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Im Wahljahr 2013 entflammte in Deutschland eine heftige Debatte über Pädophilie und Pädosexualität. Im Zentrum der intensiven wie plakativen Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema stand die grüne Partei, in der in den 1980er Jahren die Forderung nach einer Legalisierung von pädosexuellen Kontakten nicht nur debattiert, sondern auch verschiedentlich beschlossen wurde. Die aus heutiger politischer Sicht unverständliche Forderung war indes weder nur basisdemokratisches Kuriosum noch bloßer Zufall. Vielmehr findet sich bereits in den 1970er Jahren ein vielfältiger gesellschaftlicher Diskurs…mehr

Produktbeschreibung
Im Wahljahr 2013 entflammte in Deutschland eine heftige Debatte über Pädophilie und Pädosexualität. Im Zentrum der intensiven wie plakativen Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema stand die grüne Partei, in der in den 1980er Jahren die Forderung nach einer Legalisierung von pädosexuellen Kontakten nicht nur debattiert, sondern auch verschiedentlich beschlossen wurde. Die aus heutiger politischer Sicht unverständliche Forderung war indes weder nur basisdemokratisches Kuriosum noch bloßer Zufall. Vielmehr findet sich bereits in den 1970er Jahren ein vielfältiger gesellschaftlicher Diskurs über die eine Enttabuisierung von Pädophilie wie die Legalisierung von Pädosexualität. Dieser wurzelte in verschiedenen liberal-emanzipatorischen Diskussionen, unter anderem in den Bereichen Recht, Pädagogik und Sexualwissenschaft und war anknüpfungsfähig in verschiedene gesellschaftliche und politische Bereiche. Im vorliegenden Buch wird die Emergenz der Diskussion über Pädophilie und Pädosexualität analysiert und deren Niederschlag in der grünen Debatte und Programmatik seziert. Ebenso wird der gesellschaftliche Umgang wie die Verdrängung der Forderung nach einer Legalisierung von Pädosexualität beleuchtet.

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Autorenporträt
Dr. Katharina Trittel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Prof. Dr. Franz Walter war bis 2017 Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Er ist einer der profiliertesten deutschen Parteienforscher.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2015

Freiheit, die sie meinten
Eine Sittengeschichte: Die Grünen und die Pädophilie

"Eine bundesdeutsche Geschichte" haben die Herausgeber Franz Walter, Stephan Klecha und Alexander Hensel ihre Studie zur Akzeptanz pädophiler Forderungen in der Gründungszeit der Grünen Partei genannt. Und tatsächlich spannt sich der Rahmen der Untersuchung weit über die Anfänge der Grünen hinaus.

Walter, der von der Grünen-Parteiführung eigens mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Sachverhalts betraut worden war, hat kein bagatellisierendes Auftragsgutachten erstellt, sondern gemeinsam mit den Mitarbeitern des Göttinger Instituts für Demokratieforschung eine politische Sozialstudie der siebziger und achtziger Jahre verfasst. Die Grünen hatten die Untersuchung veranlasst, nachdem sie sich im beginnenden Bundestagswahlkampf des Jahres 2013 unversehens anhaltenden Fragen danach ausgesetzt sahen, inwieweit sie in der Gründungszeit ihrer Partei in den achtziger Jahren Forderungen von Päderasten nach Straffreiheit für sexuelle Handlungen mit Kindern in das grüne Parteiprogramm aufgenommen hatten.

Walter und seine Mitarbeiter haben aus diesem Auftrag eine Sittengeschichte der Emanzipationsjahre der "alten" oder westdeutschen Bundesrepublik gemacht. Sie beginnen mit der Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum anfangs der achtziger Jahre diese pädophilen Positionen "mitten durch die Partei" der Grünen gingen, mehr als ein Jahrzehnt früher und nehmen die Befreiungstatbestände in den Blick, welche die Achtundsechziger als ihr stolzes Erbe reklamieren. An den beiden naheliegenden Beispielen - Sexualität und Pädagogik - führen die Autoren vor, wie die Rebellion gegen alte Unfreiheiten durch ihren absoluten Anspruch neue Gefolgschaftszwänge erzeugte.

