Moussa Abadi wurde im jüdischen Viertel von Damaskus geboren und wuchs in Frieden und Freiheit auf. In seinem berührenden Erzählband beschreibt er atmosphärisch dicht und humorvoll diese Welt von Gestern - Damaskus in der kurzen Phase vom Ende des Osmanischen Reichs 1918 bis zur französischen Besatzung am Beginn der 1920er-Jahre. Wir erfahren vom Leben der jüdischen Gemeinde und von deren friedlicher, ja brüderlicher Koexistenz mit Angehörigen anderer Religionen. So wird dieses Erinnerungsbuch zu einer in der Vergangenheit angesiedelte Utopie, zur Feier des brüderlich-harmonischen Zusammenlebens von Christen, Juden und Muslimen.
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
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Gemeinsam essen, gemeinsam beten: Moussa Abadi erinnert mit einem Kranz von Geschichten an das friedliche Nebeneinander im einstigen Damaskus.
Man möchte laut seufzen vor Verzweiflung, denn es könnte alles so einfach sein. Und dabei ist es keine Utopie, sondern war gelebte Realität, was Moussa Abadi in seinen Geschichten aus einem längst vergangenen Damaskus erzählt. Für Abadi, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in der jüdischen Gasse der syrischen Metropole aufwuchs, war das friedliche Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen kein ferner Traum, sondern Alltag. Umso eindrücklicher lesen sich seine episodischen Prosastücke in "Die Königin und der Kalligraph", die vom Leben in der jüdischen Gemeinde erzählen, den kleinen Freuden, den großen Tragödien, dem Leben in der Familie, der Emigration und der Heimkehr.
Wir lernen falsche Königinnen und echte Künstler kennen, großherzige Bettler und kleinliche Beamte. Immer erzählt aus der Perspektive eines Mannes, der seine Gemeinschaft für ein Studium in Frankreich verließ, dort durch die Hölle des Zweiten Weltkriegs ging und erst viele Jahrzehnte später seine Erinnerungen zu Papier brachte. "Die Personen, die ich in dieses Buch gesperrt habe, hatten mich ihr Leben lang verfolgt und genötigt, mich bedrängt und mir zugesetzt. Und obwohl sie mich vor einer Ewigkeit verlassen haben, konnte nichts und niemand sie aus meinem Gedächtnis verjagen", schreibt Abadi in seinem Vorwort.
Fast wären diese Erinnerungen in Vergessenheit geraten, hätte nicht vor drei Jahren der Autor Rafik Schami durch Zufall die arabische Übersetzung von Moussa Abadis Erinnerungsbuch gelesen - die französische Originalausgabe war bereits 1994 erschienen - und dem Manesse Verlag zur Übersetzung empfohlen.
Schami, der 1971 nach Deutschland kam, wurde 1946 in Damaskus geboren. Er wuchs in der Abbara-Gasse im christlichen Viertel auf, die Mauer an Mauer mit der Judengasse verläuft, wo Moussa Abadi lebte. Für Schami war die Lektüre eine Reise in seine Kindheit und Jugend. Aber auch uns nimmt Abadi mit in eine Zeit, die im Syrien von heute - nach jahrzehntelanger Diktatur und einem verheerenden Bürgerkrieg, der Millionen in die Flucht geschlagen hat - kaum mehr möglich scheint.
So erzählt das Buch zum Beispiel davon, wie Abadis Urgroßvater und später sein Großvater über Jahrzehnte hinweg eine Freundschaft mit Beduinen aus der Wüste pflegten, mit denen gemeinsam sie das Brot teilten und beteten. "Es war dies der unbeschreibliche Moment der Kommunion, in dem die vier Männer, ohne ein einziges Wort zu wechseln, dem Himmel danksagten, sie vereint zu haben", heißt es in der Beduinengeschichte.
Das friedliche Miteinander der Ethnien und Religionen ist längst einer Spirale der Gewalt gewichen, die sich Jahr für Jahr schneller dreht und keinen Raum für Utopien lässt, in denen Frieden und Freiheit für alle denkbar sind. Schon 1993, als Abadi seine Erinnerungen niederschrieb, gab es die lebendige Gasse seiner Kindheit nicht mehr: "Wozu noch in der Glut der Erinnerung stochern, wo doch mein Damaskus nicht mehr in Damaskus ist und mein Ghetto auf immer verschwunden?", betrauert Abadi das Verlorene. Laut Schami lebten 2019 nur noch zwölf Juden in der Gasse.
Die Vertreibung seiner Glaubensbrüder muss Abadi besonders geschmerzt haben. Er erlebte als Jude die Schrecken der Nazi-Zeit in Europa und überlebte nur knapp. 1929 war er als Student nach Paris gekommen und hatte dort 1939 seine Lebensliebe Odette Rosenstock kennengelernt. Man könnte über das bewegte und faszinierende Leben der beiden ein eigenes Buch schreiben. Nur so viel: Gemeinsam retteten sie mehr als fünfhundert jüdische Kinder vor dem sicheren Tod, Odette überlebte Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen. In Paris und Nizza wurden nach dem Ehepaar zwei Plätze benannt, die an ihr Engagement erinnern.
Abadis Erinnerungen sind nicht nur historisch lehrreich, sie sind vor allem unterhaltsam, humorvoll und oft satirisch erzählt. Wenn möglich, sollte man die Geschichten in einem Fluss lesen, denn dann beginnen sie eine Faszination zu entwickeln wie die Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht". Mit jeder von ihnen taucht man tiefer ein in das Leben der jüdischen Gasse um die Jahrhundertwende.
Die Beziehung zwischen Juden und Arabern scheint heute an einem Tiefpunkt angekommen zu sein. Abadis Erinnerungen geben Hoffnung, dass vielleicht eines Tages eine friedliche Koexistenz wieder möglich ist. AMIRA EL AHL
Moussa Abadi: "Die Königin und der Kalligraph". Erzählungen.
Aus dem Französischen von Gerhard Meier. Nachwort von
Rafik Schami. Manesse Verlag, München 2024. 224 S., geb., 26,- Euro.
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