Der Film der Weimarer Republik hat einen großen Einfluss auf die Filmgeschichte ausgeübt. International anerkannt sind bis heute besonders die bildgestalterischen Meisterleistungen dieser Jahre. Die Sprache der bewegten Bilder emanzipierte sich im Film der Weimarer Republik von den tradierten Formen der Bildgestaltung aus Malerei und Fotografie, und auch die Spannung zwischen visueller Gestaltung und erzählerischer Dramaturgie, zwischen Kamera und Regiearbeit, beflügelte beide Seiten zu Innovation und Kreativität. Der Filmhistoriker Paul Rotha vertrat gar die These, dass jedes fotografische Mittel, das die dramatische Kraft der Einstellung unterstützt, seinen Ursprung in den Filmstudios der Weimarer Republik hat. Allerdings wurde bis heute nie genau analysiert, wie die Wirkung und Aussagekraft dieser Bilder handwerklich und künstlerisch hergestellt wurde und wie die sich rasant entwickelnde Filmtechnik zu immer neuen bildsprachlichen Experimenten führte. Anhand von neun Filmausschnitten diskutiert Axel Block die Frage, welchen Einfluss Kameramänner wie Karl Freund, Carl Hoffmann, Rudolph Maté, Günther Rittau und Fritz Arno Wagner auf den Film der Weimarer Republik ausübten und wie dabei die Zusammenarbeit mit den Regisseuren funktionierte. In den Blick kommen dabei nicht nur mehrere Filme Fritz Langs, darunter "Dr. Mabuse, der Spieler" (1921/22), "Metropolis" (1925/26) und "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (1931), sondern auch weitere Klassiker wie F. W. Murnaus "Der letzte Mann" (1924), G. W. Pabsts "Die Liebe der Jeanne Ney" (1927) und Joseph von Sternbergs "Der blaue Engel" (1929/30). Abgerundet werden die Analysen mit ihrem Fokus auf Bildgestaltung, Bewegung, Lichtführung und Korrespondenz zur Inszenierung und Dramaturgie mit einem umfangreichen Glossar, in dem zahlreiche Fachausdrücke und handwerkliches Grundwissen erläutert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Autorin Gisela von Wysocki nähert sich diesem Buch des Kameramanns Axel Block mit großer Gewissenhaftigkeit, aber als filmische Laiin, wie sie bekennt. Block stellt fünf Kameramänner vor, die in den zwanziger Jahren für die großen Regisseure Fritz Lang, F.W. Murnau oder Carl Dreyer gearbeitet haben. Wysocki vertraut sich Bock als "galantem Fremdenführer" gern an, wenn er sie ans Set mitnimmt: Dann erlebt sie, wie Carl Hoffmann die Szenenanschlüsse von "Dr. Mabuse, der Spieler" vergeigte, um dann in Murnaus "Faust" zu seiner Größe zu finden. Wie Rudolf Maté das Gesicht der Jungfrau von Orléans zur Ikone stilisierte. Oder wie Günther Rittau "progressiv perspektivische" Flugzeuge und übereinander gestapelte Autostraßen für "Metropolis" errichtete. Auch der Kinozauber, erkennt Wysocki, ist eine "gut durchdachte Form der Magie".
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.12.2020Als die Bilder
fühlen lernten
Axel Block erzählt von den
Kameramännern der Filme von Fritz Lang
VON GISELA VON WYSOCKI
Die Erde ist noch rund, aber die Geschichten sind viereckig geworden“, so beschrieb Ödön von Horváth überwältigt das Kino der Zwanzigerjahre. Hugo von Hofmannsthal dachte an eine Werkstatt, in der sich ein Magier Bilder ausdenkt, „Bilder, die uns das Leben schuldig bleibt“. Das grenzt an die Idee, Gott hätte uns großzügig eine zweite Schöpfung spendiert. Eine verfeinerte Art von Wirklichkeit trat ins Blickfeld, sie schien ihr Rohstoff-Stadium hinter sich gelassen zu haben. Und damit die Sprache, um anderen Ausdrucksweisen Platz zu machen.
Und sie wurden gebraucht: Das von den Randbezirken der Psychoanalyse durchgesickerte Wissen vom Unbewussten, das Inferno eines Weltkriegs und der sich ihm anschließende Versailler Vertrag hatten Zeichen der Gefährdung gesetzt, den Boden der Wirklichkeit unterminiert. Als „verschüttet“ bezeichnete der Schriftsteller und Drehbuchautor Béla Balázs die Menschen der wilhelminischen Zeit. Allein den Filmemachern traute er es zu, sie zeitnah, eher noch: sie überhaupt erst wieder „sichtbar“ zu machen.
