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Überlegungen zu einer demokratischen Revolution - das aktuelle Buch eines der international renommiertesten Forscher zur Demokratiegeschichte und zu aktuellen Fragen der sozialen Gerechtigkeit Die meisten politischen Systeme der westlichen Welt gelten als demokratisch - legitimiert durch freie Wahlen und einen Rechtsstaat, der sich zu den individuellen Freiheitsrechten bekennt und diese schützt. Laut Rosanvallon führen diese Legitimationsprinzipien zu einer Vorherrschaft der Exekutive: "Unsere politischen Systeme können als demokratisch bezeichnet werden, doch demokratisch regiert werden wir…mehr

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Produktbeschreibung
Überlegungen zu einer demokratischen Revolution - das aktuelle Buch eines der international renommiertesten Forscher zur Demokratiegeschichte und zu aktuellen Fragen der sozialen Gerechtigkeit Die meisten politischen Systeme der westlichen Welt gelten als demokratisch - legitimiert durch freie Wahlen und einen Rechtsstaat, der sich zu den individuellen Freiheitsrechten bekennt und diese schützt. Laut Rosanvallon führen diese Legitimationsprinzipien zu einer Vorherrschaft der Exekutive: "Unsere politischen Systeme können als demokratisch bezeichnet werden, doch demokratisch regiert werden wir nicht." Die demokratische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger reduziert sich auf die Wahl von Repräsentanten und Regierenden, d. h. auf ein simples Verfahren zur Beglaubigung von Mächtigen und zur Bestätigung von allgemeinen politischen Zielsetzungen. Diese Formen von Genehmigungsdemokratien führen zu sozialen Verwerfungen und können im schlimmsten Fall sogar diktatorische Züge aufweisen (wie z. B. in Weißrussland). Auf der Grundlage demokratiegeschichtlicher Entwicklungen entwirft Rosanvallon das Modell einer Betätigungsdemokratie als Garant einer guten Regierung. Eine Betätigungsdemokratie verkörpert die positive Seite des demokratischen Universalismus und ist der Schlüssel zum demokratischen Fortschritt. Voraussetzung ist, dass nicht nur die Exekutive, sondern auch Behörden, verschiedene Ebenen der Justiz und der gesamte öffentliche Dienst Umwandlungsprozesse vollziehen. Rosanvallon fordert nicht weniger als eine demokratische Revolution, die über eine Neudefinition der Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten führt, erst dann wird die Realisierung einer Gesellschaft der Gleichen denkbar.

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Autorenporträt
Pierre Rosanvallon ist Professor für Neuere und Neueste politische Geschichte am Collège de France und directeur de recherche an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS). 2001 rief er den internationalen intellektuellen Workshop "La République des Idées" ins Leben, deren Vorsitzender er ist. Pierre Rosanvallon hat zahlreiche Schriften publiziert, die in 22 Sprachen übersetzt und in 26 Ländern herausgegeben wurden. 2016 wurde ihm der Bielefelder Wissenschaftspreis im Gedenken an Niklas Luhmann verliehen
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Anregend und bedenkenswert findet Rudolf Walther, was der französische Historiker Pierre Rosanvallon in seinem Buch über die gute Regierung und die Entwicklung der Demokratie schreibt. Geradezu brillant erscheint dem Rezensenten, wie hellsichtig Rosanvallon die ambivalente Geschichte der Demokratie betrachtet, die sich lange darauf beschränkte, sich alle vier Jahre per Wahlakt das Regieren "genehmigen" zu lassen. Verbunden war diese Form der Genehmigungsdemokratie zunächst mit einem starken Vorrang der Legislative, der mit extrem schwachen Regierungen einherging und undurchschaubaren Ränkespielen der Honoratioren. Darauf regierte Frankreich nach den Weltkriegen mit der Stärkung der Exekutive und einer Präsidialisierung. Bedeutend findet Walther auch, was Rosanvallon zum heutigen Stand der Demokratie sagt: Technokratisierung, Unlesbarkeit von Politik und Vertrauenskrise setzt der Historiker eine neue Aneignung entgegen: Verantwortung, Interaktion und Wissen sollen an die Stelle treten, die in der "verkümmerten Demokratie" von "trivialen Meinungsumfragen" eingenommen werden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016

Wer will noch regieren, wenn die Bürger dauernd mitreden?

Externe Kontrolleure für die Politik: Pierre Rosanvallon sucht nach Heilmitteln gegen Verdruss an Akteuren und Institutionen der Demokratie.

