Gefühlvoll und authentisch - dieser Roman erzählt vom Leben der kanadischen Ureinwohner, von ihren Sorgen, Ängsten, Sehnsüchten und Hoffnungen.
Der C. Bertelsmann Verlag dankt dem Canada Council for the Arts für die Förderung der Übersetzung. We acknowledge the support of the Canada Council for the Arts. Nous remercions le Conseil des arts du Canada de son soutien.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Naomi Fontaine muss zurück in die Innu-Schule
Als Siebenjährige war Yammie mit ihrer Mutter aus der Siedlung Uashat am Nordufer des Sankt-Lorenz-Stroms in den Süden gezogen, in die kanadische Großstadt Quebec. Sie ist zweiundzwanzig, als sie wieder zurückkehrt, um eine Stelle an der Reservatsschule anzunehmen, das Lehrerexamen in der Tasche, aber mit unsicheren Kenntnissen der Muttersprache Innu und überhaupt der lokalen Verhältnisse: Die Menschen, mit denen sie zu tun hat, sind oft auf irgendeine Weise mit ihr verwandt, was im Gespräch erst herausgefunden werden muss. Zugleich ist die neue Lehrerin, deren Schüler meist nur wenig jünger sind und ihr zugleich, etwa als junge Mütter oder Väter, einiges an Lebenserfahrung voraushaben, begreiflicherweise nervös. Strahlt die Stimme genügend Autorität aus, wo lässt man die Hände beim Reden, wie ist der Gang, wenn man zwischen den Pulten läuft? Und wie reagiert man auf müde Schüler, die aus den nachvollziehbarsten Gründen ewig zu spät kommen?
Naomi Fontaine, die 1987 wie ihre Protagonistin in Uashat geboren wurde, gehört den First Nations an, schreibt aber auf Französisch und erreicht als Autorin in Kanada mittlerweile ein großes Publikum. Ihr Roman "Manikanetish, Petite Marguerite" trägt zweisprachig den Namen der Schule im Titel, an der Yammie arbeitet (der deutsche Titel "Die kleine Schule der großen Hoffnung" ist dagegen unnötig gefühlig geraten), und markiert so schon die Position der Lehrerin zwischen den Sprachen und Kulturen. Das beginnt mit der Beschreibung des charismatischen Schulleiters, von dem es heißt, er habe "ein gutes Gespür für den Umgang mit den Innu. Selbstironie, Entschlossenheit und die Fähigkeit, nicht in die Mitleidsfalle zu tappen, das braucht man, um mit Menschen zu arbeiten, die ununterbrochen rassistischen Vorurteilen ausgesetzt sind."
An Stellen wie diesen weitet sich der Roman, der überwiegend von Yammies Erlebnissen berichtet, zur Analyse dieser Beobachtungen und verlässt im Grunde auch die Ebene dieses Reservats, indem er Selbstironie und die Wachsamkeit gegenüber der "Mitleidsfalle" miteinander in Beziehung setzt. Beide wirken einem Dritten, den Vorurteilen, entgegen, und das nicht nur in Uashat. Allerdings ist der Schuldirektor von vorneherein in einer anderen Position als Yammie, die den First Nations angehört und diesen dann doch durch die langen in Quebec verbrachten Jahre entfremdet ist. Wenn sie über einen nicht zum Unterricht erschienenen Schüler schimpft und von der Klasse belehrt wird, dass dessen Mutter einen Herzinfarkt hatte und im Sterben liegt, dann wiegt diese Unkenntnis, so scheint es, bei ihr schwerer, zumindest solange sie sich als Angehörige der Gemeinschaft versteht: Warum wusste sie nichts von dem Unglück des Jungen und von den Lebensumständen der anderen Schüler?
Fontaine erzählt geradlinig, bisweilen schlicht, mitunter lässt sie Yammie auch beinahe kalenderspruchhafte Wahrheiten verkünden, aber sie schlägt auch nicht den naheliegenden Weg ein, eine Erfolgsgeschichte um eine junge Lehrerin zu erzählen, die ihre aus prekären Verhältnissen stammenden Schüler motiviert. Erfolge gibt es zwar, aber Fontaine lässt auf unaufdringliche Weise durchblicken, dass die oft genug stoischen Schüler daran einen sehr großen Anteil haben. Es ist eher Yammie, die sich darum bemüht, die eigenen Wurzeln zu entdecken - im Wald, am See, in der Wildnis. Und Fontaine beschreibt leichthändig, dass die junge Frau aus der Stadt lange Zeit nicht einmal merkt, dass sie schwanger ist, weil sie die Signale ihres Körpers zu überhören gewohnt ist.
Ein Schultheaterprojekt mit jungen Menschen, die noch nie auf einer Bühne standen - das kennt man aus ähnlich gelagerten Schulromanen. Hier aber spielen die jungen Innu ausgerechnet Corneilles "Cid". Ein Stück also, dessen Held im mittelalterlichen Spanien die brutalste Form der Unterdrückung Andersgläubiger verkörpert, von dessen Drang zur Kolonisation die Angehörigen der First Nations leicht Parallelen zu denjenigen ziehen könnten, die sie in Reservate drängten und ihre Kinder entführten - mit entsetzlichen Folgen, die erst in unserer Zeit aufgearbeitet werden.
Fontaine beschreibt die Theaterproben, macht aber keine leichten Punkte. Sie beschert den Innu keine plötzlichen Erkenntnisse auf der Bühne. Aber sie führt vor, wie die jungen Reservatsbewohner sich ihrerseits das Stück aneignen und stolz in Rollen schlüpfen, die ihnen lange vorenthalten waren. Und sorgt damit für die wirkungsvollste Passage des Romans. TILMAN SPRECKELSEN
Naomi Fontaine: "Die kleine Schule der großen Hoffnung". Roman.
Aus dem Französischen von Sonja Finck. C. Bertelsmann, München 2021. 144 S., geb., 16,- Euro.
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