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Der Plan schien perfekt: Präsident Sarkozy wollte seine südlichen Nachbarn für eine Mittelmeerunion gewinnen, um ein Gegengewicht zur deutschen Dominanz in Europa zu etablieren. Angela Merkel wusste das zu verhindern. Für Wolf Lepenies ist dies keine zeitgeschichtliche Fußnote. Der französische Traum von der Macht am Mittelmeer führt in die unbewussten Regionen der europäischen Geschichte. Die Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich greift Ideen und Stereotypen auf, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen und heute wieder politischen Diskussionsstoff liefern. Man muss sie kennen, wenn…mehr

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Produktbeschreibung
Der Plan schien perfekt: Präsident Sarkozy wollte seine südlichen Nachbarn für eine Mittelmeerunion gewinnen, um ein Gegengewicht zur deutschen Dominanz in Europa zu etablieren. Angela Merkel wusste das zu verhindern. Für Wolf Lepenies ist dies keine zeitgeschichtliche Fußnote. Der französische Traum von der Macht am Mittelmeer führt in die unbewussten Regionen der europäischen Geschichte. Die Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich greift Ideen und Stereotypen auf, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen und heute wieder politischen Diskussionsstoff liefern. Man muss sie kennen, wenn man verstehen will, wie sich in Europa Koalitionen und Frontlinien bilden.

Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.

Autorenporträt
Wolf Lepenies, geboren 1941, Soziologe und Historiker, von 1986 bis 2001 Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin, war mehrere Jahre Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton (USA) und 1991/92 Inhaber der Chaire Européenne am Collège de France (Paris). Lepenies ist Ehrendoktor der Sorbonne und der Universität Bukarest und Offizier der Französischen Ehrenlegion. Er erhielt u.a. den Alexander-von-Humboldt-Preis, den Karl-Vossler-Preis, den Breitbach-Preis und den Theodor-Heuss-Preis. 2006 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 2016 den Kythera-Preis. Zuletzt erschienen im Carl Hanser Verlag: Sainte-Beuve. Auf der Schwelle zur Moderne (1997), Kultur und Politik. Deutsche Geschichten (2006), Auguste Comte. Die Macht der Zeichen (2010) und Die Macht am Mittelmeer. Französische Träume von einem anderen Europa (2016).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2016

Gegen Berlin helfen nur die Lateiner

Träume einer kleinen Grande Nation: Wolf Lepenies sondiert französische Ideen von einem Europa, in dem Paris wieder zu politischer Größe käme.

Von Günther Nonnenmacher

Im März 2013, als die Verstimmung über die Austeritätspolitik, die Deutschland den hochverschuldeten südlichen Eurostaaten angeblich aufzwang, einen Höhepunkt erreichte (in Wirklichkeit handelte es sich um den Versuch einer Wiederannäherung an die Stabilitätskriterien, die für die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion 1990 vertraglich vereinbart worden waren), veröffentlichte der italienische Philosoph Giorgio Agamben in der Tageszeitung "La Repubblica" einen Aufsatz mit dem Titel "Wenn ein lateinisches Imperium im Herzen Europas Gestalt annehmen würde".

Agamben griff dabei auf einen Entwurf zurück, den der französische Philosoph und spätere Beamte im Wirtschaftsministerium Alexandre Kojève, der vor allem als Hegel-Interpret durch die europäische Geistesgeschichte spukt, in Umlauf gebracht hatte. Das war eine Art Morgenthau-Plan à la française, von dem nicht klar ist, ob er je den Weg in politische Entscheidungsgremien gefunden hat. Zumal er, wie der Soziologe und Historiker Wolf Lepenies, langjähriger Rektor des Wissenschaftskollegs in Berlin, nach einem ausführlichen Referat des Inhalts schreibt, voller weltpolitischer Spekulationen und Illusionen steckte.

Agambens Aufruf, ein südliches Gegengewicht zum Norden Europas, insbesondere zu Deutschland, aufzubauen, wurde von der französischen Zeitung "Libération" unter dem Titel "Das Imperium möge zurückschlagen!" veröffentlicht. Das war ein knappes Jahr nach dem Amtsantritt François Hollandes, der im Wahlkampf versprochen hatte, er werde den von seinem Vorgänger Sarkozy unterschriebenen europäischen Stabilitätspakt neu verhandeln, um eine Aufweichung von "Frau Merkels Sparpolitik" zu erreichen. Das deutsch-französische Verhältnis geriet in eine schwere Krise, zumal die Sozialistische Partei, die sich anders als ihr Präsident von diplomatischen Zwängen unbehindert fühlte, unverhohlen mit einer Kraftprobe im Verhältnis zu Deutschland drohte.

Dieser Konflikt ist heute entschärft, auch wenn der Dissens weiter schwelt. Hollande hat wie alle seine Vorgänger bald verstanden, dass Frankreich Europa-Politik nicht gegen, sondern mit Deutschland machen muss, nicht zuletzt deshalb, weil eine "Koalition des Südens" gegen den "Norden" brüchig und schwach wäre.

