Die Gruppe 47 hat die Aufbaujahre der Bundesrepublik begleitet und geprägt. 1947 gründete Hans Werner Richter diesen losen, aber einflussreichen Verbund von Schriftstellern und Kritikern. Über zwei Jahrzehnte lang verfolgte die Gruppe ihr hochgestecktes Ziel: eine radikale Erneuerung der Literatur und des politisch-gesellschaftlichen Lebens. Nahezu alle deutschsprachigen Autoren von Rang nahmen an einzelnen Treffen der Gruppe teil - von Ingeborg Bachmann und Paul Celan über Heinrich Böll, Martin Walser und Günter Grass bis zu Walter Jens und Marcel Reich-Ranicki. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Diese Rasselbande
Börsentreffen: Heinz Ludwig Arnold über die "Gruppe 47"
Liest man heute Namen von Autoren aus der Frühzeit der "Gruppe 47", die sich als realistische Erzähler verstanden, so ist man erstaunt über das Ausmaß ihres Vergessenseins. Nicht einmal die dickleibigste Literaturgeschichte der Nachkriegszeit verzeichnet ihre Namen. Aber darf man die Verschollenen zum Maßstab nehmen? Das zu überprüfen, bietet Heinz Ludwig Arnolds Taschenbuch in der Reihe "rowohlts monographien" neue Gelegenheit. Sammelbände und Einzeluntersuchungen zur "Gruppe 47" gibt es genug; Arnold selbst ist dabei mehrfach vertreten. Was aber macht dieses Bändchen so lesenswert? Arnold hat sich entschieden, die Geschichte des Gruppenbetriebs in den beiden Jahrzehnten von 1947 bis 1967 nicht trocken zu referieren, sondern zu erzählen.
Was Arnold erzählt, ist die Geschichte vom Aufstieg, Triumph und Fall eines den Tagungsstandort jährlich (manchmal auch halbjährlich) wechselnden Autorenensembles mit einem Stamm- und einem wachsenden Debütantenpersonal. Sein Leiter verstand es, der Literatur eine Bühne zu schaffen, war aber selbst ein mittelmäßiger Schriftsteller. Aus der Not und der Orientierungssuche der Nachkriegsjahre geboren und zunächst ein Bund von Freunden und Ähnlichgesinnten, entwickelte sich die "Gruppe 47" zum Sammelpunkt von Schriftstellern der durch Krieg und Gefangenschaft gezeichneten Generation, schwoll an und zog bald einen Troß von Verlegern, Lektoren und Journalisten hinter sich her. So entstand eine Literaturbörse. Über die Einladungen entschied allein der theorie- und programmfeindliche Moderator Hans Werner Richter. Die Aufblähung der Gruppe, die zunehmenden Generationsunterschiede und die wachsende Rolle der hauptamtlichen Literaturkritiker beschworen Polarisierungen herauf. Richter fürchtete den Zerfall; er schrieb im Herbst 1961 an Marcel Reich-Ranicki: "Zwei Dinge sollten abgebaut werden: das Massenmeeting und die Fachkritik. Wir wollen wieder zurück zur Autorenkritik ... Der Wunsch nach einer Rückentwicklung besteht fast allgemein." Aber dieser Wunsch nach Rückkehr zur früheren "Autorenwerkstatt" konnte kein wirkliches retardierendes Moment mehr sein, hätte auch die Überalterung der Gruppe sichtbarer gemacht. Der Absturz war unaufhaltsam; bekanntlich raubte Peter Handke 1966 in Princeton der Gruppe mit seinem Vorwurf der "Beschreibungsimpotenz" ihre literarische Autorität. Der Todesstoß folgte 1967 in der Pulvermühle, als eine linke Erlanger Studentengruppe das Hohnwort "Papiertiger" skandierte. Spätere Jubiläumstreffen (1972 in Berlin, 1977 in Saulgau und 1990 auf einem Schloß bei Prag) konnten nur noch nostalgische Epiloge sein.
