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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Kosmos von König Artus ist groß. John Matthews erzählt eine Fülle von unbekannten Texten um Gral und Tafelrunde nach. Mit zwiespältigem Ergebnis.
Am Anfang ist es ein Pferd, dem sich der Reisende anvertraut und es laufen lässt, wohin es will. Dann, am Meeresufer angelangt, schwingt er sich auf den Rücken eines Walfischs und wird weit in den Ozean hinausgetragen, wieder ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Der Wal setzt den Reisenden auf einer unbekannten Insel ab. Ein anderes Pferd bringt ihn schließlich zu einem Palast, wo ihn ein junges Mädchen empfängt: Sie sei Morgan le Fay, stellt sie sich vor, die berühmte Magierin und Schwester des ebenso berühmten Königs Artus, der nach seiner letzten Schlacht hierher, auf die Insel Avalon, entrückt worden sei. "Ihr werdet ihn im Palast antreffen", sagt Morgan zu dem Besucher, aber: "Ihr werdet feststellen, dass er keine so gute Gesellschaft ist, wie Ihr es womöglich erwartet."
Das Abenteuer auf der Insel Avalon erzählt ein katalanischer Autor namens Guillaume de Toerella in seinem kurzen Text "La Faula", entstanden im 14. Jahrhundert - zu einer Zeit, in der die Welt jenseits von Avalon keine schönere Zerstreuung kannte, als von den Abenteuern des sagenhaften Königs zu lesen oder zu hören. Dutzende von Romanen zeichneten das Bild der Tafelrunde und erzählten von den Rittern, die auszogen, um das Unrecht in der Welt zu bekämpfen. Ihre höchste und schwierigste Aufgabe aber war die Suche nach dem Heiligen Gral. Am Ende zerbrach die Gemeinschaft, Artus fiel in der letzten Schlacht und wurde nach Avalon gebracht. Eines Tages, so hofften Guillaumes Zeitgenossen, würde er zurückkommen, so wie andere auf Barbarossa hofften, und so liegt die Provokation des kurzen Textes gerade darin, dass Artus keine Anstalten dazu macht. Depressiv und unerreichbar hockt er auf seinem Bett und hält sein Schwert Excalibur umklammert, das ihm auf magische Weise Bilder von der echten Welt vermittelt, Bilder von Leid, Elend und Ungerechtigkeit. Nichts läge näher, als dass Artus sich aufraffte, um seine Mission zu erfüllen. Aber er bleibt sitzen. Was hätte er uns heute zu sagen?
Als sich im hohen Mittelalter aus unterschiedlichen Quellen der Kern des Artus-Stoffkreises herausbildete, gehörte dazu auch, dass sich der König eher selten durch eigene Aktivität auszeichnete. In der Regel schickte er seine Ritter los, und so handeln die Romane von Erec, Iwein, Parzival oder Lanzelot, während der König als "unbewegter Beweger" fungiert. Im Buch "Die Legende von König Arthur", das der 1948 geborene Forscher John Matthews im vergangenen Jahr im englischen Original veröffentlichte und das nun in deutscher Übersetzung vorliegt, wendet sich der Autor energisch gegen dieses Bild.
Er erzählt in 32 Kapiteln zahlreiche weniger bekannte Texte dieses Stoffkreises nach, die aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit stammen. Ausgangspunkt und Gegenbild zugleich ist dafür Thomas Malorys kanonische Kompilation "Le Morte D'Arthur", erschienen 1485, die ihrerseits die Geschichte des mythischen Königs umfangreich zusammenfasst. Matthews zollt dem Vorgänger hohen Respekt und folgt ihm insofern, als er Geschichten, die Malory nicht für sein Werk verwendet hatte, nun nacherzählt und dabei den linguistischen Horizont weitet - seine Vorlagen sind außer auf Französisch oder Latein auch auf Spanisch, Italienisch, Deutsch oder Hebräisch verfasst, und tatsächlich sind es gerade die nicht kanonischen Texte, die sein Buch zu einer anregenden Lektüre machen.
Auf der Habenseite stehen daher Geschichten um eher obskure Mitglieder der Tafelrunde wie die Herren Palonides oder Lanval, Matthews schöpft aus keltischen Quellen und fördert recht eigenwillige Helden zutage, und auch der "Lanzelet" des Ulrich von Zatzikhoven, dessen Titelfigur vom stärksten Helden urplötzlich zum jämmerlichen Feigling wird (durch Magie, selbstverständlich), liegt einem Kapitel zugrunde.
Die heterogenen Vorlagen widersprechen einander naturgemäß, und über dem Bemühen, sie so gut wie möglich miteinander zu harmonisieren, verliert Matthews bisweilen die große Linie aus den Augen. Zumal aus der relativ späten und britischen Perspektive Malorys manches anders aussieht als aus der des Kontinents im Hochmittelalter - Matthews' Bemühen um ein freundlicheres Bild von Gawain, der im Lauf der Stoffgeschichte moralisch herabgesunken sei, wäre ganz unnötig, betrachtet man nur die im 12. oder 13. Jahrhundert entstandenen Romane, wo Arthurs Neffe als Musterritter auftritt. Dass er Chrétien de Troyes, Wolfram von Eschenbach und Hartmann von Aue gegen Malory so gar nicht in Stellung bringen möchte, ist seltsam, und dass er beispielsweise die herrlichsten "Parzival"-Episoden und -Figuren nicht heranziehen mag, schwächt auch ein Buch, das sich stofflich dem Obskuren verschrieben hat. Wie sehr der von Matthews so geschätzte "Papageien-Ritter" vom "Wigalois" abhängig ist, bleibt so ganz unterbelichtet, sodass der Witz dieses Textes - Artus übernimmt hier in weiten Teilen selbst ein Abenteuer, das in der Vorlage einer seiner Ritter erlebt - nur zur Hälfte zündet.
Zudem ist die Erzählstimme, die Matthews hier verwendet, in ihrer Unentschlossenheit zwischen Alt und Neu nicht jedermanns Sache. So wird man das Buch vor allem als Anregung sehen, als Leser den ausgebreiteten Geschichten nachzugehen. Und wenn die eine oder andere im Zuge dieser Beschäftigung neu ins Deutsche übersetzt würde, trüge das Buch ungeahnte Früchte. TILMAN SPRECKELSEN
John Matthews: "Die Legende von König Arthur".
Vorwort von Neil Gaiman, Bilder von John Howe. Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta, Stuttgart 2023. 640 S., geb., Abb., 42,- Euro.
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