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Marko Dinics Romandebüt "Die guten Tage" über die Rückkehr eines zornigen jungen Mannes nach Serbien
Einmal geschieht Außerordentliches. Eine serbische Familie wartet auf den Bus, Kinder tollen herum, schlagen Lärm, der abseits stehende Beobachter wird zunehmend nervöser. Jeden Augenblick erwartet er einen der üblichen Wutausbrüche des Vaters der Kinder, und nichts geschieht. Noch dazu küsst der Mann seine Frau verstohlen. Das Ereignis ist unerhört, weil der Erzähler Seite um Seite Belege für unberechenbare, willkürliche Gewalt anführt. Die Szene sticht heraus aus einem Roman, in dem ein großes Wutprogramm abläuft.
Die Hitze - unerträglich. Die Menschen - grobschlächtig. Die Aussichten - deprimierend. So sieht es aus im Romandebüt von Marko Dinic, der an Serbien kein gutes Haar lässt. Kein Wunder, das Buch ist eine Abrechnung, und Gerechtigkeit darf man davon sowieso nicht erwarten. Ausgewogenheit ist kein Kriterium, das für Literatur das Maß abgibt. Der Erzähler ist im Alter des 1988 geborenen Autors und hat in Belgrad als Kind den Krieg erlebt. Prägender Eindruck war das Nato-Bombardement von 1999, das den Zusammenhalt der Bevölkerung gegen "die Nato, Tony Blair, Bill Clinton" stärkt. Für den Jugendlichen ist es schwer, die Trostlosigkeit und ein Leben ohne Perspektive auszuhalten. Mit seinen Kumpeln - das Wort "Freunde" will einem nicht recht über die Lippen kommen - hängt er herum, sie saufen, kiffen, dröhnen sich zu. Das kann nicht alles sein, vermutet der Erzähler und macht sich aus dem Staub, sobald er die Schule abgeschlossen hat. Er zieht nach Wien, in die "Diaspora", wie er nicht müde wird zu behaupten, und fasst dort tatsächlich Fuß. Mit seiner Familie hat er abgeschlossen.
Er kommt nicht umhin, nach vielen Jahren wieder nach Belgrad zu reisen. Seine Großmutter ist gestorben, der einzige Mensch, dem er in Liebe verbunden war. Das ist Anlass genug, die Vergangenheit wieder ablaufen zu lassen. Im Bus reist er unter lauter schrecklichen Leuten zurück in eine Stadt, der er nur Abscheu entgegenbringt. Der Erzähler panzert sich innerlich ab, weist alle Annäherungen anderer schroff von sich. Das ist seiner Emanzipation von den Zurichtungen in seiner Kindheit geschuldet.
Eine mächtige Portion Hass treibt den Erzähler an, sein Feindobjekt ist der Vater. Kaum wird er im ersten von zwei Teilen des Romans genannt, bekommt er entwürdigende Attribute an die Seite gestellt: "der Drecksack", "die Missgeburt", "das Stachelschwein". Er ist der Hauptgegner, an dem sich die ganze Misere Serbiens festmachen lässt. "Mein Vater und sein ältester Bruder arbeiteten im Innenministerium, die zwei anderen schlachteten in Teilen Kroatiens und Bosniens." Früher ein überzeugter Anhänger Titos, wandelte der Vater sich unter anderen politischen Voraussetzungen zum radikalen Nationalisten. Der ehemals stolze Atheist ließ später seine Heirat von der orthodoxen Kirche bestätigen. Dieser Vater ist das Symbol für die Kriegsgeneration der Windfähnchen, die stets rechtfertigten und unterstützen, was ihnen gerade nützte.
Der Roman von Dinic leistet für Serbien das, was die Achtundsechziger-Generation in der deutschen Literatur zustande brachte: Es braucht rund zwanzig Jahre, bis sich jene, die als Kinder den Krieg durchmachten, vom Schutt der eigenen Geschichte befreit haben, um sich literarisch Luft zu verschaffen. Dann zählen sie den Vätern ihre Fehler auf. Und von einem kleinen Wirtschaftswunder ist auch hier die Rede, wenn, was früher undenkbar war, ein Supermarkt mit vollgefüllten Regalen prunkt.
Der rücksichtslos harte Ton zielt aufs Verletzen ab. Dinic hat den Roman zur Stunde geschrieben, da in Serbien Massenkundgebungen gegen die Regierung von Aleksandar Vucic stattfinden. Von ihm stammt die Drohung aus dem Bosnien-Krieg, dass für jeden getöteten Serben hundert Muslime sterben müssten. Mit solch nationalistischer Scharfmacherei räumt Dinic unerbittlich auf.
Der Erzähler wirft seinem Vater vor, die Familie indoktriniert und mit Propaganda vollgestopft zu haben. Er ist der greifbare Gegner, gemeint ist die Generation der Täter, die den Kindern die Liebe zum "schweinsgesichtigen Milosevic" eingeredet hat. Verändert hat sich gar nichts. "Politiker werden zu Zigeunern erklärt, Milosevic zum Märtyrer, Radovan Karadzic zum Volkshelden und Srebrenica zur notwendigen Heldentat." Wenn der Erzähler im Bus seine Reisegefährten beobachtet, wird er stumpfer, gewaltbereiter Kerle ansichtig. Das ist das Zermürbende, dass eine erschreckende Geschichtsvergessenheit keine Hoffnung zulässt, dass sich jene Einsicht einstellt, die eine friedliche Zukunft zulässt.
Hier schreibt kein Feingeist, man sieht Marko Dinics Buch an, dass es brennt im Herzen des Autors. Das erklärt die doch etwas rohe Art der Personenführung. Ein mieser Zeitgenosse muss auch optisch als ein solcher ausgestellt werden. Als Antipode zur kollektiven Beschränktheit fungiert die Großmutter, der Liebe und Respekt des Erzählers zuteil werden. Sie ist die Einzige, die sich ein bisschen freigespielt hat und den Vater in die Schranken zu verweisen vermag. Mit deren Tod ist auch die Hoffnung gestorben. Vielleicht nicht ganz. Einen jungen Mann, der Kinder Kinder sein lässt und die Liebe zu seiner Frau offen eingesteht, gibt es immerhin. Es bedeutet aber etwas, wenn ihm nur wenige Zeilen gewidmet werden.
ANTON THUSWALDNER
Marko Dinic: "Die guten Tage". Roman.
Zsolnay Verlag, Wien 2019. 240 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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