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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Politik ist Theater der anderen Art: Juliane Rebentisch verteidigt die Ästhetik gegen deren Verächter auf dem Feld der praktischen Philosophie
Ein Buch mit dem Titel "Die Kunst der Freiheit" muss nichts Gutes verheißen. Es könnte sich irgendwo zwischen Lebensweisheit, Moralistik und Ratgeberliteratur bewegen, die, wenn es doch noch gutgeht, immerhin das Niveau der "Kunst des Liebens" oder der "Kunst des Bogenschießens" erreichen. Vor zehn Jahren hat Peter Bieri ein vielbeachtetes Buch mit dem Titel "Das Handwerk der Freiheit" geschrieben. Handwerk hat, so möchte man meinen, goldenen Boden. Die Kunst dagegen erscheint wie ein Fass ohne Boden. Vor allem, wenn man sie mit dem Grundwert der modernen Moral und des demokratischen Staatsverständnisses füllt: der Freiheit.
Juliane Rebentisch ist sich als Autorin dieser Sachlage sehr wohl bewusst. Die jüngste Vergangenheit stand schließlich auffällig im Zeichen einer "Ästhetisierung der Lebenswelt" (Rüdiger Bubner) und der "Erlebnisgesellschaft" (Gerhard Schulze). Ethik und Politik schienen hier unter das weiche Regime einer "Ästhetik der Existenz" (Michel Foucault) zu geraten. Rebentisch setzt freilich bei der Überlegung an, dass das, was sich ästhetisieren lässt, diesem Einfluss auch offensteht. Gibt es also etwas in der Kultur, der gelebten demokratischen Freiheit selbst, das eine Ästhetisierung erlaubt oder sogar fordert? Und was wäre in diesem Fall mit Ästhetisierung gemeint?
Ersichtlich kann man diese Fragen nur beantworten, wenn man sich nicht nur auf die Ästhetik, sondern auch und vor allem auf die Praktische Philosophie konzentriert. Dieser Umgewichtung kommt entgegen, dass gerade die vehementen Kritiker einer ästhetisch-demokratischen Kultur "ein sehr genaues Gespür für das Risiko und die Herausforderung einer solchen Kultur" bekunden. Es liegt daher nahe, die Kritiker ernst zu nehmen und von ihnen zu lernen. Denn darum geht es bei Rebentisch: um eine "Apologie" der Ästhetisierung durch ihre Gegenspielerin, die Praktische Philosophie.
Die Geschichte dieser indirekten Apologie beginnt wieder einmal mit Platon. Man möchte hier zunächst innerlich abwinken, ja beinahe Mitleid bekommen mit dieser seit Nietzsche geschundenen Gründerfigur der Philosophie. Platons Kritik an der Willensschwäche und der primitiven Lust-Unlust-Orientierung der Demokraten sowie umgekehrt seine Überzeugung, dass sich das, was gut ist für einen Einzelnen, ein für allemal festlegen lasse, hält ja schon lange nicht mehr stand. Nach wie vor interessant ist Platon aber, wie Rebentisch hervorhebt, weil er die Analyse von Regierungsformen mit, modern gesprochen, derjenigen von Subjektivierungsformen verbindet. Regierung und Selbstregierung bilden eine analogische Einheit, und diese Analogie wird im Falle der Demokratie ermöglicht durch das Element der Freiheit, verstanden nicht bloß als politischer, sondern auch als kultureller Begriff. Freiheit betrifft die Lebensführung im Ganzen. Mit dieser These ist Platon für die moderne Ästhetisierungskritik bestimmend geblieben.
