Ein Ausflug ans Meer soll ein junges Paar zusammenführen. Ein Nachtportier fühlt sich heimlich zu seiner Halbschwester hingezogen. Eine Unidozentin flieht vor einer gescheiterten Beziehung und vor der Auseinandersetzung mit sich selbst. Ein japanischer Professor verliebt sich in eine Göttin.
Kunstvoll erzählt Terézia Mora in »Die Liebe unter Aliens« von Menschen, die sich verlieren, aber nicht aufgeben, die verloren sind, aber weiter hoffen. Wir begegnen Frauen und Männern, die sich merkwürdig fremd sind und zueinander finden wollen. Einzelgängern, die sich ihre wahren Gefühle nicht eingestehen. Träumern, die sich ihren Idealismus auf eigensinnige Weise bewahren. Mit präziser Nüchternheit spürt Mora in diesen zehn Erzählungen Empfindungen nach, für die es keinen Auslass zu geben scheint, und erforscht die bisweilen tragikomische Sehnsucht nach Freundschaft, Liebe und Glück.
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© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Und was tut der Mensch? Terézia Moras funkelnde Erzählungen handeln von Sonderlingen unterwegs: "Die Liebe unter Aliens".
Straße", hat Terézia Mora einmal gesagt, sei eines ihrer Lieblingswörter, und man begreift ihre Leidenschaft für das Wort sofort. Denn die Literatur der 1971 im ungarischen Sopron geborenen Schriftstellerin, die nach dem Studium in Budapest 1990 nach Berlin übersiedelte und seither auf Deutsch publiziert, kreist unaufhörlich um das Unterwegssein. Grenzerfahrungen und Grenzgänger sind zentrale Sujets ihrer Bücher. "Weder drin noch draußen", heißt es über eine junge Ausreißerin in "Ein Schloss". Und wer könnte die Reise von Darius Kopp vergessen, jenes IT-Spezialisten, den Terézia Mora in ihrem 2013 mit dem Buchpreis ausgezeichneten Roman "Das Ungeheuer" nach dem Selbstmord seiner Frau Richtung Ungarn aufbrechen lässt? Mit der Asche und dem Laptop der Verstorbenen im Gepäck versucht er herauszufinden, was es mit der Liebe dieser zwei Menschen auf sich hatte, die sich in vielem so fremd waren.
In ihrem neuen Band mit Erzählungen, "Die Liebe unter Aliens", schreibt Terézia Mora jetzt abermals von Menschen unterwegs. Nicht zufällig fällt an einer Stelle das Bonmot des tschechischen Langstreckenläufers Emil Zátopek: "Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft." Hier ist es ein Frührentner, der als Marathonmann zu großer Form aufläuft, als ihm ein Junge auf offener Straße die Tasche klaut und er hinterherjagt. Zwei andere, Tim und Sandy, beide ziemlich prekäre Existenzen, zieht es aus der Stadt hinaus ans Meer, bis ihnen die Sehnsucht nach einem anderen, vielleicht besseren Leben am Ende zum Verhängnis werden wird. Ein Professor für Japanologie, der nichts mit sich anzufangen weiß, streift unruhig durch die Stadt, während eine junge Wissenschaftlerin, die selbstsicher durch den internationalen akademischen Betrieb surft, im Spaziergang vor der Tatsache flieht, dass ihr Freund sie sitzenließ.
Die Fremdheit, die schon im Titel des Erzählungsbands manifest wird, ist dabei auf die Kluft zwischen den Menschen ebenso gemünzt wie auf die Selbstentfremdung. In ihrem unverwechselbar lakonischen Duktus nimmt die Autorin eine Ansammlung ganz unterschiedlicher Existenzen in den Blick: Terézia Mora erzählt von Hilfsköchen, Juristen und Sanitätern, andere haben eine Drogenkarriere hinter sich, bei einem Scheidungskrieg den Sohn an die Gegenseite verloren oder den Tod eines Bruders zu beklagen. Was sie alle aber verbindet, ist ein gewisser Eigensinn und das Gefühl, dass etwas nicht stimmt in ihrem Leben. Manche schaffen es, zumindest kurzfristig den eingeschlagenen Weg zu korrigieren. So findet Mario, der nur seinen Eltern zuliebe Rechtswissenschaften studierte, sein Lebensglück im Sammeln von Antiquitäten und wandelt die Wohnung der verstorbenen Eltern in eine Pension um. Doch dann muss Mario die Möbel verkaufen, weil er sonst die Erbschaftssteuer nicht aufbringen kann.
