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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Zwischen Adenauer und Celan: Helmut Böttiger stellt im Frankfurter Literaturhaus sein Buch über die Gruppe 47 vor
Taktgefühl und Empathie waren ihm offenbar fremd. Er lese wie Goebbels, sagte Hans Werner Richter 1952 über den pathetischen Auftritt Paul Celans vor der Gruppe 47 in Niendorf. In einem Tagebucheintrag von 1970 hingegen versuchte der Spiritus Rector der Autorengruppe den Lyriker jüdischer Herkunft zu vereinnahmen. Erst durch die Gruppe 47 sei Celan bekannt geworden, doch werde dies nie öffentlich erwähnt, monierte Richter. Bei der legendären Lesung hatten ihn Celans Lyrik und vor allem sein Vortragsgestus an Priesterpoeten wie Stefan George erinnert.
"So verschieden sind die antifaschistischen Welten, die hier aufeinanderprallten", resümierte der Literaturkritiker und Essayist Helmut Böttiger, der im Frankfurter Literaturhaus nun sein Buch "Die Gruppe 47 - Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb" vorstellte, im Gespräch mit Richard Kämmerlings, Literaturredakteur der Tageszeitung "Die Welt". Nicht nur Kämmerlings hat "viel gelernt" durch das Buch, das für den Preis der diesjährigen Leipziger Buchmesse nominiert ist, auch die Besucher im gut gefüllten Lesekabinett des Literaturhauses zeigten sich erfreut über den informationsgesättigten Abend.
Zunächst war eine recht unbekannte Autorin kennenzulernen. In seinem "Vorspiel - Die Hex' vom Bannwaldsee" stellte Böttiger die exzentrische Künstlerin und Autorin Ilse Schneider-Lengyel vor, die Richter und seinen Mannen am 9. September 1947 für ihre erste Zusammenkunft das Quartier bereitete: in ihrem Elternhaus im Schongau nahe Füssen. Damals, zur Stunde null, waren die Autoren noch bereit, auf einem Heuboden zu schlafen. Richter habe immer wieder abgelegene Orte in der Provinz für die Tagungen der Gruppe ausgesucht, sagte Böttiger, zum Beispiel den Gasthof "Adler" im allgäuischen Großholzleute bei Isny, wo Günter Grass im Oktober 1958 seine "Blechtrommel" vorstellte. Erst damals wurde die Gruppe 47 schlagartig bekannt. Zuvor waren religiös geprägte Autoren wie Rudolf Alexander Schröder, Werner Bergengruen und Gertrud von le Fort tonangebend in der deutschen Literatur der Adenauerzeit. "Nur die Gruppe 47 trat in Opposition zum Adenauerstaat", sagte Böttiger.
Für den wechselnden Zeitgeist brachte er jedoch Verständnis auf. Er habe mit seinem Buch keinerlei Ehrenrettung der Gruppe im Sinn gehabt, die wegen ihrer Zurückhaltung gegenüber Exilautoren immer wieder kritisiert worden sei. Auch habe Richter nicht absehen können, wie weit sich die jüngeren Autoren von seinem Realismus-Begriff entfernen würden. Nicht nur Celan mit seinen Surrealismen lag jenseits seines Horizonts, auch Peter Weiss, Alexander Kluge und Hubert Fichte setzten sich mit ihren experimentellen Formen über den Realismus der Generation von Grass und Böll hinweg. Jedenfalls sei die Gruppe 47 nicht so monolithisch gewesen, wie sie heute im Rückblick oft wirke.
Als sich in den sechziger Jahren mehr und mehr Verleger und Kritiker zu den Sitzungen einstellten, gaben die Autoren ihre Zurückhaltung auf. Ein Literaturbetrieb entstand, der auch den Kritikern ein Auskommen sicherte - "ein deutsches Sonderphänomen", sagte Böttiger. Allerdings sagte er seiner Spezies nun den baldigen Untergang voraus. So pessimistisch wollte Kämmerlings das nicht sehen. Für den Gasthof "Adler" wird aber schon ein Investor gesucht.
CLAUDIA SCHÜLKE
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