Essay aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Philosophie - Theoretische (Erkenntnis, Wissenschaft, Logik, Sprache), Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit Kant vollzieht sich ein zweites Mal in der deutschen Geistesgeschichte eine Wendung nach innen, vielmehr eine Verinnerlichung, nicht mehr mit der Form des religiösen, sondern mit der Form des wissenschaftlichen Bewusstseins. Seit Beginn der Neuzeit, der Renaissance, häufte die abendländische Wissenschaft ein nahezu nicht zu bewältigendes Material aus naivem Forschen und Denken, von Tatsachen und Sachbezügen an und nutzte es ebenso naiv zur Komposition eines metaphysischen Weltbildes. Wie die Scholastik - diese Rationalisierung, diese Systematisierung des christlichen Glaubens und Dogmas – das innere Heiligtum des Geistes zu einer begrifflichen Außenwelt verkehrt, zu einer dinghaften, gegenständlich gedachten Begriffswelt veräußerlicht hatte – so errichtete auch das Zeitalter der Aufklärung, welches wir präzise das rationale nennen, welches ich aber das rationalistische nennen möchte, ein System des Verstandes, ein Konstrukt von gegenständlich, begriffsrealistisch gedachten Wesenswahrheiten und Relationen, in welchem der Mensch Sicherheit haben sollte, aber indem sein Geist nicht zu Hause war, auch kein Zuhause zu finden vermochte. Es wurde an diesem Konstrukt mehrfach gerüttelt, es drohte sogar einzustürzen, konkret, wo es sich um theologische Bausteine handelte, Bauart und Baumaterial blieben sich letztlich ähnlich, es war eine selbstlose seelenlose Hülle, in der Geist selbst entfremdet wurde. Vergleichbar mit der Erschütterung des scholastischen Weltbildes durch Nominalismus und Mystik, die es auch teils überwanden, führte auch Kant eine Revolution des Denkens durch, welche mit einem Paukenschlag das Zeitalter der puren Verstandesherrschaft beendete.