Ein Appell, dem in geradezu atemberaubender Folgerichtigkeit die Erfindung der „subjektiven“ oder auch „entfesselten“ Kamera zur Seite stand. Sie zeichnet auf, was sich dem Blick des Protagonisten zeigt, seine Wahrnehmung. Auch die Geheimnisse seiner Seele. Der Regisseur G. W. Pabst hat beide Wörter zum Titel eines Filmes gemacht. Professionell eingesetzt wurde das Verfahren zum ersten Mal von dem Kameramann Karl Freund in F. W. Murnaus 1924 gedrehtem Film „Der Letzte Mann“. Die Kamera machte jede Bewegung mit, Freund band sie sich vor den Bauch, ließ sie durch die Luft fliegen oder setzte sie in ein dafür konstruiertes Wägelchen, schreibt Axel Block in seinem Buch, ein selbst vielfach preisgekrönter Kameramann, der in Filmen von Margarethe von Trotta, Doris Dörrie und an den Schimanski-Tatorten mitwirkte.
Degradiert vom stattlichen Hotelportier zum gedemütigten Toilettendiener, sieht man den Hauptdarsteller Emil Jannings auf dem Weg zu einem Schrank, quer durch die Lobby des Hotels. Darin befindet sich die prunkvolle Livree, die er sich heimlich zurückholen wird: „Das Bild, das sein Blick uns zeigt, macht aus uns, den beobachtenden Zuschauern, die aktiv Suchenden. Es wird aber mit dem Durchhuschen des Portiers jäh wieder objektiviert. Die Einstellung suggeriert durch die schnelle, autonome Bewegung Gefahr.“ Die Kamera beansprucht, uns ihre eigene Version der Geschichte mitzuteilen, will souveräne Entscheidungen treffen. Dafür aber muss ihr die Fähigkeit des menschlichen Sehvermögens zur Verfügung gestellt werden, der künstlerische Blick für die Bildlogik der Szene – so die Idee von Blocks Buchtitel „Die Kameraaugen des Fritz Lang.“
Block stellt uns fünf große Kameramänner der frühen Kinematografie vor, mal als Mitarbeiter von Fritz Lang, mal, um ihr Spektrum genauer erfassen zu können, auch von anderen Regisseuren. Der Autor erweist sich als ein beflügelt beredsamer Geist mit mikroanalytischer Nähe zum Detail. Zu Beginn der Lektüre stellten sich bei der beruflich in diesem Zusammenhang unausgebildeten Leserin ein paar widerborstige Regungen ein. Es drängte sich die Erinnerung an ein Prosastück von Marguerite Duras mit dem Titel „Der Zuschauer“ auf: Der Wunsch dieses Zuschauers richtet sich auf einen Film, der sich seiner annimmt. Und mit ihm macht, was er will, genauso wie es in den Spielen der Kindheit war. Er möchte ins Kino, um wieder zu lachen oder Angst zu haben wie früher. Die von Duras so ansprechend formulierten „Zuschauer“-Wünsche bleiben bei Block in Sichtweite.
Im Zentrum des Buches stehen neun Filmanalysen, für die der Autor eine originelle Form gefunden hat. Seine Beschreibungen, im Präsens verfasst, arbeiten der Atmosphäre einer heimeligen Rückschau entgegen. Er selber tritt in der Haltung des galanten Fremdenführers auf, der uns einschleust an den Ort des Geschehens; uns zu Zeugen macht, zu mitdenkenden Teilnehmern von Herstellungsprozessen. Alles geschieht hier und jetzt. Ein Film entsteht. Manchmal glaubt man, am Set mit Peter Lorre zu stehen, der den Mörder „M“ spielt. Da ist ein ganzes Bündel richtig guter Entscheidungen getroffen worden auf dem Weg zum Binnenraum der Bilder.
Dort kommt Axel Block dann auch als Dozent für Bildgestaltung und Kameraästhetik zum Zuge: Er entdeckt in dem 1922 entstandenen Film „Dr. Mabuse, der Spieler“ von Fritz Lang holperige Szenenanschlüsse. Carl Hoffmann, der Kameramann, hat schlechte Karten. Von einer ungefügigen, zerstückelt angeordneten Bilderfolge ist die Rede. Von Einstellungen, die aussehen, als habe man Postkarten vors Objektiv gehalten. Die Kamera richte ihren Blick ermüdend frontal auf das Geschehen, die Bilder seien schlecht ausgeleuchtet und zeigten die hässlich aufgeblähten Nasenflügel der Tänzerin Cara Carozza.
