Mit 19 wusste Irving schon genau, was er wollte: ringen und Romane schreiben. Bis zum Durchbruch von Garp machte er Wien mit seinem Motorrad unsicher und trainierte an amerikanischen Universitäten Ringermannschaften und angehende Schriftsteller. John Irving ganz privat, unspektakulär und sympathisch.
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»Ein wirklich großer Geschichtenerzähler.« Thomas David / Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.1996Ein Würgegriff für alle Fälle
Mit behaarten Armen: John Irving über Schreiben und Ringen
Warum schreibt einer seine Autobiographie? Oft geschieht es aus Eitelkeit, manchmal aus Selbstüberschätzung, seltener aus Langeweile. 1994, nach Erscheinen des Romans "Zirkuskind", wird John Irving an der Schulter operiert; danach stehen ihm vier Monate Krankengymnastik und Aufbautraining bevor - nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, um einen neuen Roman zu beginnen. Und so verfaßt er aus Langeweile einen Bericht über seine Doppelexistenz als Ringer und Schriftsteller.
Irving ringt und schreibt seit dem vierzehnten Lebensjahr. Es stört ihn nicht, daß er als Ringer nur "halbwegs passabel" ist. "Daß du nicht besonders begabt bist", sagt ihm sein erster Trainer, "braucht nicht das Ende vom Lied zu sein." Und so verbissen Irving auf der Matte trainiert, so beharrlich verbessert er auch sein Schreiben. "Für mich steht zweifellos fest, daß ich durch das Ringen mehr gelernt habe als durch Creative-Writing-Kurse; gut schreiben bedeutet umschreiben, und um gut zu ringen, muß man es immer wieder tun - man muß die Griffe und Bewegungen unermüdlich wiederholen, bis sie einem zur zweiten Natur werden. Ich habe mich weder je als ,geborenen' Schriftsteller empfunden noch als ,geborenen' oder auch nur guten Athleten. Gut bin ich im Umschreiben; auf Anhieb bekomme ich nie etwas richtig hin, aber ich weiß, wie man verbessert, und verbessere immer wieder."
Nichts liegt Irving ferner als Mythenbildung. Niemals glorifiziert er das Ringen so, wie es Hemingway oder Algren mit dem Boxsport taten. "Ringen", definiert er, "ist wie Boxen ein Gewichtsklassensport, bei dem man mit Leuten gleicher Größe aufeinanderprallt."
Leider werden die Leute, mit denen Irving zusammenprallt, alle namentlich genannt. Der Arbeitstitel des Buches lautete "Mentoren", und letztendlich ist es eine umfangreiche Variante der freundlichen Danksagungen, die man aus Irvings Romanen kennt (in den Vereinigten Staaten erschien der großzügig bebilderte Text nicht selbständig, sondern wurde einer Storysammlung beigegeben).
Gut ist Irving immer dann, wenn er zu erzählen beginnt, wenn er zum Beispiel beschreibt, wie ein Taxifahrer drei junge Ringer von New York nach West Point fährt. Der Taxifahrer, der New York noch nie verlassen hat, jammert plötzlich: "Ich hab noch nie so viele Bäume gesehen." In dem verängstigten Taxifahrer erkennt der Leser einen alten Bekannten, nämlich den Chauffeur Dante Calicchio, der Fred Bogus Trumper in "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker" für 100 Dollar von New York nach Maine bringt. Aber das ist nur eines der zahllosen Déjà-vus, die durch den Text geistern.
Die anrührendsten Stellen des flüssig übersetzten Buches handeln von den verstorbenen Freunden, und ganz wie in seinen Romanen überzeugen Ehrlichkeit und schmuckloser, präziser Stil. In der Erzählung "Rettungsversuch für Piggy Sneed" spricht Irving von der "rigorosen Plackerei mit der Sprache". Diese Plackerei ist wohl das Geheimnis seiner Unmittelbarkeit: Seine Sätze wirken wie gesprochen. Auf Irving trifft zu, was er über Dickens schreibt: "Seine Bücher sind nie eitel . . . Er war auch nicht so eingebildet zu glauben, daß seine Liebe zur Sprache oder sein Gebrauch der Sprache etwas Besonderes seien; er konnte sehr elegante Prosa schreiben, wenn er wollte, aber er hatte nie so wenig zu sagen, daß es ihm beim Schreiben einzig um die Schönheit der Sprache zu tun gewesen wäre." CHRISTOPHER ECKER
John Irving: "Die imaginäre Freundin". Vom Ringen und Schreiben. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 165 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit behaarten Armen: John Irving über Schreiben und Ringen
Warum schreibt einer seine Autobiographie? Oft geschieht es aus Eitelkeit, manchmal aus Selbstüberschätzung, seltener aus Langeweile. 1994, nach Erscheinen des Romans "Zirkuskind", wird John Irving an der Schulter operiert; danach stehen ihm vier Monate Krankengymnastik und Aufbautraining bevor - nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, um einen neuen Roman zu beginnen. Und so verfaßt er aus Langeweile einen Bericht über seine Doppelexistenz als Ringer und Schriftsteller.