So erzählt Arnold die Geschichte der Gruppe wie ein Drama, dessen Held an sich verschärfenden inneren Widersprüchen scheitert. Aber es gab auch Konflikte mit einer literarischen Außen- und Gegenwelt. Keinen Talisman legte Richter der Gruppe in die Wiege mit seinem Vorbehalt gegen zurückkehrende Emigranten. Walter Mehring reiste nach seiner Lesung wütend ab, Hermann Kesten erschien zwar zweimal, ging aber bald auf polemische Distanz. Zwei Äußerungen belegen, wie sich das gespannte Verhältnis zwischen Gruppen- und Exilautoren zuspitzte. Richter bevorzugte "die auf die Aussage zielende Sprache der ,Landser', die Reduzierung der Sprache auf das Notwendige". Thomas Mann schrieb 1954: "Ich kenne die Unverschämtheit der sogenannten jungen Generation ... Sie hängt wohl auch mit der lächerlichen Wirtschaftsblüte der amerikanischen Lieblingskolonie ,Westdeutschland' zusammen." Lobredner des Wirtschaftswunders waren die Autoren der Gruppe nun gerade nicht. Aber mit ihrem eine Monopolstellung klug nutzenden Selbstbewußtsein mag die Gruppe den auf Eigenprofil bedachten Großbürger und weltbekannten Schriftsteller wohl zu Urteilen gereizt haben wie: "diese Rasselbande". Die Monopolstellung übrigens war kaum berechtigt, wenn man bedenkt, wie viele namhafte Autoren nicht willkommen waren oder absagten: Namen wie Frisch und Dürrenmatt, Koeppen und Arno Schmidt mögen hier genügen.
Heinz Ludwig Arnold frischt keine Legende auf, erliegt nicht dem, was Hermann Kinder kritisch den "Mythos von der Gruppe 47" genannt hat, weist aber auch Klaus Brieglebs These von einer antisemitischen Verschwörung innerhalb der Gruppe in ihre Schranken. Er hält Schriftsteller grundsätzlich nicht für "die besseren Menschen" und verlangt ihnen keine Entdeckungen ab, die sich erst späteren historischen Einsichten verdanken. Die "Gruppe 47" profitierte, auch in ihrer Kritik am Staat, von den demokratischen Freiheiten der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz und von der wirtschaftlichen Gunst der Stunde. Und bedürfte die "Gruppe 47" noch irgendeiner Rechtfertigung - mit Heinrich Böll und Günter Grass sind zwei Nobelpreisträger der Literatur aus ihr hervorgegangen. Aber auch ohne den höchsten Lorbeer kann sich die Reihe ihrer Preisträger - beispielsweise von Günter Eich über Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann, Martin Walser und Johannes Bobrowski zu Jürgen Becker - durchaus sehen lassen.
WALTER HINCK
Heinz Ludwig Arnold: "Die Gruppe 47". Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 160 S., br., zahlreiche Abb., 8,50 [Euro].
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Börsentreffen: Heinz Ludwig Arnold über die "Gruppe 47"
Liest man heute Namen von Autoren aus der Frühzeit der "Gruppe 47", die sich als realistische Erzähler verstanden, so ist man erstaunt über das Ausmaß ihres Vergessenseins. Nicht einmal die dickleibigste Literaturgeschichte der Nachkriegszeit verzeichnet ihre Namen. Aber darf man die Verschollenen zum Maßstab nehmen? Das zu überprüfen, bietet Heinz Ludwig Arnolds Taschenbuch in der Reihe "rowohlts monographien" neue Gelegenheit. Sammelbände und Einzeluntersuchungen zur "Gruppe 47" gibt es genug; Arnold selbst ist dabei mehrfach vertreten. Was aber macht dieses Bändchen so lesenswert? Arnold hat sich entschieden, die Geschichte des Gruppenbetriebs in den beiden Jahrzehnten von 1947 bis 1967 nicht trocken zu referieren, sondern zu erzählen.
