Mit einem verschmitzten Lächeln sagt er: »Was sich seit dem WM-Titel für mich geändert hat? - die Menschen in Deutschland wissen jetzt, dass Herbert nicht mein Vor- sondern mein Nachname ist.« Gordon Herbert, der Architekt hinter der erfolgreichsten Ära des deutschen Basketballs und dem ersten Triumph bei einer Weltmeisterschaft, teilt in diesem Buch sein Erfolgsrezept. Von der Bedeutung langjähriger Spieler-Commitments und einer klaren Rollenverteilung, über Rennpferde und Schweine oder Löwen, die er lieber zähmt, als Katzen das Brüllen beizubringen, hin zu seiner Leadership-Philosophie – er gibt zu allem exklusive Einblicke in das Innenleben seiner Arbeit und des Teams. Dabei wird er auch persönlich. Zum ersten Mal spricht er offen über seine langjährige Depression, mentale Gesundheit im Hochleistungssport und warum Menschlichkeit für ihn den höchsten Wert darstellt. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch sein Leben, über das er selbst sagt: „Ich war am Leben, ich fühlte mich aber nicht lebendig.“ Mit O-Tönen & einem Blick hinter die Kulissen von Dennis Schröder, den Wagner Brüdern, Daniel Theis und allen Weltmeistern!
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2024"Ich hoffte, der nächste Tag würde nicht kommen"
Wie Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert die Dämonen in seinem Leben überwand
Von Michael Reinsch, Berlin
Meine Schmerzen wollten nicht verschwinden. Ich bekam über Jahre hinweg Injektionen in den Rücken, die schmerzlindernd wirken sollten", schreibt der Weltmeister-Trainer: "Die Behandlung fand immer ohne Betäubung und ohne Schmerztabletten statt, weil die Ärzte anhand meiner Reaktion - animalische Schreie - sicherstellen mussten, den richtigen Punkt getroffen zu haben. Die Behandlungen waren das Schmerzhafteste und Schlimmste, was ich je erlebt habe. Ich würde mich dem nie wieder aussetzen."
Gordon Herbert, Trainer der deutschen Basketball-Nationalmannschaft, hat jahrelang ein mehr oder weniger geheim gehaltenes Leben geführt. In seiner Autobiographie "Die Jungs gaben mir mein Leben zurück", die an diesem Dienstag erscheint, beschreibt der Kanadier, dass er aufgrund einer schweren Wirbelsäulenverletzung in ein Schmerztrauma, in Depression und Alkoholabhängigkeit geriet. Niemand durfte davon etwas erfahren. An der Wegscheide zwischen Aufgeben und neuer Aufgabe entschied er sich im Herbst 2021, das Angebot anzunehmen, Bundestrainer zu werden. Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen. Der Weg zum WM-Titel mit der deutschen Auswahl im vergangenen September begann in einem tiefen Tief, wie man es sich kaum vorstellen kann.
Herbert hat mehr zu erzählen, als die Reise zu beschreiben, die er unter anderen mit seinen Spielern Dennis Schröder, Franz Wagner und Johannes Voigtmann erlebte. Er hat mehr weiterzugeben als die Rollenverteilung im Team - "Rennpferde und Schweine" - etwa an Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann. Das berühmte Bild, wie er nach dem Sieg im WM-Endspiel über Serbien auf dem Parkett sitzt und den Erfolg zu genießen scheint, kommentiert Dirk Nowitzki im Vorwort: "In solchen Momenten merkst du erst, wie viel in so einer Sache steckt: wie viel Druck, wie viel Einsatz, wie viel Erleichterung. Zu sehen, wie die Emotionen bei ihm rauskamen, was nicht oft passiert, hat mich sehr gerührt, und ich habe mich für ihn gefreut." Mutig und wichtig nennt er, wie Herbert sich seinen Dämonen stellte und wie er nun offen darüber spricht: "Dadurch können wir alle aus seiner Erfahrung lernen und von seinen Einsichten profitieren."
