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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Historiker Joseph Croitoru beschreibt die Hamas und die palästinensische Politik im Gazastreifen – mit nüchternen Fakten und klarem Urteil.
Erstmals veröffentlichte Joseph Croitoru 2007 ein Buch über die Hamas, das damals eine wichtige Lücke schloss. 2010 erfolgte eine Aktualisierung. Als Neuausgabe kann man das jetzt erschienene „Die Hamas. Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel“ allerdings kaum bezeichnen. Denn seitdem ist viel passiert: Die anhaltende israelische Blockade des Gazastreifen, die sich vertiefende Spaltung zwischen den beiden wichtigsten palästinensischen Parteien, ein israelischer Rechtsruck und gleich mehrfache kriegerische Auseinandersetzungen. Die Jahre vor dem 7. Oktober schildert Croitoru ausführlich – ohne den Fehler zu machen, die Geschichte immer aus der Perspektive der aktuellen Katastrophe zu erzählen. Den ganz aktuellen Geschehnissen räumt Croitoru dann am Ende noch zwei Kapitel ein.
Dem Historiker Croitoru gelingt nicht nur ein sachliches und detailliertes Porträt der Hamas und ihrer Ideologie, sondern der palästinensischen Politik insgesamt. Denn seit der Gründung der Hamas 1987 ist das auch die Geschichte einer erbitterten Feindschaft zwischen den Islamisten und den säkularen Fraktionen der PLO. Croitorus Buch beginnt mit einer Geschichte des Gazastreifens, die nach dem arabisch-israelischen Krieg 1948 vor allem durch die fast 200 000 Palästinenser bestimmt wurde, die dorthin flohen oder vertrieben wurden. Es folgten fast zwei Jahrzehnte ägyptischer Besatzung, mit einer wenig bekannten Unterbrechung während der Suezkrise 1956/57. Croitoru beschreibt bereits damalige israelische Überlegungen, den den Landstrich dauerhaft zu besetzen und Siedlungen zu errichten.
Bereits seit den 1960er-Jahren führte dann Ahmad Jassin die religiösen, aber auch sozialen und politischen Aktivitäten der Muslimbrüder im Gazastreifen, aus deren Reihen 1987 die Hamas gegründet wurde. Aus israelischer Sicht war sie zunächst ein willkommener Rivale der noch militant agierenden PLO.
Doch das änderte sich mit Beginn des Friedensprozesses – die Hamas bekämpfte nun nicht nur erbittert und gewaltsam ihren säkularen innenpolitischen Rivalen, sondern auch Israel. Sie wurde zunehmend aus Iran unterstützt und wählte als Mittel Selbstmordattentate, die sich jetzt auch massiv gegen Zivilisten in Israel richteten. Ausführlich analysiert Croitoru die Charta von 1988 als Ausdruck ihrer islamistisch motivierten, aber jetzt auch nationalistisch begründeten Ablehnung der Zweistaatenlösung zugunsten eines „Dschihad“ mit dem Ziel der „Befreiung Palästinas“. Zugleich zeugt sie vom tief verwurzelten Antisemitismus und der Antiliberalität der Bewegung.
Mit der Absicht, den Oslo-Prozess zu stoppen, hatte die Hamas Erfolg. Benjamin Netanjahu und Ariel Sharon taten alles, um den von der PLO versprochenen palästinensischen Staat zu verhindern. Nach der Eskalation der zweiten Intifada, in der sich die beiden palästinensischen Rivalen mit ihrem Einsatz von Gewalt regelrecht überbieten wollten, stand die säkulare Fraktion um den in seinem zerstörten Amtssitz belagerten, kranken Präsidenten Arafat vor dem Nichts.
Die Schwäche der Säkularen nützte der Hamas. Bei den nationalen Wahlen 2006 erzielte sie einen Erdrutschsieg. Wirklich verändert hatte sich die Bewegung laut Croitoru aber nicht, sondern sich nur entschieden, das „demokratische Spiel“ mitzuspielen, um ihre islamistischen Ziele durchzusetzen. Die Folgen der internationalen Nichtanerkennung der Hamas-Regierung 2006 und das Scheitern der Einheitsregierung 2007 sind bekannt: ein blutiger Bürgerkrieg und der Putsch der Hamas im Gazastreifen.
Croitoru schildert detailliert die Folgen der autoritären Hamas-Herrschaft im Gazastreifen und die schleichende Islamisierung des öffentlichen Lebens, der Verwaltung und Justiz. Vor allem der zunehmende Einfluss des militärischen Flügels der Hamas gehört dann bereits zur Vorgeschichte des 7. Oktober. Was in Croitorus Buch zu kurz kommt, ist die Darstellung anderer gesellschaftlicher Strukturen im Gazastreifen und einer weiterhin existenten kritischen Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft, wie sie auch unter schwierigsten Bedingungen und trotz Zensur noch bestand: zum Beispiel seitens unabhängiger Journalistinnen und Journalisten oder der Menschenrechtsorganisationen, die nicht nur israelische Rechtsverletzungen anprangerten, sondern auch noch immer mutig Kritik an der Hamas äußerten und sich für deren Opfer einsetzten.
