- Ein farbiger Familienroman über eine starke Frau, politische Kämpfe und ein großes Verhängnis
- Eine Zeit der Kriege und der Gewalt, der Liebe und des Verrats
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Die Gefahr der Dominanz des Naheliegendsten: Zora del Buonos Roman "Die Marschallin"
Wohl der, die solches Personal für einen Familienroman aufbieten kann! Die Großmutter der Autorin wollte Titos Partisanen Waffen zukommen lassen und wurde vom späteren Staatspräsidenten Jugoslawiens mit einem Orden geehrt. Zora Del Buono war eine kleine, offenbar willensstarke Frau: Kommunistin, Arztgattin und Familienkommandeurin, herrschsüchtig in der näheren Umgebung, freigiebig in der weiteren. "Die Marschallin" wurde sie nicht nur wegen der abgöttischen Verehrung für Tito genannt, und ihre Enkelin - die nicht als Einzige in der Familie den Vornamen der Großmutter trägt, das Adelsprädikat jedoch anders als diese klein schreibt - übernahm die Rangbezeichnung als Titel ihres siebten Buchs.
Zora die Ältere wächst im westlichen Slowenien auf und lernt nach dem Krieg einen rothaarigen Sizilianer kennen. Der Arzt Pietro Del Buono behandelt ihren Bruder, der sich beim Spiel mit der immer noch herumliegenden Munition aus den jahrelangen Isonzoschlachten verletzt hat. Nach dem Studium der Radiologie in Berlin heiratet Pietro Zora. Erst leben sie in Neapel, dann in Bari, in einer Villa mit sechsundzwanzig Zimmern, die die tatkräftige Mutter von drei Söhnen entworfen hat. Ungeachtet des großbürgerlichen Lebenswandels, den die florierende radiologische Praxis erlaubt, sind die Eheleute überzeugte Kommunisten. Mussolinis Faschisten belästigen sie nicht, obwohl Zora und Pietro keinen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Pietro rettet sogar Tito das Leben, sein Vater hilft als Bürgermeister auf der Verbannungsinsel Ustica dem KP-Theoretiker Antonio Gramsci, und es gibt Kontakte zu Palmiro Togliatti, dem Leiter der verbotenen KPI, sowie zu Titos Partisanen.
So reizvoll sich diese stark geraffte Zusammenfassung anhört, so mühelos individuelle, familiäre und gesellschaftspolitische Sphären ineinander verflochten scheinen - der Roman liest sich, als gälte es, nicht von einem aufregenden Leben zu erzählen, sondern von einem für alle in der Umgebung anstrengenden. Vielleicht hat sich Zora del Buono, die 1962 geborene Journalistin und Buchautorin, den Schattenseiten der Familienüberlieferung nicht ganz entziehen können.
Ihr Roman schreitet in Momentaufnahmen voran, jedem Kapitel sind Ort und Jahr in Slowenien und Italien zwischen 1919 und 1948 vorangestellt. Aus einer Alltagssituation heraus - der Gang zu einem Vortrag, die Vorbereitung eines Abendessens, eine Zugfahrt, noch einmal die Stunden vor einem Abendessen - erinnern sich jeweils einer oder eine aus der Familie, selten auch ein Bekannter. Man lässt die seit dem letzten Kapitel verflossenen ein, zwei oder auch fünf Jahre Revue passieren, bevor die Vergangenheit zur Gegenwart aufschließt, zum Vortrag, dem Abendessen, der Ankunft im Bahnhof.
Die betont alltäglichen Erzählsituationen und der dominante Erinnerungsgestus beruhigen. Zu großen Teilen ist alles Neue, auch das Erschreckendste, immer schon geschehen: "ein Jahr war das nun her". Weil aber Zora del Buono mit Ausnahme von zwei Kapiteln alle auf diese eine Weise erzählt - ob nun ein Kind geboren, eine Schwiegertochter vergrault oder ein Mensch um sein Leben fürchtet -, wird der Leser regelrecht sediert.
