Die Geschichte von zweien, die sich lieben, durch die politischen Ereignisse immer wieder getrennt werden und dann diese Liebe endlich legalisieren dürfen unter den denkbar widrigsten Umständen: Für einen Tag und eine Nacht darf die Spanierin Marga Ferrer das KZ Auschwitz betreten, um mit dem Häftling Rudi Friemel den Bund fürs Leben einzugehen. Ein Buch in Stimmen erzählt, über Hoffnung und Verzweiflung, über die Niederlagen eines halben Jahrhunderts.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Traualtar im Todeslager
Erich Hackl erzählt eine wahre Geschichte / Von Eva Menasse
Und wieder ist es eine dieser Geschichten, die man kaum für möglich hält und die scheinbar nur Erich Hackl auszugraben imstande ist, dieser besessene Rechercheur und Grenzgänger zwischen Literatur und literarisch-historischer Reportage: die Geschichte des Wieners Rudi Friemel, der es durchsetzte, im Frühling 1944 in Auschwitz heiraten zu dürfen.
Er war ein sogenannter "Politischer", saß als Sozialist und ehemaliger Spanien-Kämpfer im Stammlager ein und nicht in der Todesfabrik Birkenau. Er war bei seinen Mithäftlingen beliebt und bekannt und den Kerkermeistern mit seinem Herzensanliegen lästig: Warum die Gebieter über die größte Todesmaschinerie der Geschichte seinem Drängen auf Hochzeit nachgaben, wird trotzdem ein Rätsel bleiben. So wie das ganze Szenario dieser Vermählung ein einziger Graus ist: Da wurde also die Braut, die Spanierin Margarita Ferrer, mitsamt dem gemeinsamen Kind Edi zur Anreise eingeladen, dazu kamen der Vater und Bruder Friemels aus Wien. Die Mitarbeiter des Standesamts von Auschwitz, die sonst tagein, tagaus damit befaßt waren, in Sterbeurkunden verschleiernde Todesursachen einzutragen, trauten ihren Augen nicht: Eine Hochzeitsgesellschaft! Das Lagerorchester spielte auf. Dann durfte, als äußerste Vergünstigung der Nazis, das frischgebackene Paar eine gemeinsame Nacht verbringen; zu diesem Zweck wurde das Lagerbordell geräumt.
Diese wahre Geschichte, Hackl nennt sie "eine Begebenheit", ist stärker als jeder Autor. Diese Geschichte zu erzählen ist ein handwerklicher Fluch: Sie erzählt sich selbst, oder man macht sie kaputt. Mit diesem Problem hat Hackl fünfzehn Jahre lang gerungen. So lange hatte er Kenntnis von dem Geschehen, die meisten seiner Gespräche mit überlebenden Zeugen und Verwandten waren längst geführt. Doch jetzt erst hat er sie veröffentlicht, in der literarischen Form eines Stimmengewirrs.
Da kommen die beiden Söhne Friemels zu Wort (der erste Sohn aus einer frühen Ehe in Wien, der zweite jener Edi aus der Verbindung mit Margarita), alte Spanien-Kämpfer, die Friemel kannten, solche, die ihm in Auschwitz begegnet sind, eine Frau, die am Standesamt beschäftigt war, und vor allem Margaritas jüngere Schwester Marina, eine unangenehm besserwisserische und resolute Person.
Diese Montage aus vermeintlichen Originalzitaten ist so perfekt wie dezent. Wäre da nicht Hackls Sprache, dieser kühle, schnörkellose und damit so eindringliche Berichtston - man könnte meinen, der Autor hielte sich völlig heraus. Die Montage nimmt der Geschichte auch ihre fast geschmacklose Schärfe, weil sie verwischt und verwirrt: Der Leser hat immer wieder Probleme, zu erkennen, wer gerade spricht, weil die einzelnen Passagen durch nichts als ein paar Leerzeilen getrennt sind. Das ist manchmal anstrengend und frustrierend, erzeugt aber auch eine lehrreiche Spannung: Es drängt einen aus Sensationsgier, das Bild ganz scharf gestellt zu bekommen, doch eben das verweigert Hackl konsequent. Wo man sich gelegentlich nicht auskennt, wo einem dieser Revolutionär und Frauenheld Friemel bis zum Schluß merkwürdig blaß und ungenau bleibt, genau da scheint Hackl seinen doch auch immer etwas pädagogischen Zeigefinger zu heben und zu sagen: Genauer kann es keiner wissen.
Ein seltsames kleines Buch, erschütternd und doch auch zärtlich, schonend. Das Schlimmste und Deutlichste ist das auf der Buchrückseite abgedruckte Hochzeitsbild der kleinen Familie in Auschwitz. Es sieht aus wie irgendein Familienbild auch, lächelnde Eltern im Sonntagsstaat, ein großäugig-schüchternes Kind. Doch haben weder Edi noch Margarita den Rudi Friemel nach diesem Tag wiedergesehen. Er wurde neun Monate danach wegen eines Fluchtversuchs gehenkt. Wie Zeugen berichten, in seinem Hochzeitshemd.
