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War ein mittelalterlicher König, der seine kranke Ehefrau für einen Kriegszug zurücklassen musste und ihr einen besorgten Brief schrieb, nichts anderes als ein bürgerlich Liebender in der Moderne? Martina Hartmann legt diesen Schluss in einem neuen Buch über die "Königin im frühen Mittelalter" nahe, als sie auf ein Schreiben Karls des Großen an seine vierte Gemahlin Fastrada zu sprechen kommt ("Die Königin im frühen Mittelalter". W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2009. 245 S., br., 27,- [Euro]). In der Tat sind persönliche Äußerungen dieser Art sehr selten, und man fragt sich, wer dem illiteraten Franken für die lateinischen Zeilen seine Worte und seine Feder geliehen haben mag.
Das Dokument, das Karl vor seinem Angriff gegen die heidnischen Awaren 791 nach Regensburg abgesandt haben dürfte, verrät indessen, dass Gesundheit ("sanitas") und Rettung ("salvatio") nicht nur zur "privaten Korrespondenz", sondern vor allem zum politischen Diskurs gehörten. "Wir sind gesund und heil", schrieb der König von sich, er berichtet über die "Gesundheit" des "apostolischen Herrn", Papst Hadrians I., und über die "Rettung" jener Grenzgebiete, die die Heiden im Osten bedrohten. Gott sei für "Frieden, Gesundheit, Sieg und Wohlergehen" zu danken, und an den dreitägigen Gebeten und Fasten für einen ersten militärischen Erfolg sollten alle teilnehmen, die nicht durch Krankheit, Alter und Jugend daran gehindert wären. Jeder Priester sollte spezielle Messen halten, es hindere ihn denn Krankheit daran.
"Wir wollen daher", so appelliert der Herrscher bei seiner Frau, "dass Du mit Unseren Getreuen darüber nachdenkst, wie Ihr dort - also in Regensburg - entsprechende öffentliche Gebete durchführen könnt. Wir stellen Dir das ausdrücklich anheim, soweit es Deine Krankheit zulässt." Wenn Karl anschließend darum bittet, regelmäßiger als zuvor über Fastradas Leiden informiert zu werden, geht es ihm um die Mitwirkung der Königin am Heil des Reiches. Sollte man also von Gefühlen Karls, der neben fünf Ehefrauen zahlreiche Konkubinen hatte und mindestens zwanzig Kinder zeugte, lieber schweigen? Als Fastrada 794 in Frankfurt qualvoll an Zahnfäule starb, habe er, wie von einigen Forscherinnen vermutet wird, sogar eine große Reichsversammlung dorthin einberufen, um in ihrer Nähe zu sein.
Viele Geschichten wie von Karl und Fastrada kann Martina Hartmann nicht erzählen, aber das liegt nur teilweise an der Überlieferung. Denn abgesehen von den sogenannten ostgermanischen Völkern der Wanderungszeit, fließen die Quellen zu Leben und Wirken der frühmittelalterlichen Königinnen erstaunlich breit. Archive und Bibliotheken haben chronikalische Berichte und Lebensbeschreibungen, Briefe und Urkunden aufbewahrt, und aus Gräbern beziehungsweise aus der Erde konnten aufregende Realien geborgen werden; darunter befinden sich mehrere Siegelringe mit Namensinschriften und von der Merowingerkönigin Balthild ein besticktes Totenhemd nach byzantinischem Muster, ein roter Seidenmantel mit Bügelfibel und vor allem die Strähne ihres rotblond eingefärbten, offenbar schon altersgrauen Haares. Es gibt sogar Bildnisse als Holzplastik oder - vielleicht - als Elfenbeinschnitzerei, und in Poitiers wird noch heute das angebliche Lesepult der Thüringerin Radegunde gezeigt, die König Chlothar I. keine Kinder schenkte und das Heil des Frankenreiches dann lieber als Klosterfrau förderte.
Lassen diese Quellen also zu, Geschichte konsequent aus der Sicht der Königinnen zu schreiben? Martina Hartmann hat dies nicht wirklich geprüft, sondern ihren ganzen Ehrgeiz dareingesetzt, den Fragestellungen einer männlich bestimmten Mediävistik gerecht zu werden; zwar betont sie immer wieder stolz ihren Abstand zur Historiographie des neunzehnten Jahrhunderts, doch ist sie selbst in diesen Traditionen befangen. Im ersten Teil ihres Buches versucht sie, den Anteil der Königinnen an der politischen Geschichte der Reiche herauszuarbeiten, im zweiten "Stellung und Aufgaben einer Königin" rechts- und verfassungshistorisch zu erörtern. Dabei kommt es aber nur zu marginalen Ergänzungen unseres Geschichtsbildes. Hartmann will auch nichts anderes als das Faktenwissen vervollständigen, und Trost bei dem quälenden Gedanken, dass sie bei ihrer gründlichen Suche manche Einzelheit übersehen haben könnte, verschafft ihr nur die Aussicht auf künftige Forschungen.
Ihr Buch ist für Fachkollegen geschrieben und zweifellos ein nützliches Nachschlagewerk auch für Studierende, aber die Königinnen des fünften bis neunten Jahrhunderts bleiben hier blasse Schemen, nicht weil die Quellen, sondern weil der Autorin Mut und Gabe zur Erzählung fehlten.
MICHAEL BORGOLTE
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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