Fake News, Halbwahrheiten, Konspirationstheorien – die Ausbreitung von Desinformation in der digitalisierten Welt, insbesondere in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, wird immer mehr zur Bedrohung und zur Herausforderung für unsere Demokratie. Das Buch analysiert, welche Trends die Aufmerksamkeitsökonomie in eine Desinformationsökonomie verwandeln. Stichworte sind der langfristige Glaubwürdigkeitsverlust der traditionellen Medien, das rapide Wachstum und die Professionalisierung der Public Relations, die ungeplanten Folgen der rasanten Digitalisierung, darunter das Fehlen eines Geschäftsmodells für den Journalismus, Echokammern im Netz sowie die Algorithmen als neue Schleusenwärter in der öffentlichen Kommunikation. Eine strategische Rolle spielen die allmächtigen IT-Giganten, die sich nicht in ihre Karten gucken lassen möchten. Unter diesen Bedingungen gibt es vermehrt Akteure, die aus machtpolitischen Motiven an medialer Desinformation und an der Destabilisierung unserer Demokratie interessiert sind, oder die aus kommerziellen Motiven eine solche Destabilisierung in Kauf nehmen. Der Tradition der Aufklärung verpflichtet, ist die zentrale Frage des Buches, wie sich der wachsende Einfluss der "Feinde der informierten Gesellschaft" eindämmen lässt, darunter Populisten, Autokraten und deren Propagandatrupps. Könnte zum Beispiel eine "Allianz für die Aufklärung" etwas bewirken, der sich seriöse Journalisten und Wissenschaftler gemeinsam anschliessen? Dazu bedarf es nicht zuletzt realistischer Selbsteinschätzung auf seiten der Akteure. Dazu verhelfen Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie und der Verhaltensökonomie, die im Buch auf die Handelnden und den Prozess der öffentlichen Kommunikation bezogen werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.2018Strampeln in der Flut von Desinformationen
Durchs wilde Durcheinandertal: Stephan Russ-Mohl sieht in der Gratiskultur den großen Sündenfall seriöser Nachrichtenmedien
Wer das Internet und die sozialen Netzwerke vor zehn Jahren als Gefahr für die Demokratie beschrieb, hatte noch Glück, dafür belächelt zu werden. Heute wird ihre Verantwortung für gesellschaftliche Spaltungen von kaum jemandem bestritten. Mittlerweile sehen die in die Defensive geratenen Internetkonzerne sogar selbst Handlungsbedarf, wirken in ihren Versuchen, Falschnachrichten und Hetze auf ihren Plattformen zu bekämpfen, aber hilflos. Facebooks jüngste Maßnahme, Nachrichten von Freunden und Familie, die schon heute rund siebzig Prozent seines Newsfeeds ausmachen, noch einmal höher zu bewerten, wird zu politischer Aufklärung wenig beitragen und eher den Rückzug auf Gesinnungsinseln verstärken.
Nun ist Facebook, über das 45 Prozent der Amerikaner ihre Informationen beziehen, kein Nachrichtenportal, sondern eine börsennotiertes Werbeunternehmen, das vom schrill geführten Aufmerksamkeitskampf wirtschaftlich profitiert. Wo es aus Imagegründen nicht dazu gezwungen ist, hat das Netzwerk kein wirkliches Interesse am Kampf gegen Hetze und Desinformation. Das Problem liegt in der Struktur, dem Geschäftsmodell. Mit diesem dominant gewordenen Geschäftsmodell sieht der Kommunikationswissenschaftler Stephan Russ-Mohl das Ende einer Medienkultur heraufziehen, die auf Konsens abzielte und demokratische Kompromissbildung stützte. Der forcierte Aufmerksamkeitskampf in den Netzwerken führt zum Diskursmonopol einer kleinen Fraktion von Dauererregten. Das Interesse am Allgemeinen wird von partikularem Stammesdenken unterminiert. Und die oft kurzlebigen Versuche von Fakten-Korrektiven, gegen die Desinformationsflut anzukämpfen, werden vom Strom der Falschnachrichten weggespült.
Russ-Mohl sieht zwei Schritte, wie es dazu gekommen ist: Der erste bestand in der Machtverschiebung vom Journalismus zur PR. Der personell ausgezehrte Journalismus hat heute kaum noch die Möglichkeit, den gewaltig aufgestockten PR-Abteilungen die Stirn zu bieten. Mischformen wie Native Advertising verwischen die Grenze zwischen Nachricht und Werbung und schaffen, wo sie an journalistische Redaktionen ausgelagert werden, neue Abhängigkeiten. Im zweiten Schritt kamen die Netzwerke, die journalistische Formen entgrenzten und die wirtschaftliche Basis der Qualitätsmedien angriffen.
