Studienarbeit aus dem Jahr 1999 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1,0, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Ältere deutsche Literatur), Sprache: Deutsch, Abstract: Am Anfang war die Geste Am Anfang jeglicher menschlicher Kommunikation stand die Geste. Bevor der Mensch zur Sprache kam, verfügte er schon über einen Fundus an Gesten, mit denen er sich in seiner ganzen Persönlichkeit der Umwelt begreiflich machen konnte. Auch wenn Verständigung mittels Sprache und Schrift heutzutage, zumindestens in Mitteleuropa, gestische Ausdrucksweisen mehr und mehr überformt und ins Unbewußte verdrängt hat, ist es doch unbestritten, dass Körpersprache wesentlich zum Gelingen einer erfolgreichen kommunikativen Handlung beiträgt. Wenn uns jemand mit freundlichen Worten, aber einer abweisenden Körperhaltung entgegentritt, werden wir uns schwertun, dem Inhalt seiner Worte Glauben zu schenken. Erst wenn Rede und Gestus einer Person miteinander übereinstimmen, wirkt ihr Auftreten authentisch und glaubwürdig. Gestik ist diejenige Ausdrucksform des Menschen, über die sich sein ganzes Sein und Wesen vermittelt. Es ist die spezifische Art und Weise seines "aktiven In-der-Welt-Seins". Dieser Tage ist mir ein Buch in die Hände gefallen, welches sich mit den spezifischen Idiomen der türkischen Gastarbeiterkinder aus zweiter und dritter Generation befaßt. Auch hier wird betont, dass Habitus und Sprache einer Person als Möglichkeit der kulturellen Identifikation gleichrangig nebeneinander stehen. Das gilt gleichermaßen für jede andere Subkultur, wie auch generell für jede Art von Gestik in Bezug auf ihre identitätsbildende Funktion innerhalb eines Kulturkreises. Die Geste ist ja gerade auch Mittlerin und Trägerin grundlegender kulturspezifischer Merkmale: Über die Bedeutung der erhobenen Hand beim Schwur müssen wir zum Beispiel genauso wenig diskutieren wie über die des oft sehr kreatürlich wirkenden Siegesgeschreis beim Fußball. Das setzt voraus, dass wir über bestimmte «Codes» verfügen, mit deren Hilfe wir in der Lage sind, die Bedeutungen von Gesten aufzudecken. Dabei sind wir "auf eine empirische, intuitive Lektüre der Welt der Gesten, jener um uns her kodifizierten Welt, eingeschränkt", die eben auf solch tradierten Kulturmodellen beruht. Das gilt vor allem auch für die Kultur des Mittelalters, die gelegentlich sogar als eine "Kultur der Geste" bezeichnet worden ist. Dies könnte in der "Unzulänglichkeit des Schriftlichen" begründet liegen, denn in der Feudalgesellschaft des Mittelalters war Lesen und Schreiben ja bekanntermaßen fast ausschließlich dem Klerus vorbehalten.
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