Der Mord an dem jungen und bildhübschen Medium Charlotte Löwenstein gibt Inspektor Reinhardt Rätsel auf. Die Leiche wurde in einem von innen verschlossenen Raum gefunden, die Mordwaffe fehlt und auch bei der Obduktion treten recht bizarre Details zu Tage, denn obwohl die Frau erschossen wurde, fehlt
im Körper die Kugel. Reinhardt bittet seinen Freund, den Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe,…mehrDer Mord an dem jungen und bildhübschen Medium Charlotte Löwenstein gibt Inspektor Reinhardt Rätsel auf. Die Leiche wurde in einem von innen verschlossenen Raum gefunden, die Mordwaffe fehlt und auch bei der Obduktion treten recht bizarre Details zu Tage, denn obwohl die Frau erschossen wurde, fehlt im Körper die Kugel. Reinhardt bittet seinen Freund, den Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe, der ist für einen scharfen Verstand und seine ungewöhnlichen Methoden bekannt. Tatsächlich findet er durch geschickte Zeugenbefragung nach und nach immer mehr Details heraus, die schließlich zum gewieften Mörder führen.
Frank Tallis, selbst klinischer Psychologe, hat mit seiner Romanfigur Max Liebermann einen sympathischen Charakter geschaffen, der nicht nur beruflich gegen den Strom schwimmt und gänzlich neue Ansätze bei der Behandlung von psychisch Kranken einschlägt, er stattet ihn auch mit genug kriminalistischer Neugier aus, um seinem Freund Reinhardt bei dessen undurchsichtigem Fall zu helfen. Außerdem hat Liebermann ein etwas kompliziertes Privatleben, das ebenfalls am Rande thematisiert wird.
Irreführend ist allerdings der auf dem Cover aufgedruckte Satz "Sherlock Holmes trifft Siegmund Freud". Weder ist Inspektor Reinhardt ein Sherlock Holmes, seine Methoden schon gar nicht, noch ist Liebermann mit Freud zu vergleichen, dessen Methoden und Ansätze er durchaus kritisch sieht. Hier ist der Verlag deutlich über das Ziel hinausgeschossen und ich vermute, dass dieser Satz bei einigen Lesern gänzlich andere Erwartungen geweckt hat.
Sehr gut gelungen ist dem Autor die Atmosphäre im Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dazu tragen auch die Schilderungen der familiären Verhältnisse Liebermanns und anderer Protagonisten bei, die einen stimmigen Einblick in die gesellschaftlichen Strukturen dieser Zeit gewähren. Auch die teils obskuren Behandlungsmethoden psychisch Kranker vermitteln ein dichtes Zeitbild und lassen ahnen, was die armen Patienten damals erleiden mußten.
Ich selbst war noch nie in Wien, aber die Schilderungen im Buch und ein detaillierter Stadtplan lassen die Cafehausatmosphäre dieser Zeit bildhaft auferstehen und bieten eine stimmige Kulisse für den recht kniffligen Kriminalfall. Dieser ist eigentlich ein klassischer "Mord in verschlossenem Raum" und stellt den Inspektor vor einige Rätsel. Liebermann agiert eher hintergründig. Mit weitschweifigen Befragungen, die oft gar nichts mit dem Mord zu tun zu haben scheinen, sammelt er akribisch Informationen, die erst nach und nach einen Sinn ergeben. Daher hält sich die Spannung im Buch auch durchaus in Grenzen und der Leser wird kaum verleitet, sich nebenher vor Aufregung die Nägel abzukauen. Dafür sorgt auch der recht weitschweifige Erzählstil des Autors, denn es wird aus Sicht vieler verschiedener Personen erzählt und so sind zwar Inspektor Reinhardt und Liebermann die Hauptakteure, treten aber doch eher sporadisch in den 521 Seiten auf. Die kurzen knappen Kapitel führen dann aber trotzdem dazu, dass man das Buch recht schnell gelesen hat und die letztendliche Entlarvung des Mörders bringt dann noch eine gewisse Überraschung. Die Mordmethode fand ich recht ungewöhnlich und hätte mir doch die ein oder andere detailliertere Information dazu gewünscht. Insgesamt bleiben aber keine Fragen offen und der Schluß ist eine runde Sache.
FaziT: ein intelligent aufgebauter und atmosphärisch dichter historischer Wienkrimi, der mit einem kniffligen Fall und sympathischen Charakteren überzeugt.