Ganz unschuldig an der Vertrauenskrise sind die traditionellen Medien für Russ-Mohl nicht. Er wirft ihnen vor, durch angepasste Berichterstattung besonders in Flüchtlings- und Euro-Krise, aber auch bei Themen wie Steuerflucht und Vermögenszuwächsen der Oberschicht Vertrauen verspielt zu haben. Allerdings setzt selbstbewusster Journalismus wirtschaftliche Solidität voraus.
Heute werden traditionelle Medien als Filter in der Desinformationsflut wieder geschätzt, sind aber in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet. Werbeeinnahmen sind zu den Netzwerken abgewandert, und noch ist kein existenzsicherndes Digital-Modell gefunden. Als Erbsünde identifiziert Russ-Mohl die Gratiskultur, die von den Netzwerken zur Gewinnquelle gemacht werden konnte und die zugleich dazu führte, dass seriöse Nachrichten in einen Strudel aus Unterhaltung und Fake-News gezogen wurden.
Natürlich sind die von Russ-Mohl detailreich und kundig beschriebenen Phänomene heute mehr oder weniger bekannt. Der Autor belässt es aber nicht bei der Analyse, er sucht nach Auswegen. Sein Appell an individuelle Verantwortung bei der Medienauswahl ist sicher richtig, wird aber nicht ausreichen. Das Erstaunliche ist ja gerade die Verhaltensstarre auf individueller Ebene. Der Konsens über das politisch zerstörerische Wirken der Netzwerke hat nicht zu serienweisen Abmeldungen geführt, sondern die Bewusstseinsmacht der Konzerne demonstriert. Und wenn einer neuen Umfrage zufolge nur zehn Prozent der Deutschen mehr als einmal wöchentlich Nachrichten lesen und mehr als die Hälfte ihre Kompetenz, zwischen seriös und unseriös zu unterscheiden, als gering bewerten, kann die Antwort nur in der Sicherung von Qualitätsstrukturen liegen.
Welche Möglichkeiten bieten sich? Das oft genannte Mäzenatentum ist als journalistische Finanzierungsquelle zu volatil und schafft neue Abhängigkeiten. Auch gegenüber staatlicher Alimentierung ist Russ-Mohl skeptisch. Zustimmung verdient seine Forderung, Europa müsse technologische Souveränität zurückerlangen. Schnelle Erfolge sind hier aber nicht zu erwarten. Als kurzfristig greifende Maßnahme bleibt vorerst die Regulierung, die letztlich nur darin besteht, den Netzwerken keine weitere Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen und sie redaktionell in die Pflicht zu nehmen, wogegen sie sich lange und oft mit Entgegenkommen der Gerichte gesträubt haben.
Hier ergeben sich, gerade was das Kartellrecht betrifft, Spielräume. Werden sie konsequenter als in der Vergangenheit genutzt, stellt sich den Netzwerken die Schicksalsfrage: Können sie Milliarden von Posts und Tweets ohne grundlegende Eingriffe in ihr Geschäftsmodell überhaupt kontrollieren? Die Konzerne werden sich mit aller Macht wehren. Aber die von Russ-Mohl beschriebene Lage ist zu ernst, als dass man sich davon beeindrucken lassen sollte
THOMAS THIEL
Stephan Russ-Mohl: "Die
informierte Gesellschaft und ihre Feinde". Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet.
Herbert von Halem-Verlag, Köln 2017. 238 S., Abb., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Durchs wilde Durcheinandertal: Stephan Russ-Mohl sieht in der Gratiskultur den großen Sündenfall seriöser Nachrichtenmedien
Wer das Internet und die sozialen Netzwerke vor zehn Jahren als Gefahr für die Demokratie beschrieb, hatte noch Glück, dafür belächelt zu werden. Heute wird ihre Verantwortung für gesellschaftliche Spaltungen von kaum jemandem bestritten. Mittlerweile sehen die in die Defensive geratenen Internetkonzerne sogar selbst Handlungsbedarf, wirken in ihren Versuchen, Falschnachrichten und Hetze auf ihren Plattformen zu bekämpfen, aber hilflos. Facebooks jüngste Maßnahme, Nachrichten von Freunden und Familie, die schon heute rund siebzig Prozent seines Newsfeeds ausmachen, noch einmal höher zu bewerten, wird zu politischer Aufklärung wenig beitragen und eher den Rückzug auf Gesinnungsinseln verstärken.
