Geschichte in Geschichten – in "Die Kompromisse" werden Politik und Privates auf feinste Art verknüpft. Ein ganzes Leben in Stationen – wie lassen sich die große diplomatische Weltpolitik samt neuen, aufkeimenden oder nicht versiegenden Krisen mit dem Familien- und Privatleben vereinbaren? Peter, Jahrgang 1929, lebt ein klassisches Diplomatendasein: er muss regelmäßig seinen Wohnort wechseln, die Welt bereisen und in unterschiedlichen politischen Ämtern Lösungen verhandeln, Strippen im Hintergrund ziehen, im Vordergrund taktvoll sein sowie Familie und Karriere unter einen Hut bringen. Kurzum, er muss viele Kompromisse eingehen. In seinem Debütroman zeichnet Florian Dietmaier in Etappen ein unermüdliches Leben für die Diplomatie, für die Familie mit allen Hochs und Tiefs nach, in dem nicht alle Bedürfnisse ausgelebt wurden. Akribisch recherchiert wirft "Die Kompromisse" Schlaglichter auf unbekanntere Episoden der Weltgeschichte zwischen 1960 und 2020, rückt Klein- und Kleinststaaten in den Fokus, zeigt deren Bedeutung im Getriebe der großen Politbühne und den Wandel der Zeit.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Überzeugend, findet Rezensent Christoph Schröder, erzählt Florian Dietmaier in seinem Debüt "Die Kompromisse" von einem adligen österreichischen Diplomaten, der seine Homosexualität geheim hält. In neunzehn Stationen werden Schlaglichter auf sein Leben geworfen, die dieses, so Schröder, erstaulich anschaulich erfassen: In Liechtenstein, Vaduz und New York, wo Peter mit seiner Frau Jane und dem gemeinsamen Sohn lebt, beweist er sein Verhandlungsgeschick, aber auch seine Fähigkeit, sich vor sich selbst und seinen Mitmenschen zu verbergen. Plötzlich, schreibt der Rezensent, kommt die Szene des Treffens mit einem Mann im Hotel. Die Erzählung ist in der Ich-Form und laut Schröder in einem distanzierten Ton geschrieben; erst am Ende ändert sich die Perspektive und die Leserin erfährt, wer Peters Notizen geordnet hat. Kommt er nach einer langen, transnationalen Parallelexistenz am Ende des Romans irgendwo an? Eine Frage, die Deitmaiers Debüt in bemerkenswertes Weise aufwirft, urteilt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.06.2024Der amerikanische Freund
Florian Dietmaiers Debüt „Die Kompromisse“ zeichnet das Leben eines
adligen österreichischen Diplomaten nach, der seine Homosexualität verbirgt.
Auf Nauru, einem der, von der Fläche her, kleinsten Staaten der Welt, verhandelt Peter 1962 über den Export von phosphorhaltigem Guanodünger. In Liechtenstein wirbt er 1985 für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreich und trifft im Rathaus von Vaduz zufällig einen Mann wieder, der ihm und seiner Frau einige Jahre zuvor als Untermieter Lebensmittel aus den Einkaufstüten gestohlen hatte. Und in Bozen wird Peter 1998 in einen Disput über die Zweisprachigkeit Südtirols verwickelt, in dessen Verlauf Jahrzehnte alte Verletzungen wieder aufbrechen.
Peter ist ein österreichischer Diplomat und außerdem die Hauptfigur in Florian Dietmaiers Roman „Die Kompromisse“, in 19 Episoden werden seine Biografie und Karriere rekonstruiert. Obwohl Dietmaier nur Schlaglichter auf dieses Leben wirft, lässt sich aus deren Bruchstücken das Wesen der Diplomatie erstaunlich anschaulich betrachten. Gerade einmal 150 Seiten umfasst „Die Kompromisse“. Auf diesem engen Raum bekommt Dietmaier ein langes Leben, das 2019 endet, in seinen privaten und beruflichen Verwicklungen zu fassen. Peter wird im Jahr 1929 in eine adelige Wiener Diplomatenfamilie hineingeboren. Er wird im Laufe der kommenden Jahrzehnte die Erwartungen erfüllen, die an ihn gerichtet sind, aber er fügt sich dennoch nicht passgenau in das Raster seiner Herkunft und der damit verbundenen sozialen Anforderungen.