An drei Repräsentanten der Moderne führt Rebentisch diesen sachlichen Zusammenhang vor, an Hegel, Kierkegaard und Carl Schmitt. Sie fassen das ästhetisierte, subjektivistische Freiheitsverständnis unter dem Konzept von Romantik und Ironie. Ihnen gegenüber möchte Rebentisch zeigen, dass man dieses Freiheitsverständnis gegen den Verdacht des Subjektivismus verteidigen kann. Die Ironie kann demnach, gegen und zugleich mit Hegel, in der demokratischen Lebensform "aufgehoben" werden. Denn in ihrer Distanz zum Sozialen dient die Ironie nicht als "Modell", sondern als "Moment" des Sozialen. Eine gesellschaftliche Lebensform, die keine Distanz zu sich selbst zuließe, würde sich absolut setzen und totalitär werden. Die politische Form, die die Möglichkeit der Selbstdistanzierung in sich selbst aufgenommen hat, ist aber die Demokratie, die ästhetische Form das Kunstwerk. In diesem zentralen Punkt kommen beide Bereiche überein. Und es ist dies der Achsenpunkt der Freiheit, wenn Freiheit heißt, die Möglichkeit zu haben, dies oder jenes im eigentlichen Sinn zu wollen.
Damit hat Rebentisch die Bausteine ihrer generellen These zusammen. Und wiewohl sie sich schlüssig zusammenfügen, setzen sie doch auch einiges voraus. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass der Bereich des Ästhetischen derjenige einer "differentiellen Logik" ist. Daran haben wir uns nur in den vergangenen Jahren unter Nachhilfe der einschlägigen französischen Philosophie gewöhnt. Und im Hintergrund steht natürlich auch Adorno. Er hat die "Dialektik der Freiheit" nachdrücklich ausbuchstabiert, nach der einerseits die Subjekte frei sind, soweit sie ihrer selbst bewusst sind, aber ebendarin auch wieder unfrei, soweit sie dem zentralisierenden Zwang der Bewusstseinsinstanz unterstehen, und nach der andererseits die Subjekte unfrei sind, soweit sie den Regungen ihrer diffusen inneren Natur folgen, aber eben darin auch wieder frei, soweit sie dadurch ihren Zwangscharakter aufbrechen können. Im Herzen der Freiheit nistet also, psychologisch und kulturell gesehen, ein unauflösbarer Widerspruch. Man kann nur versuchen, ihn auszuhalten, am besten, indem man ihn ästhetisch produktiv macht.
Für die Ethik lässt sich aus dieser Dialektik auch bei Rebentisch nicht mehr gewinnen als der andächtige Imperativ, offenzubleiben für das, was als das Andere und Fremde erscheint. Für die Politik ist der Ertrag erfreulicherweise aber präziser. Rebentisch arbeitet ihn in den beiden letzten Kapiteln ihres Buches heraus.
Ästhetisierung erhält nun die Bedeutung von Theatralisierung. Rousseaus berühmte Theaterkritik und Benjamins nicht minder berühmter Kunstwerkaufsatz, der zwar den Film ins Zentrum stellt, aber, so Rebentisch, erst mit Hilfe des Brechtschen Theaters verständlich wird, verhelfen zu der Einsicht, dass eine antitheatrale Demokratie ihrem Ende gleichkäme. Sie müsste nämlich sowohl die Trennung zwischen Person und Rolle als auch zwischen Darstellern und Publikum abschaffen zugunsten einer großen unmittelbaren Einheit von Volk und Repräsentation. Das Volk ist aber keine fixe, sondern eine regulative Idee der Demokratie. Und sie verwirklicht sich nie jenseits von Repräsentation und Machtverhältnissen. "Ebendieser Umstand wird in einer Demokratie nicht verdeckt, sondern ausgestellt, man könnte sagen aufgeführt - und bereits dadurch relativiert."
Es steckt wieder viel neuere französische Theorie, und das heißt immer auch poetisch angehauchte Emphase, in Rebentischs Interpretation. Aber alles in allem ist ihr Buch im Tonfall wohltuend unspektakulär und ebenso sachkundig wie elegant geschrieben. Die Geschichte der Praktischen Philosophie präsentiert sich hier in drei Akten - Platonische Antike, romantische Moderne, theatrale Demokratie -, die sich zu einer systematischen Abhandlung runden. "Die Kunst der Freiheit" verheißt also Gutes.
JOSEF FRÜCHTL
Juliane Rebentisch: "Die Kunst der Freiheit". Zur Dialektik demokratischer Existenz.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 396 S., br., 16,50 [Euro].
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