Irving ringt und schreibt seit dem vierzehnten Lebensjahr. Es stört ihn nicht, daß er als Ringer nur "halbwegs passabel" ist. "Daß du nicht besonders begabt bist", sagt ihm sein erster Trainer, "braucht nicht das Ende vom Lied zu sein." Und so verbissen Irving auf der Matte trainiert, so beharrlich verbessert er auch sein Schreiben. "Für mich steht zweifellos fest, daß ich durch das Ringen mehr gelernt habe als durch Creative-Writing-Kurse; gut schreiben bedeutet umschreiben, und um gut zu ringen, muß man es immer wieder tun - man muß die Griffe und Bewegungen unermüdlich wiederholen, bis sie einem zur zweiten Natur werden. Ich habe mich weder je als ,geborenen' Schriftsteller empfunden noch als ,geborenen' oder auch nur guten Athleten. Gut bin ich im Umschreiben; auf Anhieb bekomme ich nie etwas richtig hin, aber ich weiß, wie man verbessert, und verbessere immer wieder."
Nichts liegt Irving ferner als Mythenbildung. Niemals glorifiziert er das Ringen so, wie es Hemingway oder Algren mit dem Boxsport taten. "Ringen", definiert er, "ist wie Boxen ein Gewichtsklassensport, bei dem man mit Leuten gleicher Größe aufeinanderprallt."
Leider werden die Leute, mit denen Irving zusammenprallt, alle namentlich genannt. Der Arbeitstitel des Buches lautete "Mentoren", und letztendlich ist es eine umfangreiche Variante der freundlichen Danksagungen, die man aus Irvings Romanen kennt (in den Vereinigten Staaten erschien der großzügig bebilderte Text nicht selbständig, sondern wurde einer Storysammlung beigegeben).
Gut ist Irving immer dann, wenn er zu erzählen beginnt, wenn er zum Beispiel beschreibt, wie ein Taxifahrer drei junge Ringer von New York nach West Point fährt. Der Taxifahrer, der New York noch nie verlassen hat, jammert plötzlich: "Ich hab noch nie so viele Bäume gesehen." In dem verängstigten Taxifahrer erkennt der Leser einen alten Bekannten, nämlich den Chauffeur Dante Calicchio, der Fred Bogus Trumper in "Die wilde Geschichte vom Wassertrinker" für 100 Dollar von New York nach Maine bringt. Aber das ist nur eines der zahllosen Déjà-vus, die durch den Text geistern.
Die anrührendsten Stellen des flüssig übersetzten Buches handeln von den verstorbenen Freunden, und ganz wie in seinen Romanen überzeugen Ehrlichkeit und schmuckloser, präziser Stil. In der Erzählung "Rettungsversuch für Piggy Sneed" spricht Irving von der "rigorosen Plackerei mit der Sprache". Diese Plackerei ist wohl das Geheimnis seiner Unmittelbarkeit: Seine Sätze wirken wie gesprochen. Auf Irving trifft zu, was er über Dickens schreibt: "Seine Bücher sind nie eitel . . . Er war auch nicht so eingebildet zu glauben, daß seine Liebe zur Sprache oder sein Gebrauch der Sprache etwas Besonderes seien; er konnte sehr elegante Prosa schreiben, wenn er wollte, aber er hatte nie so wenig zu sagen, daß es ihm beim Schreiben einzig um die Schönheit der Sprache zu tun gewesen wäre." CHRISTOPHER ECKER
John Irving: "Die imaginäre Freundin". Vom Ringen und Schreiben. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Irene Rumler. Diogenes Verlag, Zürich 1996. 165 S., geb., 32,- DM.
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