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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Effi, Emma und Anna: Wolfgang Matz untersucht in einer brillanten Studie den Ehebruch als literarisches Phänomen. Sein Material: drei Romane von Fontane, Flaubert und Tolstoi.
Nach Dr. Brehm", heißt es am Ende von Edward Westermarcks "Geschichte der menschlichen Ehe", die 1902 erschien, "paaren sich die meisten Vögel auf Dauer, während unter den Säugetieren, mit Ausnahme des Menschen und vielleicht der Menschenaffen, nur selten derselbe Mann und dieselbe Frau länger als ein Jahr lang zusammenleben." Aber, so der vergleichende Blick des Anthropologen, auch unter Menschen würden Ehen in vielen Völkern nicht für immer geschlossen und mitunter sogar ganz bewusst nicht auf Dauer.
Die Moral der vorangegangenen Jahrhunderte hatte das zumindest in Europa anders gesehen. Ja, im neunzehnten Jahrhundert waren sogar Liebe und Ehe immer mehr in eins gesetzt worden: keine Ehe ohne Liebe und keine Liebe ohne das Ein-für-alle-Mal des "Du, nur du allein". So jedenfalls sollte es sein, und wenn es sich anders ergab, dann umso schlimmer für die Tatsachen. Das war, wie konservative Beobachter sofort einwandten, ein riskantes Sollen. Denn was sei unstetiger als Gefühle, vagabundierender als Sexualität, erfahrungsärmer als junge Leute, die sich zu etwas entschließen sollten, was sie noch nicht gelernt hatten: Liebe, und was sie in seinen Folgen keinesfalls absehen konnten: Ehe.
Umso schwieriger für die Beteiligten, umso besser für die Literatur. Nach der Eheanbahnung, die seit jeher ein Komödienstoff war und in den Welten Jane Austens zum Medium von Personenkenntnis schlechthin wurde, rückt das Scheitern von Ehen zum Motiv der größten Romane auf. Es gibt, so die Erzählstimme des jungen Gustave Flaubert 1842, "für mich ein Wort, das unter den menschlichen Worten das schönste schien: Ehebruch, eine auserlesene Süße schwebte undeutlich über ihm, ein einzigartiger Zauber ziert es; jede Bewegung, die man macht, sagt es und kommentiert es auf ewig für das Herz des jungen Mannes, er berauscht sich ohne Ende, er findet darin die höchste Poesie, eine Mischung aus Verdammnis und Lust." Gegenüber der bürgerlichen Norm erschloss der Seitensprung nicht nur das außeralltägliche Abenteuer. Der Ehebruch schien als Motiv auch einer Vorstellung von Liebe gemäß, die sich keine Vorschriften machen lässt, nicht einmal von sich selbst.
Jedenfalls war das so in Kontinentaleuropa. Auf den Britischen Inseln machte man meist einen Bogen um das Thema. Oder die Autoren, argwöhnisch beäugt von den Leitern der großen englischen Leihbibliotheken, die nur sittsamen Lesestoff ankauften, schickten ihre Helden auf seltsame Ehebruchsumgehungsstraßen wie 1847 Emily Brontë in den "Sturmhöhen", wo eine Person nach der anderen geopfert wird, nur damit es nicht zum Äußersten kommt. In Frankreich, Deutschland und Russland hingegen stellen drei der meistgelesenen Romane des Jahrhunderts den durch Affären bewirkten Sturz einer Frau aus ihrer bürgerlichen Existenz in ihr Zentrum: "Madame Bovary" von 1856/57, "Anna Karenina" von 1877/78 und "Effi Briest" von 1894/95.