Dann aber, vier Jahre später, findet Hoffmann in Murnaus Film „Faust“ zu einer Qualität, die Axel Block in ihrer ganzen Poesie zum Ausdruck bringt: „Selbst wenn das letzte Bild Fausts uns von seinem Scheitern erzählt, kommen die Lichtquellen nicht zur Ruhe, zaubern gar einen sternförmigen Reflex in sein dunkles Auge. Sogar Mephisto schaut gebannt nach unten. Schon ein kurzer Blick auf die Einzelbilder macht deutlich, wie ästhetisch geschlossen diese Szene wirkt. Die Arbeitssituation eines Labors und das Irgendwo zwischen Himmel und Hölle verschmelzen durch die Lichtführung zu einer einheitlichen Abfolge.“
Für den Kameramann „gibt es kein ‚unmöglich!‘“, er sei die geradezu ideale Verkörperung des „modernen Zauberers“, meinte Günther Rittau. Der in Optik und Elektrizitätslehre ausgebildete Spezialist hat bei Fritz Lang vier Wochen lang an der berühmten Maschinenhalle in „Metropolis“ gearbeitet, hat „progressiv perspektivische“ Flugzeuge und vierfach übereinander gestapelte Autostraßen gebaut: ein aus dem Boden gestampftes extraterrestrisches All. Drei Jahre später, bei Josef von Sternberg, wird er im „Blauen Engel“ auf eine winzig kleine Fläche losgelassen, auf das Format einer menschlichen Gestalt, auf ein Gesicht, es ist das von Marlene Dietrich, der Tingeltangel-Tänzerin Lola.
Aber auch ein Zauberer wie Rittau kommt nicht ohne eine taugliche Methode aus. In diesem Fall ist es das Prinzip der Optimierung, der Glaube an eine gut durchdachte Form der Magie. Für Fritz Lang stellte Rittau eine Welt in Überlebensgröße auf die Beine, für Sternberg lässt er das Geheimnis zum Rätsel werden, die Schönheit zum Glamour.
Rudolf Maté folgt einer anderen Logik, 1928 zelebriert er in Carl Theodor Dreyers Film „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ das Gesicht der Jeanne d’Arc noch als Ikone: „kein Bild von ihr versucht zu deuten, zu helfen, zu manipulieren“, schreibt Axel Block. Ein cineastischer Höhepunkt und zugleich Schlusspunkt. „Hollywoodtauglich“ nennt Block die Beiläufigkeit, den Hang zum Operettenhaften, mit dem Maté vier Jahre später in Frankreich, Fritz Lang führt Regie, den Film „Liliom“ dreht.
Kurz danach werden beide in die USA emigrieren, wo Maté fünfmal für den Oscar nominiert wird. „Kameraaugen“ hat dieses Buch selber auch. Es kennt Einstellungen, Drehorte, Weitwinkel. Es beleuchtet ein weiträumiges Experimentierfeld, dessen Zukunft auf die Ästhetik der Nouvelle Vague und den Nouveau Roman zusteuert, die den befremdlich „subjektiven“ Blick der frühen Schwarz-Weiß-Filme aufgreift. Die Vergangenheit zeigt die Kameramänner und Regisseure mit weißen Kitteln bekleidet: „auf alten Fotografien sehen sie aus wie Apotheker.“
Axel Block: Die Kameraaugen des Fritz Lang. Der Einfluß der Kameramänner auf den Film der Weimarer Republik. Edition Text und Kritik, München 2020. 480 Seiten, 39 Euro.
Der Autor schleust uns als
Fremdenführer ein
an den Ort des Geschehens
Dieses Buch hat selbst
Kameraaugen, kennt Drehorte,
Einstellungen, Weitwinkel
Hollywoodtauglich: Szene aus Fritz Langs Film „Liliom“ von 1934, die Kamera führte Rudolph Maté.
Foto: Imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
fühlen lernten
Axel Block erzählt von den
Kameramännern der Filme von Fritz Lang
VON GISELA VON WYSOCKI
Die Erde ist noch rund, aber die Geschichten sind viereckig geworden“, so beschrieb Ödön von Horváth überwältigt das Kino der Zwanzigerjahre. Hugo von Hofmannsthal dachte an eine Werkstatt, in der sich ein Magier Bilder ausdenkt, „Bilder, die uns das Leben schuldig bleibt“. Das grenzt an die Idee, Gott hätte uns großzügig eine zweite Schöpfung spendiert. Eine verfeinerte Art von Wirklichkeit trat ins Blickfeld, sie schien ihr Rohstoff-Stadium hinter sich gelassen zu haben. Und damit die Sprache, um anderen Ausdrucksweisen Platz zu machen.
Und sie wurden gebraucht: Das von den Randbezirken der Psychoanalyse durchgesickerte Wissen vom Unbewussten, das Inferno eines Weltkriegs und der sich ihm anschließende Versailler Vertrag hatten Zeichen der Gefährdung gesetzt, den Boden der Wirklichkeit unterminiert. Als „verschüttet“ bezeichnete der Schriftsteller und Drehbuchautor Béla Balázs die Menschen der wilhelminischen Zeit. Allein den Filmemachern traute er es zu, sie zeitnah, eher noch: sie überhaupt erst wieder „sichtbar“ zu machen.
Ein Appell, dem in geradezu atemberaubender Folgerichtigkeit die Erfindung der „subjektiven“ oder auch „entfesselten“ Kamera zur Seite stand. Sie zeichnet auf, was sich dem Blick des Protagonisten zeigt, seine Wahrnehmung. Auch die Geheimnisse seiner Seele. Der Regisseur G. W. Pabst hat beide Wörter zum Titel eines Filmes gemacht. Professionell eingesetzt wurde das Verfahren zum ersten Mal von dem Kameramann Karl Freund in F. W. Murnaus 1924 gedrehtem Film „Der Letzte Mann“. Die Kamera machte jede Bewegung mit, Freund band sie sich vor den Bauch, ließ sie durch die Luft fliegen oder setzte sie in ein dafür konstruiertes Wägelchen, schreibt Axel Block in seinem Buch, ein selbst vielfach preisgekrönter Kameramann, der in Filmen von Margarethe von Trotta, Doris Dörrie und an den Schimanski-Tatorten mitwirkte.
Degradiert vom stattlichen Hotelportier zum gedemütigten Toilettendiener, sieht man den Hauptdarsteller Emil Jannings auf dem Weg zu einem Schrank, quer durch die Lobby des Hotels. Darin befindet sich die prunkvolle Livree, die er sich heimlich zurückholen wird: „Das Bild, das sein Blick uns zeigt, macht aus uns, den beobachtenden Zuschauern, die aktiv Suchenden. Es wird aber mit dem Durchhuschen des Portiers jäh wieder objektiviert. Die Einstellung suggeriert durch die schnelle, autonome Bewegung Gefahr.“ Die Kamera beansprucht, uns ihre eigene Version der Geschichte mitzuteilen, will souveräne Entscheidungen treffen. Dafür aber muss ihr die Fähigkeit des menschlichen Sehvermögens zur Verfügung gestellt werden, der künstlerische Blick für die Bildlogik der Szene – so die Idee von Blocks Buchtitel „Die Kameraaugen des Fritz Lang.“
Block stellt uns fünf große Kameramänner der frühen Kinematografie vor, mal als Mitarbeiter von Fritz Lang, mal, um ihr Spektrum genauer erfassen zu können, auch von anderen Regisseuren. Der Autor erweist sich als ein beflügelt beredsamer Geist mit mikroanalytischer Nähe zum Detail. Zu Beginn der Lektüre stellten sich bei der beruflich in diesem Zusammenhang unausgebildeten Leserin ein paar widerborstige Regungen ein. Es drängte sich die Erinnerung an ein Prosastück von Marguerite Duras mit dem Titel „Der Zuschauer“ auf: Der Wunsch dieses Zuschauers richtet sich auf einen Film, der sich seiner annimmt. Und mit ihm macht, was er will, genauso wie es in den Spielen der Kindheit war. Er möchte ins Kino, um wieder zu lachen oder Angst zu haben wie früher. Die von Duras so ansprechend formulierten „Zuschauer“-Wünsche bleiben bei Block in Sichtweite.
Im Zentrum des Buches stehen neun Filmanalysen, für die der Autor eine originelle Form gefunden hat. Seine Beschreibungen, im Präsens verfasst, arbeiten der Atmosphäre einer heimeligen Rückschau entgegen. Er selber tritt in der Haltung des galanten Fremdenführers auf, der uns einschleust an den Ort des Geschehens; uns zu Zeugen macht, zu mitdenkenden Teilnehmern von Herstellungsprozessen. Alles geschieht hier und jetzt. Ein Film entsteht. Manchmal glaubt man, am Set mit Peter Lorre zu stehen, der den Mörder „M“ spielt. Da ist ein ganzes Bündel richtig guter Entscheidungen getroffen worden auf dem Weg zum Binnenraum der Bilder.