Von Günther Nonnenmacher

Der französische Historiker Pierre Rosanvallon, Inhaber des Lehrstuhls für neuere und neueste Geschichte am Collège de France, hat mehrere Bücher vorgelegt, die sich mit der Herkunft der Demokratie beschäftigen. Das Buch über "Die gute Regierung" ist der Abschlussband dieser Folge von Analysen, in denen Rosanvallon in historischen Längsschnitten die Grundlagen der modernen Demokratie herausgearbeitet, ihre Transformationen und ihren Funktionswandel dargestellt und nach Remedur für ihre Defizite gesucht hatte. Rosanvallon ist überzeugt, "dass wir uns . . . schwertun, die wahren Ursachen der gegenwärtigen Desillusionierung zu verstehen und folglich die Bedingungen eines neuen demokratischen Fortschritts zu bestimmen". Die Formen dieser Desillusionierung sind unter anderem Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und der Aufstieg populistischer Bewegungen, wie es in Frankreich - mit einem starken Einschlag von Rechtsextremismus - etwa der "Front National" ist.

Dieses Mal geht es also um die Art und Weise des Regierens, und schon der Titel weist darauf hin, dass sich Rosanvallon damit in eine ehrwürdige Tradition stellt, zu der unter anderem die mittelalterlichen Fürstenspiegel gehören. Eine Revolution des Denkens oder eine Aufforderung zu umstürzlerischem Handeln ist da schwerlich zu erwarten. Das hat auch mit der politischen Herkunft des Historikers vom Jahrgang 1948 zu tun: Vor seiner wissenschaftlichen Karriere war er Berater der reformistischen französischen Gewerkschaft Confédération française démocratique du travail (CFDT) und stand dem Parti socialiste unifié (PSU) nahe, dessen führende Figur lange Zeit der kürzlich verstorbene Michel Rocard war, ein liberaler Linker, der sich 1974 der von Mitterrand begründeten neuen Sozialistischen Partei (PS) anschloss, aber zeitlebens mit ihr und ihrem Gründer über Kreuz lag, selbst als er dem Präsidenten Mitterrand von 1988 bis 1991 als dessen (ungeliebter) Premierminister diente.

Diese Ursprünge prägen Rosanvallons politisches Denken, und sein Programm für das gute Regieren steht deshalb in der Tradition eines demokratischen Reformismus der linken Mitte. Der war allerdings in der politischen Realität Frankreichs nie mehrheitsfähig, sondern immer auf die Unterstützung der radikaleren Linken angewiesen - mit allen Folgen, die das bis in die gegenwärtige Politik hinein hat.

"Die Bürger träumen nicht von einer direkten Demokratie, . . . selbst wenn sie sich wünschen, dass hin und wieder Volksabstimmungen zu speziellen Fragen durchgeführt werden. Was sie wollen, sind Regierende, die kompetent und engagiert ihre Arbeit erledigen und deren vorrangige Sorge dem Gemeinwohl und nicht ihrer Karriere gilt . . . Eine Art des Regierens in ständiger Offenheit wäre das, worauf es ihnen in erster Linie ankäme." Mit diesen Forderungen Rosanvallons könnten (oder sollten) eigentlich alle politisch Vernünftigen einverstanden sein. Allein: Politik wird nicht nur von Vernunft geprägt, sondern auch von Leidenschaften, von der Auseinandersetzung über Ideen und vom Kampf um Mehrheiten, von unvorhersehbaren Ereignissen und nicht zuletzt vom Machtstreben der Menschen, die sich in diese Arena begeben. Wer das über Jahre beobachtet hat, wird die Ansprüche, die Rosanvallon an die Regierenden stellt, zum größten Teil sehr idealistisch, um nicht zu sagen naiv nennen müssen.

Denn ein Politiker, der nicht an seine Karriere denkt, wird, wenn er den Aufstieg in Entscheidungspositionen überhaupt schafft, dort nicht lange überleben. Politik ist eben zum Beruf geworden, und selbst wer Politiker aus Berufung ist (Rosanvallon nimmt diese Unterscheidung Max Webers ausdrücklich auf), muss die Regeln des Handwerks beherrschen, wenn er etwas gestalten will. Der von Parteien, Stimmen und Stimmungen weitgehend unabhängige, von persönlichen Ambitionen freie Politiker, dem es nur um Ideale und den Dienst am Gemeinwesen geht, ist eine Kunstfigur aus dem Repertoire des bürgerlichen Professoren-Liberalismus im späten neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Ein Rezensent der französischen Ausgabe des Buches hat Rosanvallon deshalb vorgeworfen, seine "gute Regierung" sei in Wirklichkeit eine Honoratiorenrepublik 2.0.

