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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine kurze Geschichte der Selbstbeschränkung
Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. Es klingt passiv, hört sich nach aufgeben, resignieren, entsagen an, nicht nach leisten und vollbringen. Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches "Die hohe Kunst des Verzichts" nobilitiert. Der emeritierte Philosophie-Professor aus Tübingen nimmt die mangelnde Wertschätzung des Verzichts in unserem Alltag zum Anlass für einen Rückblick auf die Vielfalt historischer Selbstbescheidung. Sein Essay mit Seitenblick zu Kapitalismus, Konsumkritik und Finanzpolitik fragt nach dem anthropologischen Kern von Verzicht im menschlichen Wesen und letztlich nach der aktuellen Bedeutung von Selbstbeschränkung unter heutigen Lebensbedingungen.
Höffes Hardcover mit einem symbolträchtigen Olivenzweig neben dem Schriftzug auf dem zartgrünen Deckblatt wirkt in Titel, Umfang und Design wie ein Zwilling seines Erfolgsbuches "Die hohe Kunst des Alterns" mit Verkaufszahlen im unteren fünfstelligen Bereich. Mit bislang 15 Titeln ab 2000 allein in diesem Verlag gilt der Verfasser auch zahlreicher F.A.Z.-Artikel als auflagenstarker Experte für Lebenskunst und Moral, dem schon 2002 der Bayerische Literaturpreis für wissenschaftliche Darstellung die Lesbarkeit seiner Texte bescheinigt hat.
"Verzicht gehört zum Menschsein", sagt Höffe, und das werde über die Grenzen von Kulturen und Epochen hinweg deutlich. Seine Bestandsaufnahme dazu beginnt mit der Welt des Rechts als Terrain für "Freiheitsverzichte um der Freiheit willen", bei denen kaum jemand an Selbstbeschränkungen denke, obwohl sie dort elementar seien. Höffe diskutiert auch den Verzicht auf Privatjustiz und auf Rache im Strafrecht. Als Verzichtsmuster im individuellen Leben skizziert er anschließend die seit der Antike fortwirkende "Tugendtheorie für das Menschsein". Er ist überzeugt, dass Menschsein nicht möglich ist "ohne tiefgreifende Selbsteinschränkungen, die für Tugenden wie Besonnenheit, Tapferkeit und Klugheit unabdingbar sind." Nicht nur in der christlichen Religion mit ihrer Forderung nach Armut, Demut und Keuschheit findet Höffe "Verzichte, die das Menschsein steigern".
Um aktuelle Probleme wie etwa Finanz-, Umwelt-, Energie-, Covid- und Flüchtlingskrise zu bewältigen oder gar den ganzen Planeten zu retten, dabei den Raubbau an der Natur sowie die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, genügen dem Autor allerdings nicht lediglich von der Einzelperson ausgehende Verzichtsmuster. Denn die Menschheit könne die heutigen globalen Verpflichtungen "nur mittels gewaltiger, geradezu gigantischer Verzichte" bewältigen. Humaner Verzicht verlange dabei gleichermaßen persönliche wie kollektive wirtschaftliche, soziale und politische Selbstbeschränkung: "Die Aufforderung ,Du musst Dein Leben ändern' wird die drängenden Aufgaben der Menschheit nur dann bewältigen, wenn sowohl jeder einzelne und jede Gruppe als auch jeder Staat und schließlich die Staatengemeinschaft willens sind, ihr Leben zu ändern."
Auf dem Weg dorthin appelliert Höffe eindringlich, den Verzicht als Maxime zu rehabilitieren und erheblich aufzuwerten. Denn "Verzichte spielen sowohl bei Grundfragen als auch im gewöhnlichen Alltag, nicht zuletzt in aktuellen Krisen eine so gewichtige Rolle, dass weder das häufige Verdrängen von Selbstbeschränkungen noch ihr schlechter Ruf zu verstehen ist". ULLA FÖLSING
Otfried Höffe: Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung, C. H. Beck, München 2023, 192 Seiten, 20 Euro.
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Neue Zürcher Zeitung, Thomas Ribi
"Kaum ein Wort hat einen so negativen Beigeschmack wie der Verzicht. ... Dem schlechten Ruf zum Trotz hat Otfried Höffe den Begriff schon im Titel seines neuen Buches nobilitiert."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulla Fölsing
"Auf die Lektüre dieses klugen Essays sollte man nicht verzichten."
SWR2 Lesenswert, Wolfgang Schneider