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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vor Gericht oder zu den Gangstern? Sally McGrane legt einen Spionagekrimi vor, der in Odessa spielt - in einer Stadt, die keiner ihrer Besatzer je verstehen wird.
Dieses Buch ist eine Räuberpistole, ein rauchender Colt aus einer Region, in der jeder Funke einen Flächenbrand entfacht. Es handelt von Odessa, der Kulturmetropole am Schwarzen Meer, ähnlich verrufen und mit ähnlichem Völkergemisch wie Marseille. Die Geschichte wird erzählt von dem am Hafen herumstreunenden Kater Smiley, ein Wink mit dem Zaunpfahl für Liebhaber von Spionageromanen, und ihr Held ist ein abgehalfterter CIA-Mann namens Max Rushmore, benannt nach einem Berg mit in den Felsen gemeißelten Köpfen amerikanischer Präsidenten, auf denen Cary Grant in einem Hitchcock-Film herumkraxelt - oder war es James Stewart?
Odessa ist kein austauschbarer Ort, denn die von Katharina II. aus dem Boden gestampfte Stadt, Russlands Tor zum warmen Meer, wurde - in dieser Reihenfolge - von Griechen, Türken, Juden, Armeniern, Polen und Deutschen besiedelt, denen die Zarin Glaubens- und Steuerfreiheit gewährte. Odessa ist eine Literaturstadt: Es genügt, Puschkin, Gogol und Isaak Babel zu erwähnen, dessen zerbrochene Brille im Literaturmuseum von Odessa zu sehen ist - anders als die von Nazis ermordeten Juden der Stadt wurde er auf Stalins Befehl erschossen.
Diese und andere Koryphäen der Literatur werden im Text zitiert, aber Sally McCranes Buch ist kein bemühter Bildungsroman, sondern ein waschechter Spionagekrimi, Kolportage im besten Sinn. Die aus Kalifornien stammende Autorin, die für die "New York Times" und den "New Yorker" schreibt, hat in Odessa gelebt und kennt sich hier aus, einschließlich der Champagner-Fabrik und der unterirdischen Katakomben, in denen sie den Protagonisten umherirren lässt. Worum geht es? Vordergründig um den real existierenden Politiker Grischa Sakaschwili, der nach seinem erzwungenen Abgang aus Tiflis Gouverneur von Odessa wurde und korrupten Oligarchen den Kampf ansagte, einschließlich der Russenmafia in Gestalt des Bürgermeisters, der ihn auf die Abschussliste setzt.
Obwohl Grischa gesund und unverletzt bleibt, wird seine an einem Muttermal erkennbare Hand auf den Strand gespült, und Max, der ehemalige CIA-Mann, zieht auf eigene Faust los, um zu ermitteln, ob es sich um ein Geheimdienst-Komplott oder eine Mafia-Intrige handelt, sowie die Frage zu beantworten, was von Gerüchten über im Labor gezüchtete Gliedmaßen zu halten ist.
Die Lösung des Rätsels soll und darf hier nicht verraten werden; nur so viel sei gesagt, dass der Titel "Axolotl Roadkill" von Helene Hegemann einen ersten Fingerzeig gibt. Die Handlung von Sally McGranes Buch ist so komplex und redundant, dass sie schwer nacherzählbar ist: Wie in alten russischen Romanen gibt es Haupt- und Nebenfiguren, und der Text bestätigt die These, dass die kürzeste Verbindung von A nach B keine Gerade, sondern eine Zickzacklinie sei. Heimlicher Held ist weder die CIA noch der FSB alias KGB, sondern wie Dublin bei James Joyce und Danzig bei Günter Grass, die Hafenstadt, von der es heißt: "Überall in Odessa gab es Anker. Als müssten sie die Stadt vor dem Davonschwimmen bewahren. (...) Weder die Sowjets noch die Amerikaner, Ukrainer oder Russen hatten jemals gewusst, was dort unten alles vor sich ging. Und sie würden es niemals erfahren."
"Die Hand von Odessa" ist kein sensibler Frauenroman für zartbesaitete Leserinnen, sondern das Gegenteil, ein Action-Thriller, in dem blutig abgerechnet wird - nicht sadistisch wie bei James Bond, aber auch nicht dezent wie bei John le Carré. Was Sally McGrane als Alleinstellungsmerkmal von beiden unterscheidet, ist die genaue, ja intime Kenntnis des Ortes, an dem das Buch spielt, einschließlich der dazugehörigen Literatur - der Text steckt voll ironischer Anspielungen. Hinzu kommt ein subtiler Wortwitz, den Diana Feuerbachs Übersetzung optimal wiedergibt: "Ich suche die Straße der Revolution", sagte der alte Mann. "Die Straße gibt es nicht mehr", sagte sie freundlich. "Sie heißt jetzt Kosakenstraße. Da entlang."
Die im Roman geschilderte Tragikomödie wirkt so abstrus, als sei sie an den Haaren herbeigezogen, aber sie passt zur politischen Aktualität rund um Putins Annexion der Krim. Die Geschichte hatte ein unheroisches Nachspiel, genaugenommen sogar zwei: Micheil Saakaschwili - so der richtige Name des Korruptionsbekämpfers - fiel in der Ukraine in Ungnade. Nach Georgien zurückgekehrt, verlor er die Präsidentschaftswahl und sitzt seitdem im Gefängnis, aus dem er durch Hungerstreiks freizukommen versucht.
Und bei einem von Sally McGrane beschriebenen Wodka-Wetttrinken soll Hillary Clinton ihren Herausforderer John McCain unter den Tisch gesoffen haben: "Wer Streit hatte, konnte entweder vor Gericht gehen, oder er ging zu den Gangstern. Verglichen mit den Gerichten brauchten sie nur einen Bruchteil der Zeit. Im Odessa der Neunzigerjahre hatten die Gangstergerichte auch eine sogenannte Wodka-Option. Sie haben sich einfach hingesetzt und um die Wette gesoffen." HANS CHRISTOPH BUCH
Sally McGrane: "Die Hand von Odessa". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Diana Feuerbach.
Voland & Quist Verlag, Berlin 2022.
416 S., geb., 24.- Euro.
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