- Die Geschichte der Indianer Nordamerikas in einer wissenschaftlich fundierten Darstellung
- Von einer ausgewiesenen Expertin für indianische Geschichte
- Die überfällige Revision eines historischen Klischees
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Heike Bungert erzählt die Geschichte der Indianer
in den USA – betont nüchtern und sachbezogen
VON HARALD EGGEBRECHT
Am Ende dieser kompakt aufs Notwendige zusammengeschobenen „Geschichte der indigenen Nationen in den USA“ hat einen doch wieder das melancholische Gefühl jahrhundertelanger Vergeblichkeit eingeholt. Vielleicht liegt das an einer spezifisch deutschen Empathie für die „roten Gentlemen“, die spätestens mit Karl Mays Fantasie-Indianer Winnetou tief in die hiesige Mentalität eingewachsen zu sein scheint. Dagegen vermeidet Heike Bungert, Historikerin an der Universität Münster mit Schwerpunkt auf nordamerikanischer Geschichte, in ihrem historischen Überblick über die indianischen Völker und Kulturen geradezu ausdrücklich jegliche romantische Gefühlsduselei oder mitleidige Sentimentalität. Weder von stolzen Kriegern noch von edlen Wilden ist bei ihr die Rede, sondern sie referiert den gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung.
Bungert betont von Beginn an, dass die Indigenen keineswegs passive Dulder waren und sind. Vier Hauptspuren verfolgt ihr Buch: „Erstens soll die aktive Rolle indianischer Gruppen aufgezeigt werden.“ Etwa die indianischen Übernahmen von „Produkten, Lebensweisen und Kulturpraktiken“ der Weißen und wie umgekehrt indianische Praktiken und Erzeugnisse von den Weißen adaptiert wurden. Auch das politische Geschick, mit dem „indianische Gruppen die Konkurrenz zwischen den europäischen Nationen nutzten, um diese gegeneinander auszuspielen.“ Zweitens geht es um die Gesamtgeschichte vom frühen Weg über die Beringsee bis zur Gegenwart, wobei nicht „alle der über sechshundert Indianergruppen berücksichtigt werden“ können, sondern für die jeweilige Zeit beispielhafte Gruppen ausgewählt werden. „Drittens liegt ein Augenmerk auf indigenen Frauen und ihrer sich wandelnden Stellung“ innerhalb der indianischen Gruppen. Viertens soll die gegenseitige Wahrnehmung und das jeweilige „euroamerikanische Indianerbild einbezogen werden, das häufig die euroamerikanische Indianerpolitik wesentlich beeinflusste.“ Sie schildert also sehr knapp, wie Nordamerika von Asien aus besiedelt wurde, sich die Gruppen und Völker ausdifferenzierten und unterschiedliche Lebensweisen verfolgten je nach geografischen Verhältnissen, ob im waldreichen Land an der Ostküste, in den großen Städten wie Cahokia im Mississippi-Tal oder den weiten Prärien der Bisonjäger. Bis 1491 entfalteten sich so die indigenen Nationen nahezu ungestört von äußeren Einflüssen.
Die nach Columbus dann folgenden Begegnungen mit den eindringenden Europäern gestalteten sich vielfältig und keineswegs sofort kriegerisch, auch wenn sich die Spanier sogleich mit Brutalität und Grausamkeit einführten. Damals aber im 16. und 17. Jahrhundert sind die indianischen Völker trotz allem Herren ihrer selbst, können entscheiden und verhandeln, sich aus guten Gründen wehren oder auch zurückziehen, um selbstbestimmt leben zu können. Bungert verhehlt auch nicht, dass es auch zwischen den indigenen Nationen blutige Auseinandersetzungen, Folter, Sklaverei und ähnliches gab.
Zwei Zeiträume locken besonders: Zum einen die vielfältig unter Paläontologen, Anthropologen und Archäologen debattierte Urgeschichte der Besiedelung des Doppelkontinents, die mit jedem Knochenfund neu einsetzen muss. Wer waren die ersten, woher kamen sie und wie gelangten sie nach Amerika? Bungert bleibt konsequent sachbezogen und erklärt so zum Beispiel den erst vor Kurzem beigelegten Streit um den Kennewick Man, der durch DNA-Analysen eindeutig als Vorfahr von heute lebenden Indianern identifiziert wurde.
Zum anderen stellt Bungert, so kursorisch das in der Kürze nur möglich ist, die verschiedenen panindianischen Wiederbelebungsbewegungen nach 1945 und besonders in den Siebzigerjahren nachvollziehbar dar, die Red-Power-Bewegung, zu der auch eine Vielzahl verschiedener anderer Zusammenschlüsse und Organisationen gehören wie etwa das American Indian Movement. Die Besetzungen der Insel Alcatraz in der San Francisco Bay oder von Wounded Knee zeigten das neue und gesteigerte Selbstbewusstsein, das mit den Protesten gegen den Vietnamkrieg und der Black-Power-Bewegung korrespondierte. „Dennoch sehen sich Indianer eher in Solidarität mit anderen indigenen Gruppen und wünschen Souveränität und Vertrags- statt Bürgerrechte.“
Bei aller Nüchternheit ihrer Darstellung kann Heike Bungert trotzdem nicht verhindern, dass sie wohl oder übel im Zuge der Zunahme europäischer Siedler, deren Landhunger und Besitzstreben immer mehr von erlebter und erlittener Verdrängung der indigenen Nationen erzählt: von Vertreibung, dem diplomatischen, pragmatischen oder verzweifelten Widerstand dagegen, von stetiger Diskriminierung und dagegen gesetzten Assimilierungsversuchen, von eindrucksvollen Wiederbelebungen indianischen Denkens und indianischer Eigenständigkeit und dem häufigen, nahezu unvermeidlichen Scheitern am Siedlungsdruck der Euroamerikaner, ihrem unverhohlenem Rassismus und dem Dünkel, zivilisatorisch weit überlegen zu sein.
Berühmte Helden – ob Metacomet oder Pontiac, ob Tecumseh oder Sitting Bull, ob Geronimo oder Chief Joseph, Pokahontas und andere nicht zu vergessen – sie alle treten hier nur so kurz und unheroisch auf, wie es die Geschichte gewissermaßen diktiert. Die in Romanen und Filmen immer wieder ausgefabelten wenigen indianischen Siegesschlachten, etwa die von Little Bighorn, in der die 7. Kavallerie unter Oberstleutnant Custer geschlagen wurde, oder die schändlichen Massaker der Euroamerikaner an Frauen und Kindern, etwa die von Sand Creek oder Wounded Knee, werden hier nicht überbetont gegenüber den vielen gegenseitigen Verhandlungen, Verträgen, Landkäufen und Landtauschgeschäften, die, wenn sie gelangen und nicht Betrug ihre Grundlage war, den indianischen Nationen trotzdem immer nur kurze Weile Ruhe verschafften. Jedenfalls kann man mit Heike Bungerts Buch Romantisierern ebenso wie mitleidigen Paternalisten gut gerüstet entgegentreten.
Heike Bungert: Die Indianer. Geschichte der indigenen Nationen in den USA. C. H. Beck Verlag, München 2020. 286 Seiten, 16, 95 Euro.
Wer waren die ersten, woher
kamen sie und wie
gelangten sie nach Amerika?
„Red Power“: Im November 1969 besetzten 78 junge amerikanische Ureinwohner die Insel Alcatraz.
Foto: imago stock&people
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