Auf verschlungene Weise ist „Die Kompromisse“ auch der Bildungsroman eines Menschen, der in seinen jungen Jahren heimlich Groschenromane auf dem Klo versteckte, um im Alter dann philosophische Bücher zu lesen. Als Student in der unmittelbaren Nachkriegszeit an der zerbombten Universität in Wien spürt Peter immer nur das eigene Ungenügen, seine Antriebslosigkeit, bis er beschließt, seine fehlende Welterfahrung durch Lektüren auszugleichen.
Das Leben, das Peter im diplomatischen Dienst führt, ist an der Oberfläche unspektakulär. Kein Glamour, keine Helden- oder Abenteuergeschichten und auch nicht das große Parkett. Diplomatie, so hat Peter es von seinem Vater und von seinem Großvater gelernt, und so hält er es auch in seinem eigenen Wirken, besteht in erster Linie in überzeugender Außenwirkung und weniger in konkreten Ergebnissen. Der Roman ist auch der Ich-Perspektive erzählt, erst am Ende des Buchs wechselt der Blickwinkel, und es klärt sich, wer Peters Aufzeichnungen gesichtet und geordnet hat. Die Notate dienen im Übrigen weniger der eigenen Bedeutungssicherung für die Nachwelt, sondern eher der augenblicklichen Selbstvergewisserung und der Reflexion von Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Der Tonfall, in dem Peter Situationen aus seinem Leben festgehalten hat, ist der leicht verschraubte, dezent beamtenhaft umständliche Duktus eines Menschen, der gelernt hat, Distanz zu halten, auch zu sich selbst. Diese Stillage ist nur konsequent und erzeugt verblüffende Effekte.
Peter ist verheiratet mit Jane, einer in den USA geborenen Enkelin serbischer Einwanderer. Mit ihr gemeinsam lebt er zu Beginn der 1970er-Jahre in New York; die beiden haben einen gemeinsamen Sohn. Plötzlich und unvermittelt dann: „Der Weg zum Hotel hatte sich in den rund zwanzig Jahren, seit ich ihn das erste Mal gegangen war, kaum verändert. John begrüßte mich mit einem langen Kuss. Seit meiner Rückkehr hatten wir uns nur gelegentlich getroffen. Nicht so oft, wie wir beide es wollten. Nicht zu oft, um unsere Leben zu gefährden, die wir unabhängig voneinander aufgebaut hatten.“
Peters frühe Offenbarung seiner in einer Parallelexistenz heimlich ausgelebten Homosexualität ist die Folie, auf der man den Roman von nun an automatisch weiterliest. Nationale Identitäten und deren Aushandlung verschmelzen mit der komplexen Identität des Protagonisten. Die Kompromisse, die ein schwuler österreichischer Diplomat in den Nachkriegsjahrzehnten in Kauf nehmen muss, sind keine Privatsache. Hat Peter einen Begriff von Heimat?
Erst im hohen Alter und nach der Trennung von seiner Frau Jane im Jahr 2009 wird er in Wien offiziell mit einem Partner zusammenleben. Möglicherweise ist Peter am Ende tatsächlich irgendwo angekommen; nach einem Unterwegssein in permanenter Transnationalität, das Florian Dietmaier auf bemerkenswerte Weise nachgezeichnet hat.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Das Wesen der Diplomatie besteht in einer überzeugenden Außenwirkung: Pjotr Kontschalowskis „Nackte“.
Foto: Philipp Tinembart / Unsplash
Florian Dietmaier: Die Kompromisse. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2024.
152 Seiten, 22 Euro.
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Florian Dietmaiers Debüt „Die Kompromisse“ zeichnet das Leben eines
adligen österreichischen Diplomaten nach, der seine Homosexualität verbirgt.
Auf Nauru, einem der, von der Fläche her, kleinsten Staaten der Welt, verhandelt Peter 1962 über den Export von phosphorhaltigem Guanodünger. In Liechtenstein wirbt er 1985 für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Österreich und trifft im Rathaus von Vaduz zufällig einen Mann wieder, der ihm und seiner Frau einige Jahre zuvor als Untermieter Lebensmittel aus den Einkaufstüten gestohlen hatte. Und in Bozen wird Peter 1998 in einen Disput über die Zweisprachigkeit Südtirols verwickelt, in dessen Verlauf Jahrzehnte alte Verletzungen wieder aufbrechen.