Andere scheitern auf ganzer Strecke. Sandy, das Mädchen aus der Titelgeschichte mit dem Sehnsuchtsbild vom Meer, einem utopischen Moment innerhalb einer ausweglosen Situation, verschwindet an einer Stelle ganz plötzlich und einfach so, ohne Erklärung. Das Beunruhigende einer unerklärlichen Tat wird von Terézia Mora nicht entschärft, sondern sie lässt sie so stehen, sprachlich souverän. Es macht ihre Literatur so beeindruckend, dass man die Erzählungen mehrmals lesen kann, und jedes Mal wieder tut sich eine weitere Ebene auf. Terézia Mora schreibt über Unglück, aber nicht larmoyant, sie schreibt über Sonderlinge, aber nicht skurril. Darin liegt das Kunststück.
Der Marathonmann, der durch die Stadt wie um sein Leben rennt, muss am Ende feststellen, dass der Dieb ihm zwar sein Geld zurückgegeben, das Wichtigste aber behalten hat. Vor allem Männer wie er sind es, die in den Prosaminiaturen der fünfundvierzigjährigen Autorin mit ihrer Existenz hadern. Es ist ein Klima der Enge, das sie umgibt. Als Tom, dessen Namensdoppelgänger gerade gestorben ist, sich mit dessen Schwester trifft, gerät ihr Gespräch vollkommen aus dem Ruder. Beide schaffen es nicht, eine gemeinsame Sprache zu finden, in der sich über den Tod des Bruders, der Toms Kindheitsfreund war, sprechen ließe. Die Unruhe, die den überlebenden Tom erfasst, hat auch mit dem Ort zu tun. Denn er war schon eine Viertelstunde vor der Verabredung gekommen, um Katharina zu treffen, und dann hat sie ihn noch eine halbe Stunde warten lassen. Bei Terézia Mora kann schon der Umstand, an einen Ort gefesselt zu sein, in die Katastrophe führen. Nicht zuletzt, wenn es sich dabei auch noch um einen Friedhof handelt.
SANDRA KEGEL
Terézia Mora: "Die Liebe unter Aliens". Erzählungen.
Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und was tut der Mensch? Terézia Moras funkelnde Erzählungen handeln von Sonderlingen unterwegs: "Die Liebe unter Aliens".
Straße", hat Terézia Mora einmal gesagt, sei eines ihrer Lieblingswörter, und man begreift ihre Leidenschaft für das Wort sofort. Denn die Literatur der 1971 im ungarischen Sopron geborenen Schriftstellerin, die nach dem Studium in Budapest 1990 nach Berlin übersiedelte und seither auf Deutsch publiziert, kreist unaufhörlich um das Unterwegssein. Grenzerfahrungen und Grenzgänger sind zentrale Sujets ihrer Bücher. "Weder drin noch draußen", heißt es über eine junge Ausreißerin in "Ein Schloss". Und wer könnte die Reise von Darius Kopp vergessen, jenes IT-Spezialisten, den Terézia Mora in ihrem 2013 mit dem Buchpreis ausgezeichneten Roman "Das Ungeheuer" nach dem Selbstmord seiner Frau Richtung Ungarn aufbrechen lässt? Mit der Asche und dem Laptop der Verstorbenen im Gepäck versucht er herauszufinden, was es mit der Liebe dieser zwei Menschen auf sich hatte, die sich in vielem so fremd waren.