Das ist übertrieben. Wahr ist dagegen, dass seine Vorschläge zur Verbesserung demokratischen Regierens weder neu noch sonderlich originell sind: Es geht um Transparenz im weitesten Sinne, um die Wahrhaftigkeit der politischen Rede oder um eine (durch Kontrollinstanzen überwachte) Integrität des politischen Personals, um Bürgerkonferenzen und Kommissionen, um unabhängige Instanzen, die über Verbesserungen des öffentlichen Lebens diskutieren und denen "die Politik" rechenschaftspflichtig ist. Einiges davon klingt widersprüchlich, anderes gehört zum üblichen Forderungskatalog einer Politikwissenschaft, die Heilmittel gegen den Verdruss an der Demokratie und ihren politischen Akteuren (das sind nicht nur die Politiker, sondern auch die Parteien oder Institutionen wie das Parlament) suchen. Rosanvallon setzt dabei Hoffnungen auf Bewegungen wie die spanischen "Indignados" (oder jetzt die Partei "Podemos") und "Occupy wallstreet"; "Whistleblower" wie Edward Snowden und Julian Assange spielen als gewissermaßen externe Kontrolleure eine wichtige Rolle. Das alles sieht Rosanvallon nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung und Korrektiv demokratischer Institutionen und Verfahren. Damit hegt er die Funktion des Regierens, deren Notwendigkeit er anfangs so emphatisch gegen die Utopie der Herrschaftsfreiheit verteidigt hatte, allerdings derartig ein, dass man sich fragen kann, wer unter solchen Bedingungen überhaupt noch regieren kann und will.

Rosanvallons eigentliches Ziel ist es, eine "Betätigungsdemokratie" zu schaffen, in der sich die Bürger Politik wieder aneignen und Vertrauen in die Regierenden fassen können. Wie das in einer Mediendemokratie, mit einer Zersplitterung des öffentlichen Diskurses, die durch das Internet noch erweitert und radikalisiert wird, funktionieren kann, wie da aus Transparenz nicht Denunziation und aus Kontrolle nicht Blockade wird, lässt Rosanvallon weitgehend offen. Seine Erwartungen an Parteien "neuen Typs" oder "neue soziale Bewegungen" als dauerhafte oder auch nur effiziente Partizipations- und Mobilisierungsinstanzen darf man nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte jedenfalls in Frage stellen. Doch die eigentliche Stärke des Buches sind ohnehin die historischen Analysen, mit denen Rosanvallon den Weg der Demokratie - und in diesem Buch vor allem den der Exekutive - in die Gegenwart beschreibt: Das ist nicht nur gelehrt, sondern originell und teilweise brillant.

Dass es manchmal schwerfällt, die Schlussfolgerungen des Autors zu teilen, liegt auch daran, dass der Hintergrund seiner Überlegungen in aller Regel die französische Politik ist. Dazu gehört die Fokussierung der Fünften Republik auf das Amt des Präsidenten, die das gesamte politische Leben strukturiert (und teilweise denaturiert), die zentralistisch-autoritäre Form des Regierens, die mit einem eklatanten Mangel an gut legitimierten, repräsentativen und potenten intermediären Instanzen zusammenhängt, ein Mangel, den schon Tocqueville beklagt hatte.

Nicht in allen westlichen (europäischen) Demokratien sind die Parteien zu Anhängseln des Regierungsapparats geworden, deren Programmatik in Vergessenheit gerät, sobald sie an die Macht kommen. Und nicht alle Parteien haben, wie Rosanvallon behauptet, die Rückkopplung zu den Bürgern völlig verloren. Wenn eine Regierungspartei wie die gegenwärtige sozialistische in Frankreich nach einem Auskehren der Karteileichen noch ganze 100 000 Mitglieder zählt, die fast ausnahmslos im öffentlichen Dienst (die meisten als Lehrer) tätig sind, kann man sich allerdings in der Tat fragen, auf welcher gesellschaftlichen "Basis" da regiert wird.

Die Übersetzung des Buches ist nicht sehr elegant, was allerdings auch an Spezialitäten der französischen Wissenschafts- und Politiksprache liegt. Das von Rosanvallon propagierte "parler vrai" mit "wahrsprechen" zu übersetzen, ist zwar nicht falsch, trifft aber beispielsweise den doppelten Sinn der Aufforderung (die in Frankreich seit Jahrzehnten erfolglos erhoben wird) nicht wirklich: Es geht zum einen darum, den Bürgern die Wahrheit zu sagen, also ihnen "reinen Wein einzuschenken"; andererseits wird das "parler vrai" auch als Gegensatz zur "langue de bois" der Politiker beschworen, deren teils unverbindliche, teils unverständliche Sprechblasen den politischen Diskurs zur Phrasendrescherei machen. Im Übrigen hätte ein so gelehrter Autor einen deutschen Lektor verdient, um stillschweigend zu korrigieren, dass in der Nazi-Zeit nicht Goebbels, sondern Göring Präsident des (belanglos gewordenen) Deutschen Reichstags war.

Pierre Rosanvallon: "Die gute Regierung".

Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt. Verlag Hamburger Edition, Hamburg 2016. 376 S., geb., 35,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Rosanvallons Buch ist Pflichtlektüre.« DIE ZEIT