Auch wenn man bei Croitorus Darstellung den Eindruck gewinnen könnte, dass die Entwicklung hin zum 7. Oktober fast zwangsläufig erfolgt sei, waren sich viele Beobachter bis zuletzt unsicher bezüglich der Einordnung der Hamas. Das neue Grundsatzprogramm der Hamas von 2021, das sich unter anderem als implizite Anerkennung der Grenzen von 1967 lesen ließ, stiftete laut Croitoru in dieser Hinsicht Verwirrung. Dabei war doch andererseits die Hinwendung zum militärischen Weg aus seiner Sicht offensichtlich. Schließlich habe auch der gemeinhin als „gemäßigt“ geltende Ismail Hanija bereits Einigkeit mit den Qassam-Brigaden demonstriert.
Doch auch die israelische Regierung ging davon aus, dass seitens der Hamas kein Interesse an einer Eskalation bestünde. Netanjahus extremistische Koalition war ihrerseits mit der groß angelegten israelischen Protestbewegung beschäftigt; zudem waren militärische Einheiten aufgrund eskalierender Siedlergewalt in die Westbank abgezogen worden.
Nüchtern und sachlich schildert Croitoru in den letzten beiden Kapiteln auch die Ereignisse seit dem 7. Oktober. Er lässt ebenso wenig Zweifel am Ausmaß des Massakers der Hamas wie an der katastrophalen Dimension des Krieges in Gaza, in dem er bestenfalls spärliche, oft nur „formelhaft“ vorgetragene israelische Rechtfertigungen für die weitreichenden Zerstörungen sieht.
Einen Krieg, der noch anhält, kann man nur bedingt beschreiben. Der extrem knappe Ausblick im Buch ist daher wohl der Aktualität geschuldet. Hier hätte man dennoch gern einige weitergehende Reflexionen über die Zukunft des Gazastreifens und der Hamas selbst gewünscht – denn die von Israel angekündigte „Vernichtung“ der Hamas dürfte wohl kaum realistisch sein.
Der Detailreichtum von Croitorus Buch ist ebenso beeindruckend wie die sachliche Darstellung – in Zeiten aufgeregter und polemischer Debatten, in denen auch mit viel Unwissen über die Hamas hantiert wird, ist das Buch uneingeschränkt zu empfehlen.
RENÉ WILDANGEL
René Wildangel ist Historiker und schreibt zum Schwerpunkt Naher/Mittlerer Osten.
Die Entwicklung
führte nicht zwangsläufig
zum 7. Oktober
Eine Stadt unter der Erde: Foto aus einem Hamastunnel im Gazastreifen im Jahr 2016.
Foto: Adel Hana / Ap
Joseph Croitoru:
Die Hamas.
Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel.
Verlag C.H. Beck, München 2024. 223 Seiten, 18 Euro.
E-Book: 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Joseph Croitoru über die Hamas
Bis zum 7. Oktober 2023 war das Interesse am Gazastreifen im Westen stetig gesunken. Das vierzig Kilometer lange und zwischen sechs und vierzehn Kilometer breite Gebiet stand seit Jahren unter der Herrschaft radikaler Islamisten, die Nachbarländer hatten es weitgehend abgeriegelt. Die Zustände waren nicht gut, aber auch nicht katastrophal, alarmierenden Berichten der Vereinten Nationen und von Nichtregierungsorganisationen zum Trotz. Ein- bis zweimal pro Jahr kam es zu einem mehrtägigen militärischen Schlagabtausch zwischen Milizen in Gaza und der israelischen Armee, den Letztere dominierte. Ansonsten, so schien es, tat sich dort nicht wirklich viel.
Diese gründliche Täuschung hat nicht nur zur größten Katastrophe in Israels Geschichte geführt, sondern die ganze Region an den Rand einer ungekannten Eskalation gebracht. Rückblickend gibt es einige Hinweise darauf, dass die Hamas sich eben nicht darauf beschränken wollte, ihre Herrschaft in Gaza zu sichern. Joseph Croitoru führt in seinem Buch "Die Hamas" einige davon auf, etwa die Militärübungen, die bewaffnete Gruppen seit 2020 gemeinsam abhielten und in denen immer weniger die Verteidigung geprobt wurde und immer mehr der Angriff. Oder der von einer Beobachtungssoldatin aufgezeichnete Funkspruch, in dem von der Ermordung von Kibbuzbewohnern die Rede war. Oder das Plakat, das gegenüber einem israelischen Landwirtschaftsdorf angebracht worden war und auf dem die nahende "Vernichtung der Besatzer" angekündigt wurde.
