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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Weltanschauungen: Michael Stausberg über sechzig Protagonisten, die als Heilsbringer angesehen wurden
Treffen sich Carl Gustav Jung, Adolf Hitler, Steven Spielberg und Bob Marley. Das könnte der Anfang eines Witzes sein. Es handelt sich aber um eine kleine Auswahl von Protagonisten aus Michael Stausbergs Buch "Die Heilsbringer: Eine Globalgeschichte der Religionen im 20. Jahrhundert". In 47 konzisen Kapiteln porträtiert der Autor auf fast achthundert Seiten rund sechzig Persönlichkeiten, zum Großteil Männer, die zumindest von manchen Menschen als Heilsbringer angesehen wurden. Stausberg bezeichnet sie auch als Religionsmacher und weist ihnen auf erhellende und teilweise überraschende Weise eine religionshistorische Bedeutung, zumindest aus europäischer Sicht, zu. Als historische Klammer dienen ihm dabei die Eröffnung des World's Parliament of Religions am 11. September 1893 in Chicago und die Attentate des 11. September 2001 in New York. Die Auswahl reicht von Swami Vivekananda über Aleister Crowley und Johannes Paul II. bis zu Usama Bin Ladin.
Jedes dieser Leben ist spannungsreich - der Lebenslauf der Atheistin, Feministin, Politikerin, Freimaurerin, Theosophin und Kämpferin für die indische Unabhängigkeit Annie Besant allein böte Stoff für mehrere Bücher -, und jedes Kapitel ist gespickt mit gehaltvollen Informationen und unterhaltsamen Anekdoten. Sie lassen sich mit Gewinn unabhängig voneinander lesen. Das Buch als Ganzes thematisiert einige der großen Problemstellungen des zwanzigsten Jahrhunderts: Religion und Wissenschaft, Entzauberung und Sinnsuche, Spiritualität und Materialismus, Osten und Westen, Sozialismus und Kapitalismus, Nationalismus und Kolonialismus, Rassismus und Emanzipation. Diese Themenfelder werden zwar nicht systematisch diskutiert, dafür jedoch in wichtigen Aspekten lebensgeschichtlich fassbar gemacht.
Zudem verdeutlicht das Buch, wie problematisch die Trennung von Religion und anderen Gesellschaftsbereichen oft sein kann. Dazu setzt sich Stausberg auch mit weitreichenden Fragen zu Inhalt, Funktion und Transformation von Religion und Religionen auseinander: Was ist Religion? Wie, wo und warum wurde diese Frage unterschiedlich beantwortet? Er selbst spricht sich für einen weiten Religionsbegriff aus, der nicht auf ein bestimmtes Wirklichkeitsverständnis abzielt, sondern die vielfältigen Umgangsweisen mit dem vermeintlich Unverfügbaren, Unkontrollierbaren und Unerreichbaren in den Blick nimmt. Folglich thematisiert er nicht nur die sogenannten Weltreligionen, sondern auch Beispiele wie Scientology, Rastafari, Wellness, Terrorismus, Yoga, Sport, Psychologie, Politik, Sozialreform, Pop und Science-Fiction. Vor diesem Hintergrund kommt er zu dem Fazit, dass das, was gemeinhin als Religion bezeichnet wurde und wird, voller Ungereimtheiten, Spannungen, Widersprüche und Paradoxien ist.
Der Fokus auf weitgehend bekannte Protagonisten ermöglicht einen leichten und anschaulichen Zugang zu historischen Entwicklungen und internationalen Bezügen. Stausberg richtet sein Augenmerk vor allem auf deren Weltanschauungen sowie auf die religiösen und politischen Konsequenzen ihres Wirkens, weniger auf ihre individuelle Lebensführung oder auf die Voraussetzungen, die ihr Wirken erst ermöglichten.