Genau das will Herbert. "Vor meiner Depression stellte ich mir immer wieder die unschöne Frage, warum Menschen sich ihr Leben nehmen und nicht weiterkämpfen. Durch meine Depression konnte ich nicht nur verstehen, sondern in der Tiefe nachempfinden, dass es einen Punkt im Leben geben kann, an dem du nicht mehr willst, keinen Sinn mehr erkennst, keinen Halt mehr in dir findest, der dir den Impuls schenkt, weiterleben zu wollen", schreibt er: "Meiner Erfahrung nach ist es das Wichtigste in so einer Phase, dass man sich traut, um Hilfe zu bitten. Es kann fatale Konsequenzen haben, wenn man sich aus falschem Stolz nicht helfen lässt, oder aus Angst, man könnte schwach wirken. Es darf kein Tabu und kein Stigma geben, wenn man psychisch erkrankt ist." Ein riesiges Problem sei das Thema mentale Gesundheit im Hochleistungssport. Infrastruktur und Unterstützungssysteme müssten dringend neu aufgesetzt werden. Gerade für Athleten bestehe die Gefahr, dass sie zu tief in den Abgrund gerieten, bevor sie merkten: Hier läuft etwas falsch.
Am 10. April 2009 beginnt Herberts Leidensweg. Während einer Trainersitzung bei den Toronto Raptors bricht sein Stuhl zusammen, er stürzt und erleidet eine Fraktur seiner Wirbelsäule. Trotz der kaum zu ertragenden Schmerzen arbeitet er weiter. Eine Notoperation, für die er nach Finnland fliegt, ist Anlass für nur eine kurze Reha, dann geht es schon weiter mit Engagements in Espoo und der Rückkehr zu den Skyliners Frankfurt, mit denen er sechs Jahre zuvor deutscher Meister geworden war.
Im September 2010, anderthalb Jahre nach dem Unfall, bricht Herbert im Trainingslager zusammen. Er kann nicht denken, nicht planen, nicht einmal mehr sprechen. "Es fühlte sich an, als wäre mir ein Stecker gezogen worden und dadurch mein Verstand und mein Gehirn ausgeschaltet. Ich war komplett blank, ein Gefühl, das ich nicht kannte und das mir Angst machte." Schmerzen, Stress und die emotionale Belastung durch die Scheidung von seiner Frau hatten zu einer akuten Depression geführt. Nach zwei Wochen Pause steigt er dennoch wieder ein in die Arbeit. Im Rückblick beschreiben Freunde, dass sie in seinen Augen nur Leere gesehen hätten; er sei zwar anwesend gewesen, man habe aber keine Präsenz gespürt.
Während der Saison ist er ständig in Therapie, zweimal stationär. Dennoch hielten er und die wenigen bei den Skyliners, die eingeweiht waren, seinen Zustand geheim. Alles andere hätte, so schreibt er, das Ende seiner Karriere bedeutet. Und so wechselt er, statt eine Auszeit zu nehmen, nach Berlin. Der Ortswechsel, die starken Medikamente, das Verheimlichen seines Leidens treiben ihn in die Isolation und zu Unbeherrschtheit. Er brüllt Spieler an, am Abend leert er schon mal eine ganze Flasche Wein. Das Gerücht kursiert, dass er ein Alkoholproblem habe. Erst als der Klub sich von ihm trennt, versucht Herbert, zu sich zu kommen.
Nach einem Jahr Pause beginnt er 2013 ein drittes Mal in Frankfurt, und diesmal prägt er eine Ära. Ihr Höhepunkt ist der Gewinn des FIBA Europe Cup 2016 und Herberts Wahl zum Trainer des Jahres. Gleichzeitig kann er seine Schmerzen kaum ertragen. "An vielen Tagen hoffte ich abends, dass der nächste Tag einfach nicht mehr kommen würde", schreibt er: "Mein Wille, durchzuhalten und niemals aufzugeben, egal wie schwer und dunkel es wird, war das Einzige, das ich noch an mir selbst respektieren und wertschätzen konnte." Nach der Saison unterzieht er sich einer zweiten Rücken-OP und nimmt sich Zeit für fünf Wochen Reha. Nun erst, konstatiert er, ist das Gespenst besiegt, sieben Jahre nach dem Unfall. "Es dauerte eine ganze Weile, bis es mir gelang, mich selbst zu spüren, weil ich jahrelang täglich Tabletten in Form von Antidepressiva zu mir genommen hatte, die den Körper und die Gefühle verstummen ließen", schreibt Herbert: "Mich langsam an mich selbst heranzutasten und einen Bezug zu mir herzustellen, das fühlte sich gut und richtig an."