Erich Hackl: "Die Hochzeit von Auschwitz". Eine Begebenheit. Diogenes Verlag, Zürich 2002. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erich Hackl erzählt eine wahre Geschichte / Von Eva Menasse
Und wieder ist es eine dieser Geschichten, die man kaum für möglich hält und die scheinbar nur Erich Hackl auszugraben imstande ist, dieser besessene Rechercheur und Grenzgänger zwischen Literatur und literarisch-historischer Reportage: die Geschichte des Wieners Rudi Friemel, der es durchsetzte, im Frühling 1944 in Auschwitz heiraten zu dürfen.
Er war ein sogenannter "Politischer", saß als Sozialist und ehemaliger Spanien-Kämpfer im Stammlager ein und nicht in der Todesfabrik Birkenau. Er war bei seinen Mithäftlingen beliebt und bekannt und den Kerkermeistern mit seinem Herzensanliegen lästig: Warum die Gebieter über die größte Todesmaschinerie der Geschichte seinem Drängen auf Hochzeit nachgaben, wird trotzdem ein Rätsel bleiben. So wie das ganze Szenario dieser Vermählung ein einziger Graus ist: Da wurde also die Braut, die Spanierin Margarita Ferrer, mitsamt dem gemeinsamen Kind Edi zur Anreise eingeladen, dazu kamen der Vater und Bruder Friemels aus Wien. Die Mitarbeiter des Standesamts von Auschwitz, die sonst tagein, tagaus damit befaßt waren, in Sterbeurkunden verschleiernde Todesursachen einzutragen, trauten ihren Augen nicht: Eine Hochzeitsgesellschaft! Das Lagerorchester spielte auf. Dann durfte, als äußerste Vergünstigung der Nazis, das frischgebackene Paar eine gemeinsame Nacht verbringen; zu diesem Zweck wurde das Lagerbordell geräumt.
Diese wahre Geschichte, Hackl nennt sie "eine Begebenheit", ist stärker als jeder Autor. Diese Geschichte zu erzählen ist ein handwerklicher Fluch: Sie erzählt sich selbst, oder man macht sie kaputt. Mit diesem Problem hat Hackl fünfzehn Jahre lang gerungen. So lange hatte er Kenntnis von dem Geschehen, die meisten seiner Gespräche mit überlebenden Zeugen und Verwandten waren längst geführt. Doch jetzt erst hat er sie veröffentlicht, in der literarischen Form eines Stimmengewirrs.
Da kommen die beiden Söhne Friemels zu Wort (der erste Sohn aus einer frühen Ehe in Wien, der zweite jener Edi aus der Verbindung mit Margarita), alte Spanien-Kämpfer, die Friemel kannten, solche, die ihm in Auschwitz begegnet sind, eine Frau, die am Standesamt beschäftigt war, und vor allem Margaritas jüngere Schwester Marina, eine unangenehm besserwisserische und resolute Person.
Diese Montage aus vermeintlichen Originalzitaten ist so perfekt wie dezent. Wäre da nicht Hackls Sprache, dieser kühle, schnörkellose und damit so eindringliche Berichtston - man könnte meinen, der Autor hielte sich völlig heraus. Die Montage nimmt der Geschichte auch ihre fast geschmacklose Schärfe, weil sie verwischt und verwirrt: Der Leser hat immer wieder Probleme, zu erkennen, wer gerade spricht, weil die einzelnen Passagen durch nichts als ein paar Leerzeilen getrennt sind. Das ist manchmal anstrengend und frustrierend, erzeugt aber auch eine lehrreiche Spannung: Es drängt einen aus Sensationsgier, das Bild ganz scharf gestellt zu bekommen, doch eben das verweigert Hackl konsequent. Wo man sich gelegentlich nicht auskennt, wo einem dieser Revolutionär und Frauenheld Friemel bis zum Schluß merkwürdig blaß und ungenau bleibt, genau da scheint Hackl seinen doch auch immer etwas pädagogischen Zeigefinger zu heben und zu sagen: Genauer kann es keiner wissen.
Ein seltsames kleines Buch, erschütternd und doch auch zärtlich, schonend. Das Schlimmste und Deutlichste ist das auf der Buchrückseite abgedruckte Hochzeitsbild der kleinen Familie in Auschwitz. Es sieht aus wie irgendein Familienbild auch, lächelnde Eltern im Sonntagsstaat, ein großäugig-schüchternes Kind. Doch haben weder Edi noch Margarita den Rudi Friemel nach diesem Tag wiedergesehen. Er wurde neun Monate danach wegen eines Fluchtversuchs gehenkt. Wie Zeugen berichten, in seinem Hochzeitshemd.
Erich Hackl: "Die Hochzeit von Auschwitz". Eine Begebenheit. Diogenes Verlag, Zürich 2002. 192 S., geb., 16,90 [Euro].
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