Peter ist ein österreichischer Diplomat und außerdem die Hauptfigur in Florian Dietmaiers Roman „Die Kompromisse“, in 19 Episoden werden seine Biografie und Karriere rekonstruiert. Obwohl Dietmaier nur Schlaglichter auf dieses Leben wirft, lässt sich aus deren Bruchstücken das Wesen der Diplomatie erstaunlich anschaulich betrachten. Gerade einmal 150 Seiten umfasst „Die Kompromisse“. Auf diesem engen Raum bekommt Dietmaier ein langes Leben, das 2019 endet, in seinen privaten und beruflichen Verwicklungen zu fassen. Peter wird im Jahr 1929 in eine adelige Wiener Diplomatenfamilie hineingeboren. Er wird im Laufe der kommenden Jahrzehnte die Erwartungen erfüllen, die an ihn gerichtet sind, aber er fügt sich dennoch nicht passgenau in das Raster seiner Herkunft und der damit verbundenen sozialen Anforderungen.
Auf verschlungene Weise ist „Die Kompromisse“ auch der Bildungsroman eines Menschen, der in seinen jungen Jahren heimlich Groschenromane auf dem Klo versteckte, um im Alter dann philosophische Bücher zu lesen. Als Student in der unmittelbaren Nachkriegszeit an der zerbombten Universität in Wien spürt Peter immer nur das eigene Ungenügen, seine Antriebslosigkeit, bis er beschließt, seine fehlende Welterfahrung durch Lektüren auszugleichen.
Das Leben, das Peter im diplomatischen Dienst führt, ist an der Oberfläche unspektakulär. Kein Glamour, keine Helden- oder Abenteuergeschichten und auch nicht das große Parkett. Diplomatie, so hat Peter es von seinem Vater und von seinem Großvater gelernt, und so hält er es auch in seinem eigenen Wirken, besteht in erster Linie in überzeugender Außenwirkung und weniger in konkreten Ergebnissen. Der Roman ist auch der Ich-Perspektive erzählt, erst am Ende des Buchs wechselt der Blickwinkel, und es klärt sich, wer Peters Aufzeichnungen gesichtet und geordnet hat. Die Notate dienen im Übrigen weniger der eigenen Bedeutungssicherung für die Nachwelt, sondern eher der augenblicklichen Selbstvergewisserung und der Reflexion von Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Der Tonfall, in dem Peter Situationen aus seinem Leben festgehalten hat, ist der leicht verschraubte, dezent beamtenhaft umständliche Duktus eines Menschen, der gelernt hat, Distanz zu halten, auch zu sich selbst. Diese Stillage ist nur konsequent und erzeugt verblüffende Effekte.
Peter ist verheiratet mit Jane, einer in den USA geborenen Enkelin serbischer Einwanderer. Mit ihr gemeinsam lebt er zu Beginn der 1970er-Jahre in New York; die beiden haben einen gemeinsamen Sohn. Plötzlich und unvermittelt dann: „Der Weg zum Hotel hatte sich in den rund zwanzig Jahren, seit ich ihn das erste Mal gegangen war, kaum verändert. John begrüßte mich mit einem langen Kuss. Seit meiner Rückkehr hatten wir uns nur gelegentlich getroffen. Nicht so oft, wie wir beide es wollten. Nicht zu oft, um unsere Leben zu gefährden, die wir unabhängig voneinander aufgebaut hatten.“
Peters frühe Offenbarung seiner in einer Parallelexistenz heimlich ausgelebten Homosexualität ist die Folie, auf der man den Roman von nun an automatisch weiterliest. Nationale Identitäten und deren Aushandlung verschmelzen mit der komplexen Identität des Protagonisten. Die Kompromisse, die ein schwuler österreichischer Diplomat in den Nachkriegsjahrzehnten in Kauf nehmen muss, sind keine Privatsache. Hat Peter einen Begriff von Heimat?
Erst im hohen Alter und nach der Trennung von seiner Frau Jane im Jahr 2009 wird er in Wien offiziell mit einem Partner zusammenleben. Möglicherweise ist Peter am Ende tatsächlich irgendwo angekommen; nach einem Unterwegssein in permanenter Transnationalität, das Florian Dietmaier auf bemerkenswerte Weise nachgezeichnet hat.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Das Wesen der Diplomatie besteht in einer überzeugenden Außenwirkung: Pjotr Kontschalowskis „Nackte“.
Foto: Philipp Tinembart / Unsplash
Florian Dietmaier: Die Kompromisse. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2024.
152 Seiten, 22 Euro.
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