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Wie Basketball-Bundestrainer Gordon Herbert die Dämonen in seinem Leben überwand
Von Michael Reinsch, Berlin
Meine Schmerzen wollten nicht verschwinden. Ich bekam über Jahre hinweg Injektionen in den Rücken, die schmerzlindernd wirken sollten", schreibt der Weltmeister-Trainer: "Die Behandlung fand immer ohne Betäubung und ohne Schmerztabletten statt, weil die Ärzte anhand meiner Reaktion - animalische Schreie - sicherstellen mussten, den richtigen Punkt getroffen zu haben. Die Behandlungen waren das Schmerzhafteste und Schlimmste, was ich je erlebt habe. Ich würde mich dem nie wieder aussetzen."
Gordon Herbert, Trainer der deutschen Basketball-Nationalmannschaft, hat jahrelang ein mehr oder weniger geheim gehaltenes Leben geführt. In seiner Autobiographie "Die Jungs gaben mir mein Leben zurück", die an diesem Dienstag erscheint, beschreibt der Kanadier, dass er aufgrund einer schweren Wirbelsäulenverletzung in ein Schmerztrauma, in Depression und Alkoholabhängigkeit geriet. Niemand durfte davon etwas erfahren. An der Wegscheide zwischen Aufgeben und neuer Aufgabe entschied er sich im Herbst 2021, das Angebot anzunehmen, Bundestrainer zu werden. Der Rest ist Geschichte, könnte man sagen. Der Weg zum WM-Titel mit der deutschen Auswahl im vergangenen September begann in einem tiefen Tief, wie man es sich kaum vorstellen kann.
Herbert hat mehr zu erzählen, als die Reise zu beschreiben, die er unter anderen mit seinen Spielern Dennis Schröder, Franz Wagner und Johannes Voigtmann erlebte. Er hat mehr weiterzugeben als die Rollenverteilung im Team - "Rennpferde und Schweine" - etwa an Fußball-Bundestrainer Julian Nagelsmann. Das berühmte Bild, wie er nach dem Sieg im WM-Endspiel über Serbien auf dem Parkett sitzt und den Erfolg zu genießen scheint, kommentiert Dirk Nowitzki im Vorwort: "In solchen Momenten merkst du erst, wie viel in so einer Sache steckt: wie viel Druck, wie viel Einsatz, wie viel Erleichterung. Zu sehen, wie die Emotionen bei ihm rauskamen, was nicht oft passiert, hat mich sehr gerührt, und ich habe mich für ihn gefreut." Mutig und wichtig nennt er, wie Herbert sich seinen Dämonen stellte und wie er nun offen darüber spricht: "Dadurch können wir alle aus seiner Erfahrung lernen und von seinen Einsichten profitieren."
Genau das will Herbert. "Vor meiner Depression stellte ich mir immer wieder die unschöne Frage, warum Menschen sich ihr Leben nehmen und nicht weiterkämpfen. Durch meine Depression konnte ich nicht nur verstehen, sondern in der Tiefe nachempfinden, dass es einen Punkt im Leben geben kann, an dem du nicht mehr willst, keinen Sinn mehr erkennst, keinen Halt mehr in dir findest, der dir den Impuls schenkt, weiterleben zu wollen", schreibt er: "Meiner Erfahrung nach ist es das Wichtigste in so einer Phase, dass man sich traut, um Hilfe zu bitten. Es kann fatale Konsequenzen haben, wenn man sich aus falschem Stolz nicht helfen lässt, oder aus Angst, man könnte schwach wirken. Es darf kein Tabu und kein Stigma geben, wenn man psychisch erkrankt ist." Ein riesiges Problem sei das Thema mentale Gesundheit im Hochleistungssport. Infrastruktur und Unterstützungssysteme müssten dringend neu aufgesetzt werden. Gerade für Athleten bestehe die Gefahr, dass sie zu tief in den Abgrund gerieten, bevor sie merkten: Hier läuft etwas falsch.
