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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vom Fischer und keiner Frau: Bergsveinn Birgissons Roman "Die Landschaft hat immer recht" erzählt vom einsamen Dasein in einer Gegend Islands, die weder Mode noch Mobiltelefone kennt.
Das Leben eines Fischers, den das Schicksal in einem entlegenen Zipfel Islands abgestellt hat, kann man nicht wirklich eintönig nennen. Für Abwechslung sorgen ja der Fisch und das Wetter, und einer wie Halldór Benjamínsson, der jüngste unter den Fischern im Ort, weiß dessen beständigen Wechsel in seinem Tagebuch mit prächtigen Formulierungen festzuhalten, wenn er etwa notiert, dass die Wolken "über den Himmel" rasen "wie Autos, die zum Kaffeekränzchen im Frauenverein unterwegs sind", dass Regenschauer "wie der Mantelzipfel eines Betrunkenen in Reykjavík" auf die Berghänge "klatschen" oder "Flecken aus Sonnenschein im ganzen Fjord" zu sehen sind.
So paradiesisch, wie es sich die Touristen vorstellen, die es im Sommer gelegentlich in den Ort verschlägt, ist das Leben im Geirmundarfjördur dann aber auch wieder nicht. Das steht ebenfalls in den Tagebüchern Halldór Benjamínssons, die der Bezirksvorsteher Sigursteinn Benónysson für die Veröffentlichung eingerichtet hat.
Die Tagebücher, Halldór und der Bezirksvorsteher sind allesamt Erfindungen des isländischen Autors Bergsveinn Birgisson. Er hat den Roman "Die Landschaft hat immer recht" im Original bereits 2003 veröffentlicht, fünf Jahre also vor Islands Finanzkrise, an die man als heutiger Leser auf manchen Seiten denken muss. Wie erstaunlich, dass der Band nicht zu den Werken zählte, mit denen Island auf der legendären Buchmesse 2011 für Wirbel sorgte wie kein Gastland vor und keines nach ihm. Eleonore Gudmundsson hat die kleine Geschichte um einen Fischer, der sich nach einer Frau sehnt und darüber beinahe verrückt wird, nun endlich ins Deutsche übertragen.
Dass das Buch auf diese Sehnsuchtsgeschichte hinausläuft, merkt man dem drollig-trocken, aber doch ausgesprochen poetisch von der Warte Halldórs (und Sigursteinns) erzählten Roman zunächst nicht an. Im Mittelpunkt steht der Alltag einer Gruppe von Küstenfischern, die wie die Letzten einer aussterbenden Art vorgestellt und erwartungsgemäß als liebenswürdige Dickköpfe charakterisiert werden.
Von dem einen merkt man sich, dass er sich von den Fangregeln, die sich Landratten aus der Hauptstadt ausgedacht haben, nicht einschränken lässt. Ein anderer sieht - selbstredend, will man meinen - sogar wie ein isländischer Freiheitskämpfer aus. Von einem Weiteren, einem Pechvogel, heißt es, dass er einen riesigen Kredit abstottern müsse und daher von einer rettenden Karriere als Pornodarsteller träumt. Und so fort: Bergsveinn Birgisson, der als Jugendlicher bei Fischern in den Westfjorden gejobbt hat und sich danach der Altnordistik zuwandte, entwirft lauter schlichte, aber unvergessliche Gestalten, die andere Menschen nach den vielen einsamen Stunden auf See nur noch bedingt ertragen und überfordert sind, wenn sie es versuchen.
Der Fortschritt scheint diesen Männern bislang kaum mehr gebracht zu haben als einige Fernseher, elektrische Spulen für ihre Nussschalen und hier und dort GPS, das im Zweifel nicht funktioniert. Viel mehr braucht es aber auch nicht, während im fernen Reykjavík, so sagt es ein gastierender Dichter, bereits "Menschen in Modefetzen" umherlaufen, die "mobiltelefonquatschende Turbokapitalisten" seien und "sich abmühen, ihre Vergangenheit zu vergessen". Der schwermütige Pfarrer, der seinen Schafen keinerlei Hoffnung mit auf den Weg zu geben vermag, wettert bei jeder Gelegenheit gegen die dortigen Zustände, den Kapitalismus, die "Jetztzeit".
Den Fischern entlockt diese Entwicklung oftmals nur ein Schulterzucken, solange zumindest am Fjord alles weitergeht wie gewohnt. Wie ihre Väter fahren sie aufs Meer, sobald es das Wetter zulässt, und kehren mit Hunderten Kilo Heilbutt oder Kabeljau an die Mole zurück. Ist das Wetter nicht gut, schießen sie Vögel und Nerze, knabbern Seehundspeck und erzählen Geschichten wie von jenen aus ihrer Runde, die auf dem Meer blieben. Für neuen Gesprächsstoff sorgen Besucher wie der Dichter oder ein Politiker, der im Wahlkampf in den Fjord kommt, den Aufbau touristischer "Servicestrukturen" anmahnt und doch nichts begreift. Wenn den Männern im Fischerwohnheim, die sowohl einen Sinn für das Philosophische wie das Mythische haben, mal nach einer rauschenden Nacht in einer Strip-Bar zumute ist, findet sich außerdem ein Pick-up-Besitzer, der sie samt Kreditkarte nach Reykjavík bringt.
Allein eine Haushälterin fehlt, und das ist natürlich nicht gut. Mit einer entsprechenden Annonce, die von den Heimbewohnern gemeinsam aufgegeben wird, kommt die Handlung des Romans stärker in Gang, und Birgisson, der mittlerweile vier Romane geschrieben hat (dazu drei Gedichtbände und das hochgelobte Sachbuch "Der schwarze Wiking" über Geirmund Heljarskinn, dem der Geirmundarfjördur im vorliegenden Buch seinen Namen verdanken dürfte), lässt sie nicht von ungefähr im neblig-mystischen Grenzland zwischen Diesseits und Jenseits und Wahn und Wirklichkeit enden: Sein tagebuchschreibender Protagonist Halldór kämpft zusehends gegen eine Depression, deren Ursprünge nicht bloß mit dem baldigen Auftauchen einer Frau im Ort zusammenhängen.
Im Sommer kann man dergleichen trotz des munteren Tagebuch-Stils und vieler amüsanter Stellen nicht lesen: zu melancholisch. Im Herbst, wenn die Zeit gekommen ist, über Dinge wie "die Vergänglichkeit der Welt und Wollgras", die "ungleiche Verteilung des Glücks und über Gott" oder "das Sexualleben von Seehundweibchen, das Wetter und die Laune" nachzudenken (drei Kapitelüberschriften, manche sind noch reizvoller als die vielen Wetterbeschreibungen), sollte man es unbedingt tun. In diesem Büchlein steckt streckenweise ein ziemlicher Soul.
MATTHIAS HANNEMANN
Bergsveinn Birgisson: "Die Landschaft hat immer recht". Roman.
Aus dem Isländischen von Eleonore Gudmundsson. Residenz Verlag, Wien 2018. 264 S., geb., 22,- [Euro].
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