Der Münchner Literaturhistoriker Wolfgang Matz hat jetzt die raffinierten Konstruktionen von Flaubert, Tolstoi und Fontane - die sich 1856/57 gut hätten in Paris begegnen können - auseinandergenommen. Er führt uns ihre Mechanik vor, in allen Einzelbauteilen: die Ehemänner, die Ehebrecherinnen und ihre Geliebten. Matz befragt alle Eigenschaften dieser Figuren, Stand und Alter, Intelligenz und Gewissen, Temperament und Phantasiebegabung. Was bedeutet es, wenn der Mann doppelt so alt ist wie die Frau und wenn Effi Briests Gatte bereits um ihre Mutter geworben hat? Wie verhalten sich soziale und seelische Ebenbürtigkeit? Lieben die Paare, die hier zerstört werden, sich, lieben sich die Paare, die das Zerstörungswerk begehen? Bei Fontane ist die Ehe arrangiert, bei Tolstoi liebt der Ehemann auch mit Vernunft, bei Flaubert ist er ein Dummkopf, der sich in eine scharfe Braut verliebt, deren Haut durch die Wäsche duftet. Effi ist töricht, Emma habituell unerfüllt, für beide ist in der Ehe wie im Ehebruch fast jeder der Richtige. Anna Karenina allein liebt nicht den Ehebruch selbst, sondern den Mann, mit dem sie die Ehe bricht, und dieser allein, Wronski, ist kein Seitensprung, sondern liebt sie seinerseits.
Matz erwägt, was in einem Bruch liegt, der nach einem Jahr Ehe erfolgt (Effi Briest), im Unterschied zu einem Paar, das zuvor acht Jahre lang für sich lebte (die Karenins). Anna und Emma wollen ihre Ehe nicht bewahren, Effi schon. Anna und Effi wiederum verbergen den Ehebruch, Emma nicht. Denn sie genießt das Außeralltägliche daran: "Sie belügt ihren Mann? Wie wunderbar! Sie betrügt ihn? Herrlich!"
Matz deutet das alles zunächst von der Sache her, als die Erkundung von Liebe und Ehe in Romanform. Er tut es dabei so leichthändig, klar und ohne akademische Klingeltöne, dass man fast meint, es würden von ihm die Geschichten einfach nur nacherzählt. Doch das täuscht, es steckt ein immenses Gespür für den Stoff und seine psychologischen Komplikationen in dieser Darstellung. Die Asymmetrien von Ehen, in denen die Partner aus unterschiedlichen Gründen heiraten, sowie die unterschiedliche Verteilung von Lebensrisiken zwischen den Geschlechtern bilden hierfür - fast ist man versucht, zu sagen: nur - den sozialgeschichtlichen Hintergrund.
Was Matz viel mehr interessiert, ist die Logik, der gerade das vermeintlich Irrationale folgt. Er weist auf den Reiz hin, den besonders die verheiratete Frau für manchen Liebhaber hat. Doch warum eigentlich? Weil es schwieriger ist, weil es um einen Wettbewerb geht, weil der Ehebrecher sich um ihren Alltag nicht zu kümmern braucht und leicht in den Genuss kommt, das Außerordentliche zu repräsentieren. Das spiegelt sich auf der Seite der Ehepaare, wenn es bei Fontane im Roman "L'Adultera" heißt, treu sein, wenn man liebt, sei nicht viel. Niemand, der je geliebt hat und verheiratet ist, wird die Analysen, die an diese und zahllose andere Romanmotive anschließen, ohne Erkenntnisgewinn und ohne Anteilnahme lesen.
Doch das Buch bleibt nicht bei der Deutung erotischer und familiärer Konstellationen stehen. In seinem zweiten Teil fragt es, um welche Art von Kunstwerken es sich bei den drei Romanen handelt. Hierzu werden nicht nur die Entstehungsumstände der Werke und die Skandale, die sie jeweils machten, herangezogen. Hierzu werden sie auch kritisch beurteilt.
Matz lässt dabei wenig Zweifel daran, dass Theodor Fontane nicht auf der Höhe seiner beiden Zeitgenossen war, und er weist nach, dass "Effi Briest" voller Halbheiten steckt, weil sein Autor mit dem Befund, das Herz sei eben nicht verlässlich, schon eine Wahrheit ausgesprochen zu haben glaubte. Fontane schreibt, so Matz, als Einziger einen Gesellschaftsroman, der sich mit dem etwas plumpen Gegensatz von Norm und Abweichung begnügt. Die Auskunft, Effi scheitere, weil sie zu jung für die Ehe war und es ihrem Mann an Verständnis für sie fehlte, zeigt, dass Fontane sich von vornherein mit einer mäßigen Problemstellung begnügte. Matz hält ihm zugute, dass diese Mäßigung sich bis in Details als eine Antwort auf den erbarmungslosen Flaubert beschreiben lässt. Aber er ist zugleich empört über die resignative Bonhomie, die sich Fontane dabei durchgehen lässt. Matz, selbst ein Lektor, ruft hier nach demselben. Wo war der Leser, der hätte verhindern müssen, dass Effies Eltern am Grab der Tochter Kaffee trinken?
