Wer sind die Kinder von Teheran? Warum waren sie auf der Flucht? Der Begriff der „Teheran children“ ist für uns noch relativ unbekannt und wird von der in Israel geborenen US-Literatur-Professorin Mikhal Dekel, Tochter eines solchen „Teheran child“, aus dem Vergessen hervorgeholt.
Damit wird der
Aspekt der Judenverfolgung, der auch aus der Flucht von über 1 Million polnischer Juden durch den…mehrWer sind die Kinder von Teheran? Warum waren sie auf der Flucht? Der Begriff der „Teheran children“ ist für uns noch relativ unbekannt und wird von der in Israel geborenen US-Literatur-Professorin Mikhal Dekel, Tochter eines solchen „Teheran child“, aus dem Vergessen hervorgeholt.
Damit wird der Aspekt der Judenverfolgung, der auch aus der Flucht von über 1 Million polnischer Juden durch den Osten und Nahen Osten bestand, erweitert und verbindet sich in interessanter Weise mit unseren aktuellen Problemen der weltweiten Fluchtbewegungen.
Flucht bedeutet, aus Verzweiflung alles Vertraute und jede staatliche Sicherheit hinter sich zu lassen - das ist heute so und war es auch früher. Bezeichnenderweise wusste die Autorin selbst vor ihrer Recherche nicht, was die Flucht des Vaters für ihn und seine Herkunftsfamilie bedeutet hatte, da er, wie so viele Holocaust-Opfer, sich über die Vergangenheit lieber ausschwieg. Und im Verlauf des Buches begegnet uns und den Kindern alles, was man sich dazu denken kann: Vertreibung, Deportation, Kälte, Hunger, Krankheit, Prostitution, Zerstörung und Verlust der Familie/Vorfahren.
Trotzdem muss kein Leser Respekt davor haben dieses Buch zu lesen. Es ist weder negativ geschrieben noch besonders schwer zu lesen - im Gegenteil! Es hat eine für ein Sachbuch sehr schöne Sprache und erzählt die Geschichte ausgesprochen flüssig und fesselnd. Natürlich gibt es auch berührende und unschöne Momente, aber der Autorin gelingt der besondere Kunstgriff, eigentlich zwei Geschichten zu erzählen: die Flucht ihres Vaters, aber auch ihren eigenen Versuch, diese Reise und ihre Auswirkungen nachzuvollziehen, tw. auch vor Ort, und über alles, was ihr dort begegnet, kann sie sehr spannend und nachvollziehbar reflektieren. Das macht die Lektüre sehr besonders und das Buch nahezu zu einem Pageturner.
Ich schätze sehr, dass sie nicht alleine auf die Erforschung des väterlichen Einzelschicksals abstellt, sondern in Herausarbeitung des gemeinsamen und des allgemeingültigen dieser Schicksale dem Leser einen multiperspektivischen Blick auf das Geschichtsgeschehen ermöglicht und damit auch Lehren für uns heute möglich macht.
So ist einer ihrer Hauptpunkte, dass die national begrenzte und tw. verfälschende Erinnerungskultur in einzelnen Staaten das Lernen aus der Geschichte erschweren. Dieses, oder auch schlicht weshalb die Gründung Israels für die Juden derart bedeutungsvoll war, ist mir noch nie so deutlich geworden wie in diesem Buch! Oder auch, dass es ständig erzwungene Identitätswechsel für die Flüchtenden gab (von Polen zu rechtlosen Juden zu Israelis/Zionisten) und was das für sie, bis hin zu ihren späteren Familien und Kindern, bedeutete.
Man kann in diesem Buch in einer besonderen Weise erleben, wie die große Geschichte in die kleine des Einzelnen eingreift und welche Auswirkungen das auf den Menschen wie auf das Weltgefüge hat.
Durch diese Vielschichtigkeit und die intensiven, offen dargelegten Reflektionen der Autorin ist es ein sehr gelungenes Buch.
Fazit: Von mir 4,5 Sterne, ein definitiv lesenswertes Buch! Ich denke, dass auch Menschen, die sonst keine historischen Sachbücher lesen, mit diesem Buch gut zurecht kommen werden und viel daraus mitnehmen können, durchaus auch für die aktuellen Konflikte.
Den kleinen Abzug gibt es, weil ich am Ende doch ein wenig enttäuscht war, dass die Verdrängung der Palästinenser mit der Staatsgründung Israels nicht wirklich erzählt wird. Das widerspricht etwas der sonstigen Haltung der Autorin, allerdings kann ich die besondere Loyalität jüdischer Menschen zum Staate Israel nach der Lektüre auch besser verstehen.