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Der Mythos von der rationalen Unternehmenswelt
Bei Bayer als junger Landeschef in Guatemala hatte Andreas Krebs eine Idee: ein Verkaufsbüro im Nachbarstaat Belize zu gründen. "Belize hat traumhafte Strände, ein Korallenriff vor der Haustür, eine üppige Vegetation und ungefähr so viele Einwohner wie Bielefeld: rund 330 000", schreibt der Manager. Gegen den Widerstand des Mittelamerika-Chefs setzte er sich durch, die Investition war beträchtlich. Und der Nutzen? "Nun ja, überschaubar". Was hatte Krebs wohl angetrieben: der Wille, das Unternehmen voranzubringen? "Wohl doch eher der Ehrgeiz, als Erster eine Terra incognita zu betreten, Zeichen zu setzen, als ruhmreicher Entdecker neuer Welten in die Firmenhistorie einzugehen", gibt er zu. Der einstige Bayer-Mann war in die Ego-Falle getappt.
Wer so über sich lachen kann in einem Buch über die Fallstricke des Manager-Seins, macht es dem Leser schon einmal leicht. Denn der wird sich, sollte er selbst hohe Führungskraft sein, höchstwahrscheinlich an vielen Stellen ertappt fühlen. Krebs und sein früherer Bayer-Kollege Paul Williams haben mit ihrer "Illusion der Unbesiegbarkeit" eine mahnende Anleitung für Manager geschrieben. Einer der Kernpunkte: Jeder langdauernde Erfolg trägt in sich schon den Keim des Scheiterns, weil die Akteure blind werden. Es ist dies nicht das erste Werk seiner Art. Aber die Autoren legen die psychologischen Muster ebenso schonungslos wie charmant dar - voller Anekdoten und plastischer Beispiele aus dem Unternehmensalltag, überaus vergnüglich aufgeschrieben.
Krebs, 60 Jahre, leitet heute den Aufsichtsrat des Arzneikonzerns Merz. Er ist einer der wenigen Deutschen, die es in den Vorstand eines amerikanischen Großunternehmens schafften - wenn auch kurz, denn der Konzern, Wyeth, wurde schnell von Pfizer übernommen. Davor hatte Krebs beinahe 20 Jahre bei Bayer verbracht. Aus der Zeit kennt er den Briten Williams, 57, der im Leverkusener Pharmakonzern unter anderem in der Personalabteilung aufstieg. Seit 2003 arbeitet er als selbständiger Coach und Management-Analytiker. Aus diesem kombinierten Erfahrungsschatz schöpfen die Autoren und reichern ihn an durch Interviews mit Managern, Unternehmens- und Personalberatern.
Als roten Faden haben sie die Inkas gewählt, die Idee dazu kam auf einer gemeinsamen Peru-Reise. Am Auf- und Abstieg der Inkas spiegeln Krebs und Williams den Erfolg und Niedergang von Konzernen. Es geht um die Expansion des Inka-Reichs, seine Herrscher und den externen Schock, die Ankunft der Spanier. Die Analogie zu Übernahmen und Management-Methoden wird sich nicht jedem Leser zwingend aufdrängen. In jedem Fall liefert die Inka-Idee einen neuen Blickwinkel auf das alte Thema Führungslehre.
Prall und saftig wird das Buch durch seine vielen Beispiele aus der Blase des Managerdaseins. Krebs und Williams nehmen die verschwurbelten Sprache der Großkonzerne aufs Korn; Führungskräfte, die sich von ihrer "Rote-Teppich-Welt" blenden lassen; die nicht mehr durch die Werkshallen oder Büros laufen; welche die wenigen Mitarbeiter mit Rückgrat verprellen und nur noch Schleimer um sich haben; die Zahlen und Fakten aus dem Unternehmen zurechtbiegen, um Entscheidungen zu rechtfertigen. Krebs und Williams beschränken sich nicht darauf zu sezieren. Sie geben ebenso Anregungen, wie man der ständig drohenden Ego-Falle ausweicht. An Listen mit konkreten Thesen möge sich der Leser prüfen: "Die Mitarbeiter sind ihr höchstes Gut!? Ein Test."
Nicht nur Führungskräfte lesen dieses Buch mit Gewinn - auch jene, die sich generell für Wirtschaft, für Unternehmen interessieren. Viele glauben ja, es gehe dort rational zu. "Zu den meist gepflegten Mythen im Unternehmensalltag gehört, dass dort vor allem Sachargumente regieren und Emotionen keine Rolle spielen - oder zumindest keine Rolle spielen sollten", schreiben die Autoren. Diesen Mythos zerpflücken sie erfrischend, mit zahllosen Beispielen.
KLAUS MAX SMOLKA
Andreas Krebs / Paul Williams: Die Illusion der Unbesiegbarkeit, Gabal, Offenbach, 2018, 239 Seiten.
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