas "bizarr" sei? Wo hat es seinen Ursprung? Ist das Bizarre eine Eigenschaft der Welt oder liegt es in uns? In den unablässigen Rhythmuswechseln der Erzählungen verliert der Leser seine Gewissheiten. Was wird ihn auf der nächsten Seite erwarten? Olga Tokarczuk schubst uns aus der Komfortzone, lässt uns spüren, dass die Welt immer weniger zu fassen ist. Mit den Mitteln der Groteske, des schwarzen Humors, Elementen aus den Genres Fantasy und Horror führt sie uns vor Augen, dass in der Wirklichkeit, wie wir sie zu kennen glauben, nichts ist, was es scheint.
Autorenporträt
OLGA TOKARCZUK wurde 1962 im polnischen Sulechów geboren, studierte Psychologie in Warschau und lebt heute in Breslau. Sie zählt zu den bedeutendsten europäischen Autorinnen der Gegenwart, ihr Werk wurde in 37 Sprachen übersetzt. 2019 wurde Tokarczuk mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Für Die Jakobsbücher wurde sie außerdem 2015 (zum zweiten Mal in ihrer Laufbahn) mit dem wichtigsten polnischen Literaturpreis, dem Nike-Preis, geehrt und 2018 mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis. Im selben Jahr gewann sie den Man Booker International Prize für Unrast, für den sie auch 2019 wieder nominiert war: Ihr Roman Gesang der Fledermäuse stand auf der Shortlist. Zum Schreiben zieht Olga Tokarczuk sich in ein abgeschiedenes Berghäuschen an der polnisch-tschechischen Grenze zurück. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Roman.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Jan Opielka spürt in jeder der hier versammelten zehn Kurzerzählungen ein "delikates inneres Beben". Ganz gleich, ob ihm Tokarczuk von Ängsten aus Kindheitstagen, dem Geheimnis sieben alter Nonnen oder Reinkarnation erzählt - stets erkennt der Kritiker das Surreale, magisch Realistische, mitunter "Metaphysische" in den Geschichten der belesenen Psychologin. Darüber hinaus lernt Opielka von der Autorin, das Denken von der "geistigen", aber auch "zivilisatorischen Peripherie" her auszuloten. Lothar Quinkensteins Übersetzung dieser gekonnt und rätselhaft zwischen Realismus und Fantasie, Absurdität und Tragik changierenden Texte erscheint dem Kritiker angemessen einfühlsam.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2020

Ein anderer Mensch existiert, weil er dich anschaut

Grenzüberschreitung in enzyklopädischer Leidenschaft als Lebensform hat ihr das Nobelpreiskomitee bescheinigt: Im Erzählband "Die grünen Kinder" versammelt Olga Tokarczuk wahrlich bizarre Geschichten.

Von Rose-Maria Gropp

Es ist Olga Tokarczuks phänomenales Talent, unglaubliche Geschehnisse aufzuzeichnen, als wären sie nichts anderes als Berichte aus einer Welt, die doch jeder und jedem von uns schon einmal, von der Historie her, bekannt war - oder gerade eben so, an einem Zipfel der Realität, bekannt ist. Und - noch aufregender - bekannt gewesen sein wird: als nur folgerichtige Fortsetzung der Gegenwart. Dass ein solcher Erfahrungshorizont dann eher ins Dystopische tendiert als in die Utopie einer heilen Zukunft für das Humanum, darf als ausgemacht gelten.

Jeder Anfang der zehn Erzählungen im jüngsten auf Deutsch erschienenen Band der polnischen Literaturnobelpreisträgerin klingt wie ein leises Versprechen, dass es sich um eine "bizarre Geschichte" handeln wird. Gleich die erste, nur vier Seiten lange Story beginnt so: "Während eines langen Nachtflugs über den Ozean erzählte der Mann neben mir von den Ängsten, die er als Kind gehabt hatte." Und die letzte, längste, großartige Geschichte, "Der Kalender der menschlichen Feste", behauptet eingangs: "Niemand kennt den Körper des Monodikos besser als Ilon der Masseur. Ilon ist ein Meister. Ilon ist unersetzlich." Man wird erfahren, ob das so ist in einer von Rost durchsetzten Welt nach der Verrottung allen Plastiks; und dabei die befremdlichen, zugleich erschreckend vertrauten Riten um jenes Wesen kennenlernen, das Monodikos genannt wird.

Tokarczuk beherrscht meisterlich den Aufbau von Spannungsbögen, die sie perfekt durchinszeniert. Ein von ihr favorisierter, an sich nicht neuer Trick ist es, irritierende Zustände früh einzuflechten, deren Ursache - von Sinn, gar höherer Vernunft ist da lieber nicht zu sprechen - erst später nachgeliefert wird. Die seltsamen Begebenheiten haben dann aber längst ihre Dynamik entfaltet; man ist gefangen in solcher Unausweichlichkeit. Sicher ist nur eines: Immer werden es schließlich Begegnungen der handelnden Personen mit sich selbst sein, auf die eine oder andere Weise, scharf oder im Vagen bleibend, je nachdem, wie hell oder opak der Spiegel ist, den die Autorin für sie bereithält. So steht am Schluss der Erzählung "Der Passagier": ",Der Mensch, den du siehst, existiert nicht, weil du ihn siehst, sondern weil er es ist, der dich anschaut', sagte der Mann am Ende seiner Geschichte." Das passt wie ein Geleitwort zu den Abenteuern auf der Reise ins Innere dieser mysteriösen Storys. Und - mit nur einer Ausnahme, die den ganz harmlosen Titel "Ein Besuch" trägt, um mit der Idee perfekter Replikanten zu spielen - der Mensch bleibt im Zentrum, er trinkt, isst, fühlt; daran hat sich nichts geändert.