Ein Jahr später ist Yahya Sinwar, der als Planer des Terrorangriffs vom 7. Oktober gilt, zum Hamas-Chef aufgestiegen, nachdem Ismail Haniyeh getötet wurde, mutmaßlich von Israel. Zugleich geht im Gazastreifen ein unbarmherzig geführter Krieg weiter. Die Dinge sind also stark in Bewegung. Croitoru geht dennoch davon aus, dass die Alleinherrschaft der Hamas in Gaza nach eineinhalb Jahrzehnten zu Ende gegangen ist. Sie werde "in die Annalen der Region wohl als weiterer gewaltsam verhinderter Versuch eingehen, ein islamistisches Regime zu etablieren - ähnlich dem ihrer Mutterorganisation der Muslimbrüder in Ägypten".
Seit der gewaltsamen Machtübernahme 2007 waren Hamas und Gaza zwei Begriffe, die fast synonym verwendet wurden. Das spiegelt sich auch in dem Buch wider - mehr als die Hälfte der siebzehn Kapitel konzentrieren sich auf den Küstenstreifen. Croitoru, ein profunder Kenner des Nahostkonflikts, schreibt damit zugleich sein Buch "Hamas. Der islamische Kampf um Palästina" fort, das 2007 erschienen war.
In der Darstellung wird klar, dass die Hamas seit ihrer Gründung 1987 im doppelten Sinn eine "Widerstandsbewegung" war: gegen Israel, aber auch gegen die "Palästinensische Befreiungsorganisation" und deren Friedenskurs. Sie war "auch mit dem Ziel gegründet worden, jeglichen palästinensischen Dialog mit den israelischen Besatzern zu torpedieren". Es ist fast unheimlich nachzulesen, wie gut ihr das gelang. Anschläge auf Israelis - bald nicht mehr nur Soldaten, sondern auch Zivilisten - setzte sie zielgerichtet ein, nicht zuletzt, um die israelische Bevölkerung gegen den Oslo-Friedensprozess aufzubringen.
Zugleich verbreitete sie intensiv Propaganda, um die Führungsrolle im Widerstand zu erringen. Ihre Charta enthielt nationalistische ebenso wie islamische Motive (und antisemitische Mythen). Auch begann sie früh, mit einer "syrisch-iranischen Allianz der radikalen Israel-Gegner" zusammenzuarbeiten - ebenfalls ein roter Faden bis in die Gegenwart.
Die Hamas, die "zugleich politische Bewegung, Wohlfahrtsorganisation und Miliz" ist, hat sich immer wieder neu erfunden, zum Beispiel 2005 bei ihrem Gang in die Politik. Croitoru hätte einige strukturelle Fragen gründlicher behandeln können, etwa die, ob irgendwann womöglich die Chance auf eine Mäßigung der Hamas bestand. Seine ereignisgeschichtliche Darstellung besticht indessen durch ihren genauen, abgewogenen und nüchternen Charakter - ein Gewinn, gerade bei einem so aufgeladenen Thema. CHRISTIAN MEIER
Joseph Croitoru: "Die Hamas". Herrschaft über Gaza, Krieg gegen Israel.
C. H. Beck Verlag, München 2024. 223 S., br.,
18,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Süddeutsche Zeitung, René Wildangel
"Der Historiker und Nahost-Experte erklärt, wie die Hamas seit 2007 ihre islamistische Herrschaft im Gazastreifen etabliert hat. Und er schildert die Fehler der Netanjahu-Regierung, die den Terror beförderten."
FOCUS
"Er erklärt, wie sie ihre Herrschaft im Gazastreifen etabliert hat und wie es ihr gelingen konnte, den Angriff am 7. Oktober durchzuführen."
Berliner Zeitung, Susanne Lenz
"Joseph Croitoru führt eindrücklich vor Augen wie gut es der Hamas durch ihren Terror über die Jahre gelang, vielversprechende Friedensbemühungen zu sabotieren, Hass zu sähen und die Gesellschaften Israels und der Palästinensergebiete zu radikalisieren."
Georg Renöckl
"Eine empfehlenswerte Fortsetzung zur Herrschaft der Hamas in Gaza von 2006 bis zu den Terrorangriffen am 7. Oktober 2023"
Das Parlament, Beilage zur LBM24, Aschot Manutscharjan
"Croitoru will als Chronist vor allem detaillierte Informationen liefern, analysieren, aber nicht unbedingt werten. Das gelingt ihm hervorragend."
republik.ch, René Wildangel
"Faktenreich, sachlich, klar und niemals ideologisch beschreibt er im Grunde den ganzen Nahostkonflikt. ... eine spannende Lektüre, um mitreden zu können."
General Anzeiger, Regina Krieger
"Croitoru kann auf seine früheren Hamas-Studien aufbauen und gleichermaßen schnell wie seriös eine Chronik der Verblendung und des Schreckens fortschreiben."
Publik Forum, Michael Kuderna
"Seine ereignisgeschichtliche Darstellung besticht indessen durch ihren genauen, abgewogenen und nüchternen Charakter - ein Gewinn, gerade bei einem so aufgeladenen Thema."
FAZ, Christian Meier
"Das bislang einzige deutsche Buch, das nach der brutalen Invasion vom 7. Oktober mit analytischem Blick von der Hamas berichtet ...der Autor gilt als kundiger Deuter von Kultur und Gesellschaft beider Konfliktparteien."
Spiegel, Dominik Peters