Die Figur der Marschallin schrumpft dabei. Zwar ist von manchen Wutanfällen und Durchtriebenheiten die Rede. Doch die in der Erinnerung geschwungene Faust, der Hieb auf den Tisch, die vergifteten Worte zum Geschenk für die Schwiegertochter werden verkleinert im Guckloch des Rückblicks. An keiner Stelle gibt Zora del Buono der Impulsivität und der Leidenschaft ihrer Vorfahrin Raum, die den Gatten und andere Männer, so sagen sie jedenfalls, begeistert.
Geradezu kraftlos wirken manche Szenen. Als Pietro Anfang der zwanziger Jahre in Berlin studiert, scheint die Aufzählung der Passanten auf der Straße einer Fernsehvorabendserie zu entstammen ("Gassenjungen, Selbstgedrehte im Mundwinkel, auf dem Weg zur nächsten kleinen Gaunerei"), mündet aber - wie ein Geständnis wider Willen - in die Erwähnung von Alfred Döblin. Und das politische Interesse der Eheleute weiß Zora del Buono nur durch die gemeinsame Zeitungslektüre morgens im Bett zu veranschaulichen, nicht durch erhitzte, bis aufs Blut geführte Diskussionen über die scharfen Kurswechsel der Komintern. Den Roman zeichnet eine lähmende Dominanz des Naheliegendsten aus.
Der zweite Romanteil überspringt zweiunddreißig Jahre: 1980 grantelt die kränkelnde Zora in einem Altersheim in Nova Gorica ihrem Tod entgegen. Sie erinnert sich an den dementen Ehemann, den sie in einem italienischen Pflegeheim zurückgelassen hat, und an die vielen Toten der Familie. Außerdem sind in den Monolog, der die eigene Verantwortung für ein Mordopfer und andere tragische Ereignisse kleinredet, noch fünf Berichte eingehängt, die trocken und in kleinerer Schrift über die Tode von Verwandten und Freunden berichten. Ob sie nicht mehr in den Monolog hineinpassten? Alle fünf sterben bei Verkehrsunfällen. Das mag verbürgt sein, passt aber in seiner Monotonie zum Gesamteindruck.
JÖRG PLATH
Zora del Buono: "Die Marschallin". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2020. 382 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Taumelnde Ideologien, von Italien aus gesehen: der atemberaubende Roman „Die Marschallin“ von Zora del Buono
„Sie werfen uns raus“, ruft Zora erregt, und man hat sie noch nie so wütend gesehen. Ein Abend im September 1948 in Bari, im herrschaftlichen Haus von Zora und Pietro Del Buono. Mit der Abendpost ist ein Brief der Kommunistischen Partei Italiens gekommen, darin ist von störenden Umtrieben und Zersetzung die Rede und vom Ausschluss der Del Buonos aus der Partei. „Danken sollten Sie uns, anstatt uns zu erniedrigen!“, ruft Zora. „Auf den Knien herumrutschen sollten sie aus lauter Dankbarkeit! Was, wenn wir reden? Wie sollen sie es ohne uns schaffen? Diese dilettantischen Dummköpfe! Diese Bastarde! Diese Kleinbürger! DIESE STALINISTEN!“
Stalin und der Stalinismus, das ist in der Tat der Punkt, an dem die Partei und die Del Buonos mit ihrem Salonkommunismus heftig divergieren. Zora ist ein Fan von Josip Broz Tito, natürlich, sie ist Slowenin, der Feldmarschall war zu Gast im Haus Del Buono, ihr Mann Pietro hat ihn untersucht und ihn in Moskau möglicherweise vor einer Mordintrige Stalins bewahrt. Er ist ein berühmter Radiologe, hat eine große Klinik neben seinem Haus in Bari errichtet.
Zora ist die Großmutter der Schweizer Architektin und Schriftstellerin Zora del Buono. „Unsere Großmutter habe einen starken Charakter gