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Die Geschichte der Luftwaffe in den Jahren 1950 bis 1970
Zum 50. Jahrestag der Gründung der Bundesluftwaffe ist ein mit Bild- und Kartenmaterial reichausgestatteter Band erschienen. Die großen wissenschaftlichen Beiträge stammen von Bernd Lemke und Dieter Krüger. Zugleich haben hohe pensionierte Offiziere mitgewirkt, die zu den ersten Jahrgängen gehörten, die ohne Kriegserfahrung in die Bundeswehr eintraten. Damit liegt ein Standardwerk vor, das auf einem imponierenden Quellenmaterial aufgebaut ist. In den frühen Planungen für den westdeutschen Wehrbeitrag sollten die Luftstreitkräfte eine eher untergeordnete Rolle einnehmen - eher eine Art Heeresfliegertruppe. Im Vordergrund der Planungen stand die "bewegliche Panzerkampfführung", die auf die deutschen Erfahrungen in den Panzerschlachten im Osten setzte. Den Luftstreitkräften kam keine eigenständige Rolle zu. Mit kameradschaftlicher Unterstützung der US Air Force, die mit derartigen Problemen ihre eigenen Erfahrungen hatte, kam es nicht zur Gründung einer "Heeresluftwaffe". Im Gegenteil. Mit der Entwicklung taktischer Kernwaffen erhielt die Luftwaffe dann ihr spezifisches Gewicht.
Als die Bundeswehr ab 1956 aufgestellt wurde, galt die massive Abschreckung als verbindliche Strategie. Mit der Einführung taktischer Atomwaffen, die angesichts der westlichen Schwäche bei der konventionellen Bewaffnung selbst bei begrenzten Konflikten zum Einsatz kommen sollten, schlug die Stunde zweier Bayern, des "neuen Führungsduos", die die Luftwaffe nachhaltig prägten. Es waren dies ihr erster Inspekteur Josef Kammhuber und der 1956 als Nachfolger von Theodor Blank von Adenauer widerstrebend akzeptierte Franz Josef Strauß. Über Kammhuber würde man gern mehr erfahren: ein Kriegsfreiwilliger des Jahres 1914 mit einer farbigen militärischen Karriere, die 1962 als Viersternegeneral endete. Seit 1957 stand er als erster Inspekteur an der Spitze der Luftwaffe. Diese wurde bewußt auf die Vereinigten Staaten ausgerichtet. Es war angesichts des inzwischen eingetretenen technischen Fortschritts ein Neubeginn. Nur 360 Piloten der alten Luftwaffe waren noch voll flugtauglich. Bei Kammhuber wie bei Strauß fällt trotz der engen Kooperation mit Washington und der Bereitschaft zum frühzeitigen Einsatz von Atomwaffen dennoch ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Amerikanern auf. Das klingt bei Lemke überaus gestelzt. Er sieht bei Kammhuber "eine Mischung aus einem nuklear-strategischen Absolutismus, noch nicht überwundenem Nationalstaatsdenken sowie Befürchtungen . . . vor einem möglichen strategischen Alleingelassenwerden seitens der Amerikaner".
Von zentraler Bedeutung für die Schlagkraft der Luftwaffe war die Entscheidung über das Fluggerät. Man benötigte vor allem einen schweren Allwetterjäger, als Jäger, Aufklärer und Jagdbomber, eine "multikomplexe Mehrzweckwaffe". Es sollte ein Flugzeug sein, das "höchste Leistungen bot und gleichzeitig noch entwicklungsfähig war, um kommende Anforderungen bewältigen zu können". Man testete viele Flugzeugtypen und entschied sich schließlich für den Starfighter. Die Luftwaffenführung wußte um Risiken, denn wesentliche Komponenten waren für die deutsche Version noch gar nicht entwickelt. Geschwindigkeit und enorme Steigleistung faszinierten. Der Bericht eines Generalleutnants, der die Maschine selbst geflogen hatte, erklärt ansatzweise, daß es auch ein "pilot's aircraft" gewesen war, nicht nur ein technisch überladener Jäger. Um die Bestechungsvorwürfe gegenüber Strauß wird kein Bogen gemacht. Es ist aber etwas blauäugig, wenn darauf verwiesen wird, daß die Akten keine Anhaltspunkte enthalten.
Strauß hatte im Verteidigungsausschuß einen hartnäckigen Kritiker, mit dem es zu erbittertem Schlagabtausch kam. Dies war der SPD-Verteidigungsexperte Helmut Schmidt - übrigens wie Strauß ein ehemaliger Oberleutnant der Luftwaffe. Er sah "unerhörte Kinderkrankheiten" voraus und hatte damit recht. Daß derartige Unheilsprognosen zum täglichen Brot eines Oppositionspolitikers gehören, steht auf einem anderen Blatt. Zugleich griff er Strauß heftig wegen seiner massiven Bemühungen an, deutsche Firmen beim Lizenzbau zu beteiligen. Schmidt sah darin eine "unheilvolle Allianz von nationaler Militärrüstung und entsprechender wirtschaftlicher Dominanz" wieder entstehen und hatte damit unrecht. Es ist jedoch eine offene Frage, ob Schmidt - wäre er damals Verteidigungsminister gewesen - nicht nach Beratung und Abstimmung mit der Luftwaffenführung auch für die Anschaffung des Jägers eingetreten wäre, wie es übrigens die SPD bei der Bewilligung des zweiten Beschaffungsprogramms tat.
Mit dem Strategiewechsel zur flexible response, der Verstärkung der konventionellen Streitkräfte zu Lasten der nuklearen Fähigkeiten tauchten neue Probleme auf. Es blieb ein strategisches Dilemma. Die Abschreckung, der Einsatz von Nuklearwaffen, lag allein bei den Vereinigten Staaten, die aber vom Eisernen Vorhang am weitesten entfernt waren und zugleich andere Optionen verfolgten. Es ist aber überzogen, wenn es einmal heißt: "Die Luftwaffe diente im Kriegsfall der Mithilfe bei der Vervollständigung der Vernichtung durch Zerstörung auch der Peripherie des sowjetischen Machtblocks." Das ist nicht nur ein miserabler Stil. Hier scheint das Kalkül der Abschreckung ins Ressentiment umzuschlagen.
HENNING KÖHLER
Bernd Lemke/Dieter Krüger/Heinz Rebhan/Wolfgang Schmidt: Die Luftwaffe 1950 bis 1970. Konzeption, Aufbau, Integration. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 869 S., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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