Die Autorin hat den Menschen keineswegs aufgegeben als Modell, sie setzt ihn bloß sehr speziellen Situationen aus, sei es zurück im siebzehnten Jahrhundert, sei es in Polen und der Schweiz von heute oder in einer beunruhigenden, nicht allzu fernen Zukunft. Dafür setzt Olga Tokarczuk alle erdenklichen Mittel ein, in einer höchst individuellen Melange aus Wirklichkeitsanteilen und Mythologien, Seelenintrospektion und Träumen. Ihre Phantasie ist ein reiches Reservoir, groß genug, um in fast jeder Geschichte einen eigenen Kosmos, sei er noch so beschränkt, zu erschaffen und ihn mit allem synästhetischen Zubehör auszustatten. Manche ihrer Wurzeln hat sie sicher im Magischen Realismus, kontaminiert diese Tradition aber mit Effekten, wie man sie im Surrealismus samt seiner Hingabe an die Bedeutung des Unbewussten findet, und mit Anklängen an die Fantasy Fiction, wo sie noch gar nie gesehene Regionen sich öffnen lässt. Getragen wird das alles von einer wunderbar geschmeidigen Sprache. Man folgt ihr - und man will ihr gern glauben, wenn sie in der Titelgeschichte dem "grünen Mädchen" einen verfilzten "Weichselzopf" gibt, eine Plica polonica, die schlimme Schmerzen lindert, selbst die eines polnischen Königs, wenn das Kind mit ihren Locken darüberstreicht.

Als Olga Tokarczuk, geboren 1962 in Sulechów im Westen von Polen, vor einem Jahr in Stockholm den Literaturnobelpreis für 2018 überreicht bekam, der von der skandalgeschüttelten Schwedischen Akademie zunächst ausgesetzt worden war, machte die Begründung ihre "narrative Einbildungskraft, mit der sie die Grenzüberschreitung in enzyklopädischer Leidenschaft als Lebensform darstellt", geltend. Das kann der in Polen regierenden PiS-Partei nicht wirklich gefallen haben, der sie in ihren Werken obstinat ihre Form eines wilden Denkens entgegensetzt, das sich keine neokonservative Botmäßigkeit aufzwingen lässt. Da war Tokarczuk aber außerdem auch schon eine in ihrer Heimat und darüber hinaus längst vielgelesene und -gerühmte Schriftstellerin, die vor allem durch ihren Mammutroman "Die Jakobsbücher" bekanntgeworden ist.

Es wäre wirklich ein gemeiner Spoiler, hier besonders schöne Details aus den "Bizarren Geschichten" vorzustellen: für alle nämlich, die sie noch lesen wollen, und davon wünscht man diesem Buch sehr viele. Sagen lässt sich freilich etwas über Olga Tokarczuks schillernde Position als Autorin, also ihren virtuosen Umgang mit der jeweiligen Erzählinstanz. Nie weiß man so recht, ob diese Letztere nur vorgibt, nicht perfekt unterrichtet zu sein, nicht alles aufklären zu können, den Ausgang nicht zu kennen - oder eben doch allwissend ist, aber auch zu schweigen weiß. Das ist ein sehr spezieller zusätzlicher Reiz. Dafür meint man stets, nicht nur bei den drei Ich-Erzählerinnen, eine weibliche Stimme erzählen zu hören, um womöglich auch in besonders sensiblen Momenten heimliche Sympathien zu verteilen: wenn es da etwa um eine Mutter geht, wie in der sehr schwarzen Story "Eingemachtes", deren Sohn gar nicht nach ihrem Geschmack gediehen ist.

In Polen ist der Band mit diesen "Bizarren Geschichten" schon 2018 erschienen, also im Jahr vor der Zuerkennung des Literaturnobelpreises. Jedenfalls hat Olga Tokarczuk, die Frau mit den eindrucksvollen Dreadlocks, in diesen atemraubenden, verqueren, manchmal witzigen, doch niemals inhumanen Preziosen ihrer Fabulierlust freien Lauf gelassen. In Polen ist gerade ihr neues Buch herausgekommen. Bis das zu uns kommt, wird es noch etwas dauern. Mit Lothar Quinkenstein stünde ein inspirierter Übersetzer bereit. Sein Können lässt die Geschichten aus "Die grünen Kinder" auch auf Deutsch strahlen. Gelesen zur guten Nacht, garantieren sie jede Menge Träume.

Olga Tokarczuk: "Die grünen Kinder".

Bizarre Geschichten.

Aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein.

Kampa Verlag, Zürich 2020. 240 S., geb., 22,- [Euro].

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