Flaubert hätte seiner nicht bedurft. Denn sein Buch gilt ganz und gar dem Kampf gegen die Phrase, deren zeitgenössische Aufgipfelung für ihn der romantische Selbstbetrug war. Nie zuvor und nie wieder danach ist mit solcher Kraft - aus viertausend Manuskriptseiten wurde der Roman herausgemeißelt - Kunst gegen die illusionären, tagträumerischen, medialen Wirkungen von Kunst eingesetzt worden. Im Grunde lässt der Autor sein Personal dafür büßen, dass die Literatur den Leuten eingeflößt hat, was sie von der Liebe und vom Ehebruch erwarten. Ein vollkommenes, aber ein grausames Werk, in dem die Liebe oder das, was sie dafür halten und woran sie zugrunde gehen, in erster Linie Mittel zum Kunstzweck ist.
So ist es Tolstoi, der für Matz die größte erzählerische Spannweite besitzt, weil ihn weder die Gesellschaft als solche noch vor allem die Kunst interessiert - sondern das Problem. Von 235 Kapiteln der "Anna Karenina" handelt nur die Hälfte von ihr. Ehebruch und Passion sind vor allem der Brennstoff, um alle menschlichen Verhältnisse in einem erschreckenden Licht zu zeigen. Gegenüber dem berühmten ersten Satz des Romans, wonach die Familien sich im Glück nicht unterscheiden, sondern nur die unglücklichen es je auf ihre Weise sind, erlaubt sich Matz die Rückfrage, ob das denn stimme. Und er deutet den Roman nicht als Beleg für diesen Spruch, sondern als Entfaltung der Frage, was das denn überhaupt sei, Unglück und Glück, wenn das Glücksstreben unglücklich mache.
Folgerichtig lehnt Tolstoi zuletzt nicht den Ehebruch ab, sondern die Ehe und attackiert in der "Kreutzersonate" von 1889 die bürgerliche Lebensform als solche. Der dritte Teil des Buches von Matz steigert die Dramatik der von ihm verhandelten Fragen darum noch einmal, wenn er sich dieser Gleichung von Ehe und Unmoral sowie dem Ehekrieg der Tolstois zuwendet. Nun ist es nicht die Fusion von Ehe und Liebe, sondern die von Liebe und Sexualität, über die Gericht gehalten wird. Nicht "Du sollst nicht ehebrechen", sondern "Du sollst nicht heiraten" lautet Tolstois Gebot, weil es gar keine Liebe gebe, sondern nur "das Bedürfnis des Fleisches nach Verkehr". Die romantische Lüge liegt für Tolstoi nicht, wie bei Flaubert, im Selbstbetrug der Törichten, sondern in der Unehrlichkeit derer, die von Seelenverwandtschaft reden, um zu ihrer Lust zu kommen.
In gewisser Weise hat der Fortgang der Geschichte Tolstoi hierin ironisch bestätigt, indem Liebe, Ehe und Sexualität längst auch anerkannterweise keine Zwangskombinate mehr sind. Für das Erzählmotiv bedeutet das ein Ende: "Wo der Ehebruch immer banaler wurde, da verschwand er aus dem Roman." Im letzten Teil des Buches kümmert sich Matz gleichwohl um das, was vom großen Thema übrig blieb, etwa in den weiteren Desillusionsstufen bei Michel Houellebecq und im Wissen eines Protagonisten von Arnold Geiger, dass auch in der Ehe nie ganz ausgelernt wird, wie weit sie gehen und was deshalb ertragen werden kann, weil sie das Beste ist, was ihm je zustieß. So endet das großartige, reiche und kluge Buch von Wolfgang Matz mit einem Plädoyer für die Schwierigkeiten dieser Lebensform. Um sie zu erkennen, bedarf es keiner Romane, um sie zu begreifen, schon. Man legt dieses Buch sehr dankbar aus der Hand.
JÜRGEN KAUBE
Wolfgang Matz: "Die Kunst des Ehebruchs". Emma, Anna, Effi und ihre Männer.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 320 S., geb., 24,90 [Euro].
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