"Die Macht am Mittelmeer" beginnt mit dieser Episode als einer von vielen Illustrationen der "französischen Träume von einem anderen Europa", wie sein Untertitel lautet, der das Thema besser umreißt. Zu diesen Träumen gehörte auch die "Mittelmeerunion", die Hollandes Vorgänger Sarkozy 2007 gründen wollte, um die Übermacht zu kontern, die sich aus seiner Sicht nach der Wiedervereinigung Deutschlands und der Ost-Erweiterung der EU zu Ungunsten des Südens herausgebildet hatte.

Weil das nicht viel mehr war als eine vage Idee, die ohne diplomatische Vorbereitung oder politische Absprachen mit den Partnern im Süden oder den anderen EU-Mitgliedern lanciert wurde, scheiterte Sarkozys Plan nicht nur am Veto Angela Merkels (die damit nicht alleine stand), sondern wäre schon wegen seiner inneren Widersprüche nicht zu verwirklichen gewesen. Es sollten nämlich nicht nur die arabischen Staaten (von denen einige in dieser Union eine Form von Neo-Kolonialismus witterten) einbezogen werden, sondern auch Israel. Da der israelische-palästinensische Friedensprozess kurz danach zusammenbrach, wären weitere Verhandlungen blockiert worden; und spätestens mit dem "Arabischen Frühling" wurden die Karten im Nahen Osten ohnehin neu gemischt.

Lepenies zeigt, dass und warum auch andere, ältere französische Träume vom Mittelmeer nicht viel mehr als Schimären waren, Kopfgeburten, die nicht einmal die Chance hatten, politische Konzepte zu werden. Dazu gehört vor allem die alte, auch von Kojève nur zeitgenössisch aufgeputzte Vision von einer "lateinischen Union". Sie sollte natürlich unter französischer Führung stehen, mit Italien, Spanien und Portugal als Juniorpartnern, dazu noch die Maghrebstaaten oder womöglich die ganze arabische Welt, und - warum nicht? - die Länder "Lateinafrikas" und das ganze "Lateinamerika". Polemisch gesagt: Frankreich sollte zum Anführer des Südens in einem nahezu globalen Nord-Süd-Konflikt werden - nicht viel mehr als eine Literatenspinnerei.

Das Problem fängt schon damit an, dass sich die Franzosen Illusionen über die Sympathien machen, die sie bei ihren südlichen Nachbarn genießen, von weiter entfernten lateinischen Bruder- und Schwestervölkern zu schweigen.

Das hat historische wie systematische Gründe, auf die Lepenies in seinen Aufsätzen immer wieder kommt. Zu Italien etwa war das Verhältnis Frankreichs meist herablassend oder taktisch bestimmt: Die Italien-Politik Napoleons III. ist dafür ein sprechendes Beispiel. Spanien, einst ein Weltreich, verbot sein Stolz, sich Frankreich unterzuordnen, im kollektiven Gedächtnis geblieben sind auch die Grausamkeiten der französischen Besatzer im Unabhängigkeitskrieg zwischen 1807 und 1814. Portugal ist zwar ein lateinisches Land, gehört aber nicht zur Mittelmeerwelt, weil sein Blick immer auf den Atlantik hinausging. Und Frankreichs Beziehungen zum Maghreb, besonders zu Algerien, sind immer noch aus der Kolonialzeit schwer belastet.

Das Buch versammelt Aufsätze, die offensichtlich zu unterschiedlichen Anlässen geschrieben wurden, was einige Überschneidungen und Redundanzen erklärt. Einige Artikel sind nur längere Miszellen - etwa über "De Gaulle und die Latinität" (trotz "Vive le Québec libre" ein Unverhältnis; die französischen Einflussgebiete in Afrika sollten im Grunde nur Frankreichs Anspruch auf den Großmacht-Status stützen) oder Mitterrands "Sozialismus des Südens" (eine taktisches Bündnis gegen die übermächtige deutsche Sozialdemokratie) und "Sarkozy als Leser Fernand Braudels" (wobei Lepenies natürlich weiß, dass nicht der Präsident selbst, sondern sein Berater und Redenschreiber Henri Guaino der Leser war). Ein kurzes Stück über Hannah Arendts Idee einer "Mittelmeerunion als Lösung des Nahostkonflikts" will nicht so recht in den Gesamtzusammenhang passen.

Die Erörterungen über ein "rendezvous manqué" zwischen Gottfried Benn und Paul Valéry am geplanten "Centre Universitaire Méditerranéen" in Nizza werfen vor allem ein Schlaglicht auf Benns Opportunismus im "Dritten Reich". Längere gelehrte Abhandlungen beschäftigen sich mit den Ideen der Saint-Simonisten oder Maurrasianer, wobei das längliche Referieren entlegener Texte heute oft unbekannter Autoren nützlich sein mag, um die - teilweise religiöse - Verstiegenheit und Widersprüchlichkeit der Ideen zu illustrieren, aber auch ermüdend ist.