Am 10. April 2009 beginnt Herberts Leidensweg. Während einer Trainersitzung bei den Toronto Raptors bricht sein Stuhl zusammen, er stürzt und erleidet eine Fraktur seiner Wirbelsäule. Trotz der kaum zu ertragenden Schmerzen arbeitet er weiter. Eine Notoperation, für die er nach Finnland fliegt, ist Anlass für nur eine kurze Reha, dann geht es schon weiter mit Engagements in Espoo und der Rückkehr zu den Skyliners Frankfurt, mit denen er sechs Jahre zuvor deutscher Meister geworden war.
Im September 2010, anderthalb Jahre nach dem Unfall, bricht Herbert im Trainingslager zusammen. Er kann nicht denken, nicht planen, nicht einmal mehr sprechen. "Es fühlte sich an, als wäre mir ein Stecker gezogen worden und dadurch mein Verstand und mein Gehirn ausgeschaltet. Ich war komplett blank, ein Gefühl, das ich nicht kannte und das mir Angst machte." Schmerzen, Stress und die emotionale Belastung durch die Scheidung von seiner Frau hatten zu einer akuten Depression geführt. Nach zwei Wochen Pause steigt er dennoch wieder ein in die Arbeit. Im Rückblick beschreiben Freunde, dass sie in seinen Augen nur Leere gesehen hätten; er sei zwar anwesend gewesen, man habe aber keine Präsenz gespürt.
Während der Saison ist er ständig in Therapie, zweimal stationär. Dennoch hielten er und die wenigen bei den Skyliners, die eingeweiht waren, seinen Zustand geheim. Alles andere hätte, so schreibt er, das Ende seiner Karriere bedeutet. Und so wechselt er, statt eine Auszeit zu nehmen, nach Berlin. Der Ortswechsel, die starken Medikamente, das Verheimlichen seines Leidens treiben ihn in die Isolation und zu Unbeherrschtheit. Er brüllt Spieler an, am Abend leert er schon mal eine ganze Flasche Wein. Das Gerücht kursiert, dass er ein Alkoholproblem habe. Erst als der Klub sich von ihm trennt, versucht Herbert, zu sich zu kommen.
Nach einem Jahr Pause beginnt er 2013 ein drittes Mal in Frankfurt, und diesmal prägt er eine Ära. Ihr Höhepunkt ist der Gewinn des FIBA Europe Cup 2016 und Herberts Wahl zum Trainer des Jahres. Gleichzeitig kann er seine Schmerzen kaum ertragen. "An vielen Tagen hoffte ich abends, dass der nächste Tag einfach nicht mehr kommen würde", schreibt er: "Mein Wille, durchzuhalten und niemals aufzugeben, egal wie schwer und dunkel es wird, war das Einzige, das ich noch an mir selbst respektieren und wertschätzen konnte." Nach der Saison unterzieht er sich einer zweiten Rücken-OP und nimmt sich Zeit für fünf Wochen Reha. Nun erst, konstatiert er, ist das Gespenst besiegt, sieben Jahre nach dem Unfall. "Es dauerte eine ganze Weile, bis es mir gelang, mich selbst zu spüren, weil ich jahrelang täglich Tabletten in Form von Antidepressiva zu mir genommen hatte, die den Körper und die Gefühle verstummen ließen", schreibt Herbert: "Mich langsam an mich selbst heranzutasten und einen Bezug zu mir herzustellen, das fühlte sich gut und richtig an."
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