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Zuletzt unterlag die königliche Akademie: Sarah Salomon sondiert den Kunstbetrieb im Frankreich des Ancien Régime.
Dieses Buch, aus einer Dissertation hervorgegangen, ist das Ergebnis langer, vor allem quellenbasierter Forschung. Die in ihm behandelte Fragestellung ist ebenso einfach wie unerforscht: Untersucht werden die Möglichkeiten und Grenzen, aber auch das Innovationspotential von Künstlerinnen und Künstlern in der französischen Kultur der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, die nicht Mitglieder der höfischen Akademie waren.
Die königliche Akademie, ein Produkt des absolutistischen siebzehnten Jahrhunderts, versuchte mit allen Mitteln ihren Alleinvertretungsanspruch, ihr idealistisches und elitäres Konzept bis zu ihrem abrupten Ende in der Französischen Revolution aufrechtzuerhalten. Besonders unter dem Direktorat des Comte d'Angiviller, der der königlichen Kunstbehörde von 1774 bis 1790 vorstand, wurde mit Härte gegen alle Bemühungen, der Kunst Orte des Erscheinens außerhalb der Akademie zu organisieren, vorgegangen. Dabei war in der Aufklärung die Emanzipation des Kunstbetriebes nicht mehr aufzuhalten - und die Akademie hatte nolens volens ihren Anteil daran.
Die Einrichtung des Salons im Louvre im Jahr 1737, gedacht als regelmäßiges Ausstellungsforum der akademischen Künstler, hatte Folgen. Es entstand eine Kunstkritik, die klassische Theoriebildung hinter sich ließ, vielmehr über die Zeitungen ein breiteres Publikum ansprach, dessen Reaktionen schilderte. Ferner bildete sich der Typus des kompetenten Amateurs heraus, das Feld der Sammler und Händler wurde breiter, ein allgemeineres Interesse an Kunst unterminierte die klassische Gattungshierarchie: Nicht mehr die Historienmalerei, eifersüchtig von der Akademie als höchste Form der Kunst befördert, dominierte, vielmehr liefen ihr die traditionell niederen Gattungen Porträt, Genre und Landschaft den Rang ab. Die Akademie war eine mehr oder weniger reine Männerwirtschaft, allein vier Frauen durften jeweils Mitglied sein - Angiviller versuchte selbst diese Zahl noch zu reduzieren. Kurz: Es entstand ein Kunstdiskurs, der auf Dauer nicht mehr von der Akademie zu kontrollieren war.
Sarah Salomon untersucht unter Auswertung aller nur denkbaren Quellen vier Unternehmungen alternativer, nicht der königlichen Akademie verpflichteter Ausstellungsforen. Ein hinführendes Kapitel zur Akademiegeschichte wird vorangestellt. Dann wird als direktes Konkurrenzunternehmen zur königlichen Akademie die Académie de Saint-Luc untersucht, hervorgegangen aus der Zunft der "maîtres peintres", die die Organisation des Kunsthandwerks über Jahrhunderte kontrolliert hatte, aufgebaut auf dem alten Meistersystem.
Höfische Kunstpolitik versuchte die städtische Zunftordnung zu zerschlagen. Die neue Académie war die unmittelbare Antwort auf die Gründung der höfischen Akademie 1648. Sie existierte von 1649 bis 1776. Wenn in früheren Zeiten Kunst unter freiem Himmel auf der Place Dauphin ausgestellt wurde, so konkurrierten nun Salon- und Saint-Luc-Ausstellungen. Die königliche Akademie versuchte sich durch einen kunsttheoretischen Überbau abzugrenzen, in der Académie gewannen die niederen Gattungen die Oberhand, zudem waren Künstlerinnen unbegrenzt zugelassen. 1776 wurden die Zünfte verboten, die Académie kam an ihr Ende.
Damit wurden zahlreiche Künstlerinnen und Künstler freigesetzt, sie hatten sich auf dem Markt zu behaupten. Dieser Markt wurde durch privatbürgerliche Initiative zu gestalten versucht. Von einigem Einfluss auf den Wandel war trotz der kurzen Existenz (1776/77) das Colisée, ein Vergnügungspalast von riesigen Ausmaßen, dem englischen Vorbild Vauxhall Gardens folgend: Kunst wurde zum Teil der Unterhaltungsindustrie. Es folgte der Salon de la Correspondance (1779 bis 1787) mit wöchentlich wechselnden Ausstellungen, nicht nur mit neuer, sondern auch mit alter Kunst aus Privatbesitz. Zudem legte es ihr Organisator darauf an, dass sein Salon zu einem Treffpunkt und Diskussionsforum der Gebildeten wurde; naturwissenschaftliche Experimente wurden vorgeführt, die Nähe zur Académie des Sciences wurde deutlich.
Wie das Colisée, so wurde auch der Salon de la Correspondance von der königlichen Akademie bekämpft. Finanzielle Probleme gefährdeten das Unternehmen, und doch wurde auch hier der Kunstbetrieb liberaler und bot einer breiteren Künstlerschaft die Möglichkeit, sich vorzustellen. Zum Schluss des Buchs wird die Exposition de la Jeunesse (um 1759 bis 1788) behandelt, die erst unter freiem Himmel wieder auf der Place Dauphin junge Kunst präsentierte und dann in die Galerieräume des Kunsthändlers Lebrun umzog. Diese Institution ließ die Akademie gewähren, da hier allein der Nachwuchs sich zeigte. Der Anteil der Künstlerinnen war besonders groß. Auch dominierten die niederen Gattungen, vor allem das Porträt. Zwei Künstlerinnen, die es bis zur Berufung in die Akademie geschafft haben, Adelaïde Labille-Guiard und Élisabeth Vigée-Lebrun, hatten hier ihren ersten erfolgreichen Auftritt.
So wie Salomons Studie angelegt ist, erfahren wir nichts darüber, wie die Strategien dieser Künstlerinnen sich anschaulich in ihrer Kunst niederschlugen. Dazu sollte man als Ergänzung die voriges Jahr erschienene Arbeit von Lea Kuhn "Gemalte Kunstgeschichte" lesen. Sarah Salomon hat den Kunstbetrieb vor der Revolution in Frankreich differenzierter als je zuvor ausgeleuchtet, das lässt ihre Arbeit für weitere Forschung als unverzichtbar erscheinen. WERNER BUSCH
Sarah Salomon: "Die Kunst der Außenseiter".
Ausstellungen und Künstlerkarrieren im absolutistischen Paris jenseits der Akademie.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 408 S., Abb., geb., 42,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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