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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der Kolumbianer Juan Gabriel Vásquez entwirft in seinen Erzählungen "Die Liebenden von Allerheiligen" einen amourösen Reigen.
Von Katharina Teutsch
Zwei Männer unternehmen einen Jagdausflug. Sie sind jenseits der siebzig und haben den Großteil ihres bürgerlichen Lebens hinter sich gebracht. Einer von beiden, Georges, ist mit Charlotte verheiratet, der andere, Xavier, hat Charlotte ein Leben lang geliebt, was wohl - beide hatten vor langer Zeit eine Affäre - auf Gegenseitigkeit beruhte, jedoch nicht zur Scheidung von Georges und Charlotte geführt hat. Jetzt also geht man in der belgischen Provinz mit einer Jagdgesellschaft ins Unterholz, dann knallt einer der Treiber zu früh ab, das Wild ist verschreckt, der Spaß vorüber, der Ärger groß. Aber wo steckt Xavier? Er hat die Autoschlüssel. Zuerst finden die Jäger den erschossenen Hund Xaviers, danach sein Herrchen: Selbstmord - wie es scheint aus Jahrzehnte altem Liebeskummer, präsentiert als souveräner Akt angesichts der Unauslöschlichkeit eines großen Liebesversprechens; in Wahrheit ein perfider Schritt, mit dem sich ein Freund von seinem Konkurrenten verabschiedet, indem er sich nun erst recht ins Leben der Hinterbliebenen schreibt.
Diese Vorfälle schildert Juan Gabriel Vásquez in seiner von der "Don Quijote"-Übersetzerin Susanne Lange elegant ins Deutsche übertragenen Erzählung "Der Untermieter". Nach einem Versuch auf dem Terrain des Schelmenromans und Eskapaden im weltliteraturgeschichtlichen Dauerquerverweis - Vásquez' zuletzt erschienener Roman "Die geheime Geschichte Costaguanas" über die Erbauung des Panamakanals und Joseph Conrad konnte einem schon arg bildungsbeflissen vorkommen - kehrt der kolumbianische Romancier zum konservativen Erzählstil zurück. Und darin liegt seine Stärke. Bereits im gefeierten Debütroman "Die Informanten" gelang ihm mit klassischen Erzählmitteln ein kolumbianisches Familienepos, in dem Nazis, Juden und ihre Nachfahren das Personal einer bizarren Landesgeschichte bildeten.
Die jetzt in der Erzählungssammlung "Die Liebenden von Allerheiligen" erschienene Dreiecksgeschichte, in der die Freundschaft zweier Männer durch das Medium einer Frau hindurchgeht (beziehungsweise auf die Probe gestellt wird), erinnert an die berühmte Erzählung "Die Glut" von Sándor Márais, die auf einem Jagdschloss in den Karpaten spielt, in dem sich zwei alte Männer nach Jahrzehnten wiedertreffen. In einer Nacht wird die Beziehung des Freundes zur verstorbenen Frau des anderen erörtert. Das Ganze hat aus moderner Beziehungsperspektive wenig Wirklichkeitsbezug und wirkt wie ein schwerer Fall von Hoher Minne. Und natürlich stellt man sich die Frage, weshalb ein gegenwärtiger Autor wie Vásquez sich heute (die Erzählungen sind im spanischen Original 2001 erschienen) partout mit ritterlich verkorksten Liebesklamotten beschäftigen möchte. Es ist ja nicht gesagt, dass die amourösen Dramen von früher intensiver waren, nur weil man sie nachträglich mit sozialen Vergeblichkeitsnarrativen verklären konnte.
Komischerweise liest man Vásquez' Mini-Existenzialdramen dennoch gern. Sie sind einfach zu gut geschrieben und bringen mit Kraft und Sublimierung auf den Punkt, worum es im Kern eines jeden Beziehungslebens geht: um Landkarten von Orten, die es nicht gibt. Solch ein Landkartenbuch hat Charlotte einst von Xavier geschenkt bekommen. Kein Wunder, dass eine derartige Ortlosigkeit der Liebe keine Heimat bieten kann.
Obwohl bei Vásquez viel geschossen wird und sich zwischenmenschliche Dramen meist auf Landsitzen irgendwo in den ardennischen Wäldern abspielen, liegt ein Reiz der Sammlung in der sozialen Variation des Themas. "Im Café de la République" bittet ein Mann mit bedenklich geschwollenem Lymphknoten die von ihm verlassene Ehefrau, ihn zu seinem Vater zu begleiten. En miniature wird hier eine ödipale Vater-Sohn-Beziehung geschildert, wie Vásquez-Leser sie bereits aus den "Informanten" kennen, wo ein Journalist den Roman seines Sohnes in einer Tageszeitung verreißt. Vor allem aber geht Vásquez in dieser Erzählung der Frage nach, wie Entfremdung entsteht, wie Vertrauen in einer Liebesbeziehung einerseits benötigt und gleichzeitig missbraucht wird (während seines Vaterbesuchs erfährt der Erzähler, dass er keineswegs todkrank ist, verschweigt das der Frau jedoch, die er noch immer liebt, mit der er aber nicht leben kann). Wie ist es zu erklären, dass man ausgerechnet den Menschen verlässt, der einem am nächsten gekommen ist? Der genau weiß, an welcher Stelle eines Fernsehinterviews man als Schriftsteller die Unwahrheit gesagt hat? "Ich weiß, wie es in dir aussieht", sagt die verlassene Frau. "Als hätte ich in dir gelebt."
Es ist vielleicht das verbindende Motiv dieser Erzählungen, dass sie von zwischenmenschlicher Nähe, von dem Versuch, sie auszuhalten, aber auch von emotionalem Vampirismus handeln. So oder so sieht man sich immer zwei Mal im Leben: "Ich sage mir, dass Paris klein ist und dass ich Vivianne mit etwas Glück ab und an begegnen werde, auf dem Markt oder im Kino. Solche Zufälle sind wahrscheinlich in einer Stadt wie dieser, nur äußerlich groß, doch im Grunde provinziell, eine Stadt, in der die Leute selten ihr Viertel verlassen. Ich werde ihr Gesicht sehen, wir werden ein paar herzliche Sätze wechseln. Nach und nach werde ich überleben." Wahrscheinlich geht es in Juan Gabriel Vásquez' Erzählungen einfach um das Überleben der Liebe.
Juan Gabriel Vásquez: "Die Liebenden von Allerheiligen". Erzählungen.
Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Schöffling & Co Verlag, Frankfurt am Main 2013. 259 S., geb., 22,95 [Euro].
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