Interessant ist der Artikel über "Die Latinität zur Zeit der europäischen Diktaturen", der zeigt, wie wenig Mussolini, Franco und Salazar oder Pétain, trotz ideologischer Affinitäten, von lateinischer Solidarität als Richtschnur ihrer Politik hielten. Praktisch relevante Bündnisse und Konstellationen der internationalen Politik oder auch das Heraushalten aus den Konflikten größerer Mächte waren ihnen wichtiger.

Dass Frankreich in sich selbst einen Nord-Süd-Konflikt austrägt, zeigt der Aufsatz über die "Affäre des XV. Korps", einer Einheit an der lothringischen Front im Ersten Weltkrieg, die angeblich hauptsächlich aus südfranzösischen Soldaten bestand. Dieses Korps wurde zum Sündenbock für die verfehlte Strategie des französischen Generalstabs gemacht, und im Fortgang der Affäre feierten dann sämtliche Vorurteile über den faulen, feigen oder verweichlichten, jedenfalls unpatriotischen und unheroischen Menschenschlag des Südens fröhliche Urständ.

An diesem wie anderen Beispielen führt Lepenies vor Augen, dass es neben der "lateinischen" Orientierung eben auch noch eine andere, eine "germanische" gab, derzufolge alles Unglück für Frankreich daher komme, dass es wegen seiner den Süden verklärenden Schwärmereien den Anschluss an die vom Norden geprägte Moderne in Militär, Wissenschaft, Technik und Industrie verpasst habe.

Was für Deutschland historisch wie politisch die Herausforderung seiner Mittellage ist, so zeigt sich an den vielen Facetten, die Lepenies seinem Thema abgewinnt, ist für Frankreich seine Lage als Brücke zwischen Norden und Süden. Das sind geopolitische Konstanten, mit denen ein Land leben, mit denen seine Politik rechnen muss. Wer sie im Falle Frankreichs zugunsten des Südens oder der Latinität ignorieren wollte, schafft damit nur neue Konfliktfelder. Sarkozy hat die Sache, trotz seiner Idee einer Mittelmeerunion, in wirtschaftlicher Hinsicht einmal mit einer Fußball-Metapher auf den Punkt gebracht: Frankreich müsse sich entscheiden, ob es in der Champions League spielen wolle, also auf dem Niveau Deutschlands, oder ob es Meister in der "Liga Süd" bleiben wolle.

Für Deutschland stellen sich Fragen dieser Art auf politischem Gebiet. Weil beide Länder in Europa so gut wie unentrinnbar aneinander gebunden sind, wird es als Gegenreaktion immer Sehnsüchte nach einer"anderen Politik" geben. Wohin das im Falle Frankreichs intellektuell führt und warum es politisch nicht funktioniert, zeigt Wolf Lepenies an einer Fülle von Beispielen.

Wolf Lepenies: "Die Macht am Mittelmeer". Französische Träume von einem anderen Europa.

Carl Hanser Verlag, München 2016. 352 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für die Idee einer Mittelmeerunion hat Günther Nonnenmacher nur Spott übrig, egal ob in Form einer europäischen Koalition des Südens, einer Union der Latinität oder eines europäisch-afrikanischen Zusammenschluss. Frankreich als Führungsmacht des Südens? Das ist für den FAZ-Herausgeber allenfalls "Literatenspinnerei". Wolf Lepenies locker um das Thema herum versammelten Aufsätze bestätigen Nonnemacher in seiner Ansicht. Interessant findet er unter diesen verschiedenen gelehrten Abhandlungen vor allem, wie Lepenies die innerfranzösische Teilung in einen lateinischen Süden und germanischen Norden beschreibt. Er hat aber auch Neues erfahren über die Latinität zur Zeit der europäischen Diktaturen, über die Saint-Simonisten oder Hannah Arendts Vorstellungen einer mediterranen Union des Friedens.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Berliner Soziologe und Historiker (...) schildert detailliert und anschaulich, wie seit dem Ende des napoleonischen Reiches immer wieder die Idee in Frankreich aufkam, im Süden Europas als Gegengewicht zu Deutschland, aber auch zu Grossbritannien und den Vereinigten Staaten, politische Koalitionen zu bilden, die in der Regel unter Führung von Paris stehen sollten." Thomas Speckmann, Neue Zürcher Zeitung, 12.05.17

"Lepenies Buch liefert das notwendige Wissen für eine Union, die Europa und das Mittelmeer brauchen, um zu einem Meer der gerechten Mitte zu werden, und lässt begreifen, warum alle vorhergehenden Versuche gescheitert sind, welche Hindernisse zu umschiffen wären und an welche grandiosen Ideen dabei angeknüpft werden könnte." Roman Herzog, SWR 2 Die Buchkritik, 07.04.16

"Wolf Lepenies erzählt von dem alten Traum, dass im Süden alles anders ist als im Norden. Sogar besser." Peter Schöttler, Die Zeit, 03/16