Ob Diesel-Skandal oder Panama-Papers – immer wieder umgehen große Unternehmen oder führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft das Gesetz. Und immer wieder staunt die Öffentlichkeit, warum das so oft kaum spürbare Konsequenzen für die Beteiligten hat. Jochen Theurer erklärt anhand aktueller Fälle, wann und warum der Rechtsstaat an seine Grenzen stößt:
- Warum entscheiden Richter nicht immer nur nach Recht und Gesetz?
- Warum helfen Rechtsanwälte auch den bösen Buben?
- Warum gibt es Gesetzeslücken?
- Warum haben es Menschen mit Geld leichter vor Gericht?
- Warum wird nicht jeder Gesetzesverstoß bestraft?
- Warum hört der Kampf ums Recht nie auf?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.08.2019Allein an der roten Ampel
Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Selbst wenn man von der Berechtigung seiner Sache fest überzeugt ist, kann man niemals sicher sein, dass das Gericht dies genauso sehen wird. Wie kommt es zu dieser Unberechenbarkeit des Rechtssystems, obgleich doch alle staatlichen Amtsträger strikt an Recht und Gesetz gebunden sind? Diese Frage will Jochen Theurer beantworten. Über die Präsentation einiger juristischer Gemeinplätze, garniert mit einer kräftigen Prise Küchenpsychologie, gelangt er allerdings nicht hinaus. Dass zahlreiche Rechtsbegriffe unbestimmt sind und den Interpreten beträchtliche Auslegungsspielräume eröffnen, weiß jeder, der einmal den Grundrechtsteil des Grundgesetzes gelesen hat. Dass man anderen Menschen nicht hinter die Stirn schauen und daher niemals sicher wissen kann, ob die vom Richter vorgebrachten Gründe tatsächlich ausschlaggebend für seine Entscheidung waren, ist ebenfalls eine Einsicht, für die man kein Jurastudium braucht.
Dass die Behörden weder willens noch in der Lage sind, jeden Gesetzesverstoß zu verfolgen, ist ein Glück für jeden Autofahrer. Dass Abgeordnete nicht vor der Versuchung gefeit sind, sich selbst oder ihren Unterstützern dubiose Vorteile zuzuschanzen, ließ sich im vergangenen Jahr an der im Schnellverfahren durchgepeitschten Änderung der staatlichen Parteienfinanzierung bewundern. Und dass man mitunter abwägen sollte, ob eine Rechtsnorm wirklich strikte Befolgung verdient, ist niemandem fremd, der einmal bei menschenleerer Straße vor einer roten Fußgängerampel gestanden hat. Neu, aber nicht unbedingt merkenswert ist lediglich, dass Theurer in diesem Zusammenhang Kant zum Stammvater der Rechtspositivisten erklärt. Am Ende räumt freilich auch Theurer ein, dass erfahrene Juristen den Ausgang der meisten Rechtsverfahren ziemlich zuverlässig vorhersagen können. Für die rechtstypische Verschränkung von Sicherheit und Unsicherheit, Stabilität und Offenheit sorgen Faktoren wie die Instanzenzüge, die führenden Kommentare und nicht zuletzt persönliche Beziehungen, die Rechtsgespräche auch außerhalb der Bindungen formalisierter Verfahren ermöglichen. Zu diesen Mechanismen, ihren Leistungen und Gefahren (Stichwort: Deal) findet sich bei Theurer allerdings kaum etwas. Er banalisiert sein Thema nicht nur, er halbiert es auch. Schade um die vertane Chance.
MICHAEL PAWLIK.
Jochen Theurer: "Die Kunst, mit Gesetzen umzugehen". Eine Reise an die Grenzen des Rechts.
Springer Verlag, Berlin 2019.
168 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand. Selbst wenn man von der Berechtigung seiner Sache fest überzeugt ist, kann man niemals sicher sein, dass das Gericht dies genauso sehen wird. Wie kommt es zu dieser Unberechenbarkeit des Rechtssystems, obgleich doch alle staatlichen Amtsträger strikt an Recht und Gesetz gebunden sind? Diese Frage will Jochen Theurer beantworten. Über die Präsentation einiger juristischer Gemeinplätze, garniert mit einer kräftigen Prise Küchenpsychologie, gelangt er allerdings nicht hinaus. Dass zahlreiche Rechtsbegriffe unbestimmt sind und den Interpreten beträchtliche Auslegungsspielräume eröffnen, weiß jeder, der einmal den Grundrechtsteil des Grundgesetzes gelesen hat. Dass man anderen Menschen nicht hinter die Stirn schauen und daher niemals sicher wissen kann, ob die vom Richter vorgebrachten Gründe tatsächlich ausschlaggebend für seine Entscheidung waren, ist ebenfalls eine Einsicht, für die man kein Jurastudium braucht.
Dass die Behörden weder willens noch in der Lage sind, jeden Gesetzesverstoß zu verfolgen, ist ein Glück für jeden Autofahrer. Dass Abgeordnete nicht vor der Versuchung gefeit sind, sich selbst oder ihren Unterstützern dubiose Vorteile zuzuschanzen, ließ sich im vergangenen Jahr an der im Schnellverfahren durchgepeitschten Änderung der staatlichen Parteienfinanzierung bewundern. Und dass man mitunter abwägen sollte, ob eine Rechtsnorm wirklich strikte Befolgung verdient, ist niemandem fremd, der einmal bei menschenleerer Straße vor einer roten Fußgängerampel gestanden hat. Neu, aber nicht unbedingt merkenswert ist lediglich, dass Theurer in diesem Zusammenhang Kant zum Stammvater der Rechtspositivisten erklärt. Am Ende räumt freilich auch Theurer ein, dass erfahrene Juristen den Ausgang der meisten Rechtsverfahren ziemlich zuverlässig vorhersagen können. Für die rechtstypische Verschränkung von Sicherheit und Unsicherheit, Stabilität und Offenheit sorgen Faktoren wie die Instanzenzüge, die führenden Kommentare und nicht zuletzt persönliche Beziehungen, die Rechtsgespräche auch außerhalb der Bindungen formalisierter Verfahren ermöglichen. Zu diesen Mechanismen, ihren Leistungen und Gefahren (Stichwort: Deal) findet sich bei Theurer allerdings kaum etwas. Er banalisiert sein Thema nicht nur, er halbiert es auch. Schade um die vertane Chance.
MICHAEL PAWLIK.
Jochen Theurer: "Die Kunst, mit Gesetzen umzugehen". Eine Reise an die Grenzen des Rechts.
Springer Verlag, Berlin 2019.
168 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"... Sowohl für Juristen als auch Nicht-Juristen ist das vorliegende Buch sehr empfehlenswert, da es einerseits gut und interessant zu lesen ist, und andererseits einen interessanten Einblick in die (Nicht-)Geltung und den Zweck von Gesetzen bietet." (Dipl.-Jur. Julius Remmers, in: Die Rezensenten, dierezensenten.blogspot.com, 24. August 2019)