Die darauf aufbauenden Vergleiche veranschaulichen allgemeinere Thesen des Buches, wie zum Beispiel die Beobachtung, dass man nicht besonders religiös sein muss, um auf Religion(en) zu wirken. Das mag bei Mao Tse-tung oder der militanten Atheistin Madalyn Murray O'Hair auf der Hand liegen und auch bei Künstlern und Intellektuellen wie Paul McCartney, Ringo Starr, Carl Sagan, Stanley Kubrick und Steven Spielberg nicht sehr verwunderlich sein. Aber es gilt eben auch für Muhammad Ali Jinnah (Pakistan) sowie Theodor Herzl und David Ben-Gurion (Israel) ebenso wie für Veer Savarkar, Bhimrao Ambedkar und Jawaharlal Nehru (Indien).
Überraschend sind die vielen Wechselbeziehungen zwischen den Protagonisten und ihrem Wirken. Es ist faszinierend zu sehen, wie zahlreich die Kontakte und Bezugnahmen sind. Ausgehend von Lew Tolstoi etwa lassen sich nicht nur Verbindungen zu Gandhi und Martin Luther King, sondern auch zu Ramakrishna, Vivekananda, Taixu, Muhammad Iqbal, Karl Barth, Ikeda Daisaku, Thich Nhat Hanh und vielen weiteren Akteuren im Buch ziehen.
Ein solches enges Netzwerk zeigt aber gleichzeitig, wie exklusiv Stausbergs Auswahl ist. Das wird insbesondere bei Persönlichkeiten deutlich, die aus den Netzwerken fallen: bei dem Comanchen-Anführer Quanah Parker zum Beispiel, dem einzigen Vertreter "indigener" Gruppen. Während auf Gandhi fast in jedem zweiten Kapitel Bezug genommen wird, gibt es keine Querverweise zwischen Parker und anderen Protagonisten.
Globalgeschichte beziehungsweise "globalbiographisch" bedeutet bei Stausberg, dass eine relevante Ausstrahlung und mediale Aufmerksamkeit in Europa vorgelegen haben muss. Stausberg selbst spricht von der "Unterbelichtung" sowohl der Frauen als auch von Afrika, Lateinamerika und Ozeaniens. Er anerkennt den "großen blinden Fleck" seines Zugangs, der die koloniale und postkoloniale "Machtballung im Norden" reproduziert, anstatt sie zu unterlaufen, weil er sich auf die "Leuchttürme auf dem Küstenstreifen einer globalen Religionsgeschichte" konzentrieren wollte.
Das bedeutet zum einen, um die Metapher aufzugreifen, dass das weite Festland einer so konzipierten Religionsgeschichte nicht erkundet wird: Viele Entwicklungen, die unabhängig von den ausgewählten "Heilsbringern" stattgefunden haben, bleiben unsichtbar. Das Buch präsentiert keine Geschichte "von unten", keine Alltagsgeschichte, hat weder emanzipatorische noch postkoloniale oder multiperspektivische Ansprüche. Es liegt auf der Hand, dass die "Leuchttürme", von denen Stausberg handelt, oft auch Gefahren anzeigen. Welche von ihnen für die Navigation im 21. Jahrhundert noch heranzuziehen sind, darüber nachzudenken lädt das ebenso gelehrte wie zugänglich geschriebene Buch ein.
JOHANNES QUACK
Michael Stausberg:
"Die Heilsbringer".
Eine Globalgeschichte der Religionen im
20. Jahrhundert.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 783 S., Abb., geb., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Johannes Quack
"Der Religionswissenschaftlicher Michael Stausberg hat ein erstaunliches religiöses Personen-Panorama zusammengestellt - von Leister Crowley über den Dalai Lama bis zu den Beatles (...). Biographien, die Lust machen und Interesse an den religiösen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts wecken."
SWR2, Lukas Meyer-Blankenburg
"Eine tiefgründige Arbeit steckt darin, auf geradezu packende Weise 47 höchst unterschiedliche Persönlichkeiten zu porträtieren." literatursalon, Irmtraud Gutschke
"Hervorragend zu lesendes Werk (...) es ist gerade dieser Zusammenschluss völliger Gegensätze, der das Lesevergnügen erhöht."
h-soz-kult, Gisa Bauer
"Ein wichtiges Buch, in dem sich gut schmökern und die ein oder andere Entdeckung machen lässt." Christ in der Gegenwart, Holger Zaborowski
"Gleichermaßen kompetent wie anschaulich geschrieben."
Herder Korrespondenz, Ulrich Ruh