Die 1933 posthum veröffentlichte Deutsche Ideologie von Marx und Engels galt lange als Gründungstext des sogenannten »historischen Materialismus«, einer Art neuer materialistischer Geschichtsphilosophie oder Wissenschaft der Geschichte. Mit der Herausgabe der historisch-kritischen Neuauflage in der neuen Marx-Engels-Gesamtausgabe im Jahr 2017 lässt sich jedoch erst das Ausmaß der Manipulation der ursprünglichen sowjetischen Editoren um W. W. Adoratski ermessen. Im Auftrag Stalins ging es ihnen darum, aus einem losen Konvolut aus Notizen eine Arbeit herzustellen, die die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung begründen sollte. Die kritische Neuauflage stellt den ursprünglichen Zustand als loses Konvolut von Notizen wieder her. In dieser Arbeit werden die philosophischen Einsätze des Notizenkonvoluts neu ausgewertet. Insbesondere die Debatte der Autoren mit Max Stirner erfährt neue Betrachtung, da diese anders als bisher angenommen eine sehr viel zentralere Rolle einnimmt als die minimale Auseinandersetzung mit Feuerbach. Die These dieser Arbeit lautet, dass es in den zur Deutschen Ideologie zusammengefassten Notizen weniger um die Ausarbeitung einer neuen Geschichtsphilosophie oder eine Kritik der Ideologie als »falsches Bewusstsein« ging als um die Gewinnung eines materialistischen Verständnisses von Macht und Potenzialität, dessen Möglichkeit Stirner zuvor bestritten hatte.