In ihrem neuen Band mit Erzählungen, "Die Liebe unter Aliens", schreibt Terézia Mora jetzt abermals von Menschen unterwegs. Nicht zufällig fällt an einer Stelle das Bonmot des tschechischen Langstreckenläufers Emil Zátopek: "Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft." Hier ist es ein Frührentner, der als Marathonmann zu großer Form aufläuft, als ihm ein Junge auf offener Straße die Tasche klaut und er hinterherjagt. Zwei andere, Tim und Sandy, beide ziemlich prekäre Existenzen, zieht es aus der Stadt hinaus ans Meer, bis ihnen die Sehnsucht nach einem anderen, vielleicht besseren Leben am Ende zum Verhängnis werden wird. Ein Professor für Japanologie, der nichts mit sich anzufangen weiß, streift unruhig durch die Stadt, während eine junge Wissenschaftlerin, die selbstsicher durch den internationalen akademischen Betrieb surft, im Spaziergang vor der Tatsache flieht, dass ihr Freund sie sitzenließ.
Die Fremdheit, die schon im Titel des Erzählungsbands manifest wird, ist dabei auf die Kluft zwischen den Menschen ebenso gemünzt wie auf die Selbstentfremdung. In ihrem unverwechselbar lakonischen Duktus nimmt die Autorin eine Ansammlung ganz unterschiedlicher Existenzen in den Blick: Terézia Mora erzählt von Hilfsköchen, Juristen und Sanitätern, andere haben eine Drogenkarriere hinter sich, bei einem Scheidungskrieg den Sohn an die Gegenseite verloren oder den Tod eines Bruders zu beklagen. Was sie alle aber verbindet, ist ein gewisser Eigensinn und das Gefühl, dass etwas nicht stimmt in ihrem Leben. Manche schaffen es, zumindest kurzfristig den eingeschlagenen Weg zu korrigieren. So findet Mario, der nur seinen Eltern zuliebe Rechtswissenschaften studierte, sein Lebensglück im Sammeln von Antiquitäten und wandelt die Wohnung der verstorbenen Eltern in eine Pension um. Doch dann muss Mario die Möbel verkaufen, weil er sonst die Erbschaftssteuer nicht aufbringen kann.
Andere scheitern auf ganzer Strecke. Sandy, das Mädchen aus der Titelgeschichte mit dem Sehnsuchtsbild vom Meer, einem utopischen Moment innerhalb einer ausweglosen Situation, verschwindet an einer Stelle ganz plötzlich und einfach so, ohne Erklärung. Das Beunruhigende einer unerklärlichen Tat wird von Terézia Mora nicht entschärft, sondern sie lässt sie so stehen, sprachlich souverän. Es macht ihre Literatur so beeindruckend, dass man die Erzählungen mehrmals lesen kann, und jedes Mal wieder tut sich eine weitere Ebene auf. Terézia Mora schreibt über Unglück, aber nicht larmoyant, sie schreibt über Sonderlinge, aber nicht skurril. Darin liegt das Kunststück.
Der Marathonmann, der durch die Stadt wie um sein Leben rennt, muss am Ende feststellen, dass der Dieb ihm zwar sein Geld zurückgegeben, das Wichtigste aber behalten hat. Vor allem Männer wie er sind es, die in den Prosaminiaturen der fünfundvierzigjährigen Autorin mit ihrer Existenz hadern. Es ist ein Klima der Enge, das sie umgibt. Als Tom, dessen Namensdoppelgänger gerade gestorben ist, sich mit dessen Schwester trifft, gerät ihr Gespräch vollkommen aus dem Ruder. Beide schaffen es nicht, eine gemeinsame Sprache zu finden, in der sich über den Tod des Bruders, der Toms Kindheitsfreund war, sprechen ließe. Die Unruhe, die den überlebenden Tom erfasst, hat auch mit dem Ort zu tun. Denn er war schon eine Viertelstunde vor der Verabredung gekommen, um Katharina zu treffen, und dann hat sie ihn noch eine halbe Stunde warten lassen. Bei Terézia Mora kann schon der Umstand, an einen Ort gefesselt zu sein, in die Katastrophe führen. Nicht zuletzt, wenn es sich dabei auch noch um einen Friedhof handelt.
SANDRA KEGEL
Terézia Mora: "Die Liebe unter Aliens". Erzählungen.
Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main