Dort kommt Axel Block dann auch als Dozent für Bildgestaltung und Kameraästhetik zum Zuge: Er entdeckt in dem 1922 entstandenen Film „Dr. Mabuse, der Spieler“ von Fritz Lang holperige Szenenanschlüsse. Carl Hoffmann, der Kameramann, hat schlechte Karten. Von einer ungefügigen, zerstückelt angeordneten Bilderfolge ist die Rede. Von Einstellungen, die aussehen, als habe man Postkarten vors Objektiv gehalten. Die Kamera richte ihren Blick ermüdend frontal auf das Geschehen, die Bilder seien schlecht ausgeleuchtet und zeigten die hässlich aufgeblähten Nasenflügel der Tänzerin Cara Carozza.
Dann aber, vier Jahre später, findet Hoffmann in Murnaus Film „Faust“ zu einer Qualität, die Axel Block in ihrer ganzen Poesie zum Ausdruck bringt: „Selbst wenn das letzte Bild Fausts uns von seinem Scheitern erzählt, kommen die Lichtquellen nicht zur Ruhe, zaubern gar einen sternförmigen Reflex in sein dunkles Auge. Sogar Mephisto schaut gebannt nach unten. Schon ein kurzer Blick auf die Einzelbilder macht deutlich, wie ästhetisch geschlossen diese Szene wirkt. Die Arbeitssituation eines Labors und das Irgendwo zwischen Himmel und Hölle verschmelzen durch die Lichtführung zu einer einheitlichen Abfolge.“
Für den Kameramann „gibt es kein ‚unmöglich!‘“, er sei die geradezu ideale Verkörperung des „modernen Zauberers“, meinte Günther Rittau. Der in Optik und Elektrizitätslehre ausgebildete Spezialist hat bei Fritz Lang vier Wochen lang an der berühmten Maschinenhalle in „Metropolis“ gearbeitet, hat „progressiv perspektivische“ Flugzeuge und vierfach übereinander gestapelte Autostraßen gebaut: ein aus dem Boden gestampftes extraterrestrisches All. Drei Jahre später, bei Josef von Sternberg, wird er im „Blauen Engel“ auf eine winzig kleine Fläche losgelassen, auf das Format einer menschlichen Gestalt, auf ein Gesicht, es ist das von Marlene Dietrich, der Tingeltangel-Tänzerin Lola.
Aber auch ein Zauberer wie Rittau kommt nicht ohne eine taugliche Methode aus. In diesem Fall ist es das Prinzip der Optimierung, der Glaube an eine gut durchdachte Form der Magie. Für Fritz Lang stellte Rittau eine Welt in Überlebensgröße auf die Beine, für Sternberg lässt er das Geheimnis zum Rätsel werden, die Schönheit zum Glamour.
Rudolf Maté folgt einer anderen Logik, 1928 zelebriert er in Carl Theodor Dreyers Film „Die Passion der Jungfrau von Orléans“ das Gesicht der Jeanne d’Arc noch als Ikone: „kein Bild von ihr versucht zu deuten, zu helfen, zu manipulieren“, schreibt Axel Block. Ein cineastischer Höhepunkt und zugleich Schlusspunkt. „Hollywoodtauglich“ nennt Block die Beiläufigkeit, den Hang zum Operettenhaften, mit dem Maté vier Jahre später in Frankreich, Fritz Lang führt Regie, den Film „Liliom“ dreht.
Kurz danach werden beide in die USA emigrieren, wo Maté fünfmal für den Oscar nominiert wird. „Kameraaugen“ hat dieses Buch selber auch. Es kennt Einstellungen, Drehorte, Weitwinkel. Es beleuchtet ein weiträumiges Experimentierfeld, dessen Zukunft auf die Ästhetik der Nouvelle Vague und den Nouveau Roman zusteuert, die den befremdlich „subjektiven“ Blick der frühen Schwarz-Weiß-Filme aufgreift. Die Vergangenheit zeigt die Kameramänner und Regisseure mit weißen Kitteln bekleidet: „auf alten Fotografien sehen sie aus wie Apotheker.“
Axel Block: Die Kameraaugen des Fritz Lang. Der Einfluß der Kameramänner auf den Film der Weimarer Republik. Edition Text und Kritik, München 2020. 480 Seiten, 39 Euro.
Der Autor schleust uns als
Fremdenführer ein
an den Ort des Geschehens
Dieses Buch hat selbst
Kameraaugen, kennt Drehorte,
Einstellungen, Weitwinkel
Hollywoodtauglich: Szene aus Fritz Langs Film „Liliom“ von 1934, die Kamera führte Rudolph Maté.
Foto: Imago
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de