Nun ist Facebook, über das 45 Prozent der Amerikaner ihre Informationen beziehen, kein Nachrichtenportal, sondern eine börsennotiertes Werbeunternehmen, das vom schrill geführten Aufmerksamkeitskampf wirtschaftlich profitiert. Wo es aus Imagegründen nicht dazu gezwungen ist, hat das Netzwerk kein wirkliches Interesse am Kampf gegen Hetze und Desinformation. Das Problem liegt in der Struktur, dem Geschäftsmodell. Mit diesem dominant gewordenen Geschäftsmodell sieht der Kommunikationswissenschaftler Stephan Russ-Mohl das Ende einer Medienkultur heraufziehen, die auf Konsens abzielte und demokratische Kompromissbildung stützte. Der forcierte Aufmerksamkeitskampf in den Netzwerken führt zum Diskursmonopol einer kleinen Fraktion von Dauererregten. Das Interesse am Allgemeinen wird von partikularem Stammesdenken unterminiert. Und die oft kurzlebigen Versuche von Fakten-Korrektiven, gegen die Desinformationsflut anzukämpfen, werden vom Strom der Falschnachrichten weggespült.
Russ-Mohl sieht zwei Schritte, wie es dazu gekommen ist: Der erste bestand in der Machtverschiebung vom Journalismus zur PR. Der personell ausgezehrte Journalismus hat heute kaum noch die Möglichkeit, den gewaltig aufgestockten PR-Abteilungen die Stirn zu bieten. Mischformen wie Native Advertising verwischen die Grenze zwischen Nachricht und Werbung und schaffen, wo sie an journalistische Redaktionen ausgelagert werden, neue Abhängigkeiten. Im zweiten Schritt kamen die Netzwerke, die journalistische Formen entgrenzten und die wirtschaftliche Basis der Qualitätsmedien angriffen.
Ganz unschuldig an der Vertrauenskrise sind die traditionellen Medien für Russ-Mohl nicht. Er wirft ihnen vor, durch angepasste Berichterstattung besonders in Flüchtlings- und Euro-Krise, aber auch bei Themen wie Steuerflucht und Vermögenszuwächsen der Oberschicht Vertrauen verspielt zu haben. Allerdings setzt selbstbewusster Journalismus wirtschaftliche Solidität voraus.
Heute werden traditionelle Medien als Filter in der Desinformationsflut wieder geschätzt, sind aber in ihrer wirtschaftlichen Substanz gefährdet. Werbeeinnahmen sind zu den Netzwerken abgewandert, und noch ist kein existenzsicherndes Digital-Modell gefunden. Als Erbsünde identifiziert Russ-Mohl die Gratiskultur, die von den Netzwerken zur Gewinnquelle gemacht werden konnte und die zugleich dazu führte, dass seriöse Nachrichten in einen Strudel aus Unterhaltung und Fake-News gezogen wurden.
Natürlich sind die von Russ-Mohl detailreich und kundig beschriebenen Phänomene heute mehr oder weniger bekannt. Der Autor belässt es aber nicht bei der Analyse, er sucht nach Auswegen. Sein Appell an individuelle Verantwortung bei der Medienauswahl ist sicher richtig, wird aber nicht ausreichen. Das Erstaunliche ist ja gerade die Verhaltensstarre auf individueller Ebene. Der Konsens über das politisch zerstörerische Wirken der Netzwerke hat nicht zu serienweisen Abmeldungen geführt, sondern die Bewusstseinsmacht der Konzerne demonstriert. Und wenn einer neuen Umfrage zufolge nur zehn Prozent der Deutschen mehr als einmal wöchentlich Nachrichten lesen und mehr als die Hälfte ihre Kompetenz, zwischen seriös und unseriös zu unterscheiden, als gering bewerten, kann die Antwort nur in der Sicherung von Qualitätsstrukturen liegen.
Welche Möglichkeiten bieten sich? Das oft genannte Mäzenatentum ist als journalistische Finanzierungsquelle zu volatil und schafft neue Abhängigkeiten. Auch gegenüber staatlicher Alimentierung ist Russ-Mohl skeptisch. Zustimmung verdient seine Forderung, Europa müsse technologische Souveränität zurückerlangen. Schnelle Erfolge sind hier aber nicht zu erwarten. Als kurzfristig greifende Maßnahme bleibt vorerst die Regulierung, die letztlich nur darin besteht, den Netzwerken keine weitere Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen und sie redaktionell in die Pflicht zu nehmen, wogegen sie sich lange und oft mit Entgegenkommen der Gerichte gesträubt haben.
Hier ergeben sich, gerade was das Kartellrecht betrifft, Spielräume. Werden sie konsequenter als in der Vergangenheit genutzt, stellt sich den Netzwerken die Schicksalsfrage: Können sie Milliarden von Posts und Tweets ohne grundlegende Eingriffe in ihr Geschäftsmodell überhaupt kontrollieren? Die Konzerne werden sich mit aller Macht wehren. Aber die von Russ-Mohl beschriebene Lage ist zu ernst, als dass man sich davon beeindrucken lassen sollte
THOMAS THIEL
Stephan Russ-Mohl: "Die
informierte Gesellschaft und ihre Feinde". Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet.
Herbert von Halem-Verlag, Köln 2017. 238 S., Abb., geb., 23,- [Euro].
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