Was Arnold erzählt, ist die Geschichte vom Aufstieg, Triumph und Fall eines den Tagungsstandort jährlich (manchmal auch halbjährlich) wechselnden Autorenensembles mit einem Stamm- und einem wachsenden Debütantenpersonal. Sein Leiter verstand es, der Literatur eine Bühne zu schaffen, war aber selbst ein mittelmäßiger Schriftsteller. Aus der Not und der Orientierungssuche der Nachkriegsjahre geboren und zunächst ein Bund von Freunden und Ähnlichgesinnten, entwickelte sich die "Gruppe 47" zum Sammelpunkt von Schriftstellern der durch Krieg und Gefangenschaft gezeichneten Generation, schwoll an und zog bald einen Troß von Verlegern, Lektoren und Journalisten hinter sich her. So entstand eine Literaturbörse. Über die Einladungen entschied allein der theorie- und programmfeindliche Moderator Hans Werner Richter. Die Aufblähung der Gruppe, die zunehmenden Generationsunterschiede und die wachsende Rolle der hauptamtlichen Literaturkritiker beschworen Polarisierungen herauf. Richter fürchtete den Zerfall; er schrieb im Herbst 1961 an Marcel Reich-Ranicki: "Zwei Dinge sollten abgebaut werden: das Massenmeeting und die Fachkritik. Wir wollen wieder zurück zur Autorenkritik ... Der Wunsch nach einer Rückentwicklung besteht fast allgemein." Aber dieser Wunsch nach Rückkehr zur früheren "Autorenwerkstatt" konnte kein wirkliches retardierendes Moment mehr sein, hätte auch die Überalterung der Gruppe sichtbarer gemacht. Der Absturz war unaufhaltsam; bekanntlich raubte Peter Handke 1966 in Princeton der Gruppe mit seinem Vorwurf der "Beschreibungsimpotenz" ihre literarische Autorität. Der Todesstoß folgte 1967 in der Pulvermühle, als eine linke Erlanger Studentengruppe das Hohnwort "Papiertiger" skandierte. Spätere Jubiläumstreffen (1972 in Berlin, 1977 in Saulgau und 1990 auf einem Schloß bei Prag) konnten nur noch nostalgische Epiloge sein.
So erzählt Arnold die Geschichte der Gruppe wie ein Drama, dessen Held an sich verschärfenden inneren Widersprüchen scheitert. Aber es gab auch Konflikte mit einer literarischen Außen- und Gegenwelt. Keinen Talisman legte Richter der Gruppe in die Wiege mit seinem Vorbehalt gegen zurückkehrende Emigranten. Walter Mehring reiste nach seiner Lesung wütend ab, Hermann Kesten erschien zwar zweimal, ging aber bald auf polemische Distanz. Zwei Äußerungen belegen, wie sich das gespannte Verhältnis zwischen Gruppen- und Exilautoren zuspitzte. Richter bevorzugte "die auf die Aussage zielende Sprache der ,Landser', die Reduzierung der Sprache auf das Notwendige". Thomas Mann schrieb 1954: "Ich kenne die Unverschämtheit der sogenannten jungen Generation ... Sie hängt wohl auch mit der lächerlichen Wirtschaftsblüte der amerikanischen Lieblingskolonie ,Westdeutschland' zusammen." Lobredner des Wirtschaftswunders waren die Autoren der Gruppe nun gerade nicht. Aber mit ihrem eine Monopolstellung klug nutzenden Selbstbewußtsein mag die Gruppe den auf Eigenprofil bedachten Großbürger und weltbekannten Schriftsteller wohl zu Urteilen gereizt haben wie: "diese Rasselbande". Die Monopolstellung übrigens war kaum berechtigt, wenn man bedenkt, wie viele namhafte Autoren nicht willkommen waren oder absagten: Namen wie Frisch und Dürrenmatt, Koeppen und Arno Schmidt mögen hier genügen.
Heinz Ludwig Arnold frischt keine Legende auf, erliegt nicht dem, was Hermann Kinder kritisch den "Mythos von der Gruppe 47" genannt hat, weist aber auch Klaus Brieglebs These von einer antisemitischen Verschwörung innerhalb der Gruppe in ihre Schranken. Er hält Schriftsteller grundsätzlich nicht für "die besseren Menschen" und verlangt ihnen keine Entdeckungen ab, die sich erst späteren historischen Einsichten verdanken. Die "Gruppe 47" profitierte, auch in ihrer Kritik am Staat, von den demokratischen Freiheiten der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz und von der wirtschaftlichen Gunst der Stunde. Und bedürfte die "Gruppe 47" noch irgendeiner Rechtfertigung - mit Heinrich Böll und Günter Grass sind zwei Nobelpreisträger der Literatur aus ihr hervorgegangen. Aber auch ohne den höchsten Lorbeer kann sich die Reihe ihrer Preisträger - beispielsweise von Günter Eich über Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann, Martin Walser und Johannes Bobrowski zu Jürgen Becker - durchaus sehen lassen.
WALTER HINCK
Heinz Ludwig Arnold: "Die Gruppe 47". Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 160 S., br., zahlreiche Abb., 8,50 [Euro].
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