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Erbsensippe: Wie die Herren der Lützelburg groß und stark wurden
Am Palmsonntag, dem 12. April 963, erwarb ein Graf namens Siegfried von der vor Trier gelegenen Abtei St. Maximin die auf einem Fels über der Alzette gelegene Lucilinburc, die kleine Burg, nach der sich die Nachkommen dieses ersten Luxemburgers allerdings erst seit dem späten elften Jahrhundert benannten. Siegfried stammte über die Mutter von den Karolingern ab. Das wird dazu beigetragen haben, daß einer seiner Urenkel 1080 als Nachfolger des unglücklichen Rudolf von Rheinfelden zum König gegen den von Papst Gregor VII. mit dem Bann belegten und für abgesetzt erklärten Heinrich IV. gewählt wurde. Auch Hermann von Salm, wie dieser Gegenkönig heute benannt wird, hatte keinen Erfolg, und wenig später schien sich anzubahnen, daß der Name der Luxemburger bald wieder vergessen sein werde, denn 1136 ist Siegfrieds Sippe im Mannesstamm ausgestorben.
Indes haben zwei Erbtöchter namens Ermesinde dafür gesorgt, daß die Grafschaft Luxemburg auch weiterhin als der namengebende Kern des sich entfaltenden Territorienkonglomerats an der Westgrenze des Reiches wirken konnte. Ein Urenkel der zweiten Ermesinde (* 1247) wurde 1308 zum römisch-deutschen König gewählt und erneuerte 1312 in nachhaltig wirksamer Weise das seit dem Tode Friedrichs II. (1250) fast schon als erloschen geltende Kaisertum. Heinrich VII. belehnte seinen Sohn Johann mit dem Königreich Böhmen und verschaffte damit seinen Nachkommen eine Hausmacht, denen die anderen königsfähigen Dynastien, Habsburger und Wittelsbacher, nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatten, zumal zwei überragend talentierte Nachfahren des Kaisers, sein Enkel Karl IV. und sein Urenkel Siegmund (oder Sigismund), am Ostrand des römisch-deutschen Reichs das Erbe zu sichern und auszubauen vermochten. Als Siegmund 1410 zum König gewählt wurde, zählte ein Augsburger Verseschmied die Reiche auf, über die der neue Hoffnungsträger herrschte oder auf die er Anspruch erhob: In Böhmen sei er geboren und König von Ungarn geworden, trage die Krone in Serbien, Bosnien, in Dalmatien, Kroatien und anderswo. Wer die Geschichte der Luxemburger in angemessener Weise verfolgen will, sollte mithin auch ein Sprachgenie sein.
Der aus der Zips stammende Jörg K. Hoensch, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Saarbrücken, beherrscht die von den Luxemburgern gesprochenen Sprachen (und noch die eine oder andere mehr) und hat mit seinen Biographien der Könige Ottokar II. von Böhmen (1233 bis 1278) und Matthias Corvinus von Ungarn (1443 bis 1490) sowie des Kaisers Sigismund (1368 bis 1437) obendrein unter Beweis gestellt, daß er auch über Talent und Energie verfügt, die in den Quellen festgehaltenen Daten und in der außerdeutschen Sekundärliteratur ausgebreiteten Erkenntnisse zur Geschichte der von den Luxemburgern beherrschten, mit dem westlichen Europa verbundenen Länder zu durchdringen und das Ergebnis seinem Publikum in schnörkelloser Prosa zu vermitteln. Mithin hat der Verlag im Rahmen seiner Serie über die Dynastien des Mittelalters die Geschichte der Luxemburger dem kompetentesten Kenner dieser Materie anvertraut, und der Leser wird auch diesmal nicht enttäuscht. Auch der von einem Onkel Kaiser Heinrichs VII. abstammende französische (besser: niederländische) Zweig der Luxemburger wird wenigstens gestreift, der im Lexikon des Mittelalters nicht einmal erwähnt wurde. Die Genealogie dieser erst 1616 ausgestorbenen Nebenlinie wird dem Leser in einer sehr nützlichen Stammtafel vor Augen geführt.
