Ein Jahr ist es her, dass Benny Oh seinen Vater bei einem Unfall verloren hat. Seitdem hört er Stimmen. Erst die seines Vaters, doch die verschwindet, und jetzt sind es die Stimmen von Gegenständen. Obwohl es nicht wirklich Stimmen sind, sondern eher Geräusche, Seufzer, die Trauer einer
Fensterscheibe, an der sich ein Vogel das Genick gebrochen hat, das Stöhnen eines Löffels, der in eine…mehrEin Jahr ist es her, dass Benny Oh seinen Vater bei einem Unfall verloren hat. Seitdem hört er Stimmen. Erst die seines Vaters, doch die verschwindet, und jetzt sind es die Stimmen von Gegenständen. Obwohl es nicht wirklich Stimmen sind, sondern eher Geräusche, Seufzer, die Trauer einer Fensterscheibe, an der sich ein Vogel das Genick gebrochen hat, das Stöhnen eines Löffels, der in eine Regenrinne gefallen ist. Und die Stimme des Buches, das Bennys Geschichte erzählt...
Freundschaften schließt Benny in dieser Zeit mit anderen Außenseitern wie Alice/das Aleph, die er bei einem ersten Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik kennenlernt, und dem Obdachlosen Flaschen-Mann.
Annabelle, Bennys Mutter, trauert auf ihre eigene Weise. Sie nimmt an Gewicht zu und begräbt ihre Trauer im Ansammeln von Dingen, die die Doppelhaushälfte der Ohs im Chaos versinken lassen. Alles wächst ihr über den Kopf, bis schließlich der Rauswurf aus der Wohnung und Entzug des Sorgerechts für Benny drohen.
Dem Roman „Die leise Last der Dinge“ von Ruth Ozeki konnte man, besonders im englischsprachigen Raum kaum entkommen. Er schien immer und überall aufzutauchen und gewann schließlich den Women’s Prize for Fiction 2022. Auch ich war neugierig auf diese Geschichte über den Jungen, der Stimmen hört, geriet aber beim Lesen schnell ins Schwimmen.
Sowohl inhaltlich als auch stilistisch hätte ich das Buch nicht als möglichen Kandidaten für den Women’s Prize eingestuft, als Gewinner schon gar nicht. Was ich gelesen habe, war eher ein Jugendbuch. Kein herausragend gutes, aber zumindest eins, dem ich, in Anbetracht der Zielgruppe, vieles nachgesehen hätte (unter anderem den prätentiösen und nervtötenden Tonfall des erzählenden Buches).
Hätte sich Ozeki darauf beschränkt, die Geschichte über einen Jungen und seine Mutter zu erzählen, die nach dem plötzlichen Tod des Vaters bzw. Ehemannes mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen haben, hätte es ein bewegender und nachdenklich machender Roman werden können. Aber die Vermischungen mit Elementen, die aus dem Zen Buddhismus zu kommen scheinen, mich in dieser Form aber eher an ein halbseidenes Selbsthilfebuch in Romanform erinnert haben (inklusive der Auszüge aus Annabelles tatsächlichem Selbsthilfebuch „Tidy Magic“. Marie Kondo lässt grüßen), waren mir zu platt und konstruiert. Natürlich kann man Trauer und daraus entstehende Krankheiten als Station oder sogar als Aufgabe auf dem Lebensweg und der eigenen Entwicklung sehen. Aber wenn der Lösungsansatz dann aus etwas besteht, das ich mal Kuschel-Surrealismus nennen möchte, geht für mich ein wesentlicher Teil der Tiefe und Ernsthaftigkeit verloren.
Ich bete es fast gebetsmühlenartig in meinen Rezensionen runter, aber für „Die Leise Last der Dinge“ gilt es womöglich noch stärker, als für andere Bücher: Jeder Leser liest sein eigenes Buch. Dieser Roman wird auf vielen „Top Ten“ des Jahres stehen, sich zu Lieblingsbüchern gesellen und Leser tief berühren. Und auch ich werde es weiter mit Büchern von Ozeki probieren, aber dieses konnte meine (zugegebener Maßen recht konkreten) Erwartungen nicht erfüllen.