Sie zeichnen nach, wie in den sechziger und vor allem den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die sexuelle Befreiung aus autoritären Moralvorstellungen, aber auch antiautoritäre, bald mit dem Schlagwort "antipädagogisch" versehenen Erziehungsbilder Anhänger und Einfluss gewannen. Die Ironie steckt in den Absolutheitsansprüchen, welche die Propheten der diversen Freiheiten damals verlangten und derentwegen sie selbst wiederum zu doktrinären und autoritären Ideologen wurden, freilich im Namen des Gegenteils. Die radikalen Freiheitsprinzipien seien bald in einem "Ich-Liberalismus geronnen", stellen Katharina Trittel und Jöran Klatt fest, die in der Studie einen gründlichen Blick auf die Pädagogik in den Reformjahren werfen.

Diejenigen, die "antraten, Ideologiekritik zu üben", seien bald "ihrer eigenen, nicht weniger doktrinären Ideologie" aufgesessen. Für Walter ist es folgerichtig, dass eine politische Forderung wie die nach der Straffreiheit pädophiler Handlungen ein Jahrzehnt später bei den Grünen landete: Denn alles, was sich im libertären Teil des nachgewachsenen bundesdeutschen Bürgertums seit Mitte der sechziger Jahre an Vorstellungen, Initiativen, Projekten, Komitees verbreitet hatte, floss in die Partei der Grünen ein. Ihnen sei damals die "erfahrungsgemäß schwierige Aufgabe" zugefallen, "den ungehorsamen, aus dem Komment ausgescherten, zu Krawallen neigenden Töchtern und Söhnen des Bürgertums eine neue Heimat zu geben und sie im Anschluss zu bändigen".

Stephan Klecha identifiziert in seinem Beitrag zur Studie vier "Diskurse" der Emanzipationsbewegung, welche die Grünen anfällig machten für die Forderungen der Pädophilen. Neben der Befreiung der Sexualität und der Pädagogik hätten dazu die Minderheitenaffinität der neuen politischen Formation gezählt, die ja die Summe vieler Minderheiten bildete, sowie eine "alternative Wissenschaftsgläubigkeit" - die antipädagogischen Vorstellungen folgte. Als Mentoren der pädophilen Forderungen macht Klecha vor allem die Gruppierung der Schwulen bei den Grünen - die gegen die eigene sexuelle Diskriminierung kämpfte - sowie die Verfechter von "Kinderrechten" aus, hinter denen sich zu einem gewissen Teil die Pädophilen selbst verbargen.

Die Bewertung der pädophilen Forderungen wandelte sich im Lauf der achtziger Jahre: Zum einen verloren sie innerhalb der schwulenpolitischen Arbeitsgruppen bei den Grünen an Einfluss, zum anderen nahm die Sexualitätsdebatte eine dramatische Wende, weil die Begriffe sexueller Freiheit und Selbstbestimmung nun mit einem Mal von Feministinnen neu definiert - und gegen männliche Gewalt abgegrenzt wurden.

Die weibliche Gegenwehr gegen männlichen "Ich-Liberalismus" erkannte die Kinder zweifelsfrei als Opfer maskuliner Macht. Die Studie erwähnt dieses Faktum. Doch eine geschlechtsspezifische Darstellung der Emanzipationswellen seit den sechziger Jahren kann sie nicht liefern. Hier lohnen weitere Forschungen.

JOHANNES LEITHÄUSER

"Die Grünen und die Pädosexualität". Eine bundesdeutsche Geschichte. Hrsg. von Franz Walter, Stephan Klecha, Alexander Hensel. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2015. 303 S., geb., 39,99 [Euro].

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