Nahezu unberücksichtigt bleibt das sich auch im Namen bekundende Selbstbewußtsein der Luxemburger. Im römisch-deutschen Reich hat es nach 1273 drei königsfähige Familien gegeben. Sie werden heute durchweg Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher benannt. Tatsächlich haben die Wittelsbacher in jenen Jahrhunderten jedoch nie diesen heute allgemein üblichen Namen geführt; er hätte an die schon zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts zerstörte Burg eines Königsmörders erinnert. Die Wittelsbacher wurden von Freund und Feind mit dem weitaus prestigeträchtigeren Namen "die Bayern" benannt. Bei ihren von einer Habichtsburg stammenden Rivalen war das nur wenig anders. Seit dem Erwerb Österreichs führten sie in amtlichen Texten durchweg den Namen dieses Fürstentums. Chronisten des fünfzehnten Jahrhunderts tradieren die vermutlich auf einem realen Vorfall beruhende Anekdote, in der das mit dem Namen von Habsburgern und Luxemburgern verbundene Problem einprägsam zusammengefaßt wird: König Siegmund soll um 1412 Herzog Ernst den Eisernen von Österreich, den er offenbar nicht ausstehen konnte, mit dem Gruß verspottet haben: "Seid willkommen, Herr von Habsburg!" Der parierte: "Gott Dank, Herr von Lützelburg!"
Schon Siegmunds Vater, Kaiser Karl IV., scheint mit seiner Abstammung von der kleinen Burg über der Alzette nicht ganz zufrieden gewesen zu sein. Karl, so wird oft und gerne behauptet, habe seinen Ahnen von Luxemburg fast ebensoviel Verehrung bekundet wie denen von Böhmen und diesem Familiensinn mit einer gemalten Ahnentafel Ausdruck verliehen. Ein Blick auf die in Kopie erhaltene Galerie erweist jedoch, daß die einzigen hier vertretenen Luxemburger Karls Vater, König Johann von Böhmen, und der Großvater, Kaiser Heinrich VII., waren. Von Heinrich VII. wechselt die Ahnenreihe in die Sippe von dessen Gemahlin Margarete von Brabant und folgt deren siegreichen Vorfahren, den Herzögen von (Nieder-)Lothringen und Brabant über die Karolinger bis zu den Trojanern, von denen damals jeder Fürst, der etwas auf sich hielt, abzustammen pflegte. Der heute allgemein als Spitzenahn der Luxemburger verehrte Siegfried hatte in dieser Stammtafel keinen Platz; Karl IV. wünschte nicht, einen simplen Grafen als Ahnen zu verehren, der 1288 die Schlacht von Worringen gegen die Brabanter verloren hatte und dabei auch noch gefallen war.
Im übrigen dürfte es um 1350 erhebliche Probleme bereitet haben, den Erwerber der Luxemburg überhaupt noch nachzuweisen. In einer zweiten Auflage von Hoenschs Luxemburgern sollte ein Abschnitt über das ebenso eigenartige wie aufschlußreiche Familienbewußtsein Karls IV. und seines Sohnes nachgetragen werden. Aber auch ohne diese Ergänzung vermittelt das Buch einen präzisen und gut lesbaren Überblick über die Geschichte einer Dynastie, von der man heute meinen kann, daß sie den Weg zu einer Europa oder, wie man seinerzeit gesagt hätte, die gesamte Christenheit umfassenden Völkergemeinschaft gewiesen habe. Erreicht haben die Luxemburger dieses Ziel freilich ebensowenig wie ihre Erben, die Habsburger.
HEINZ THOMAS
Jörg K. Hoensch: "Die Luxemburger". Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1308-1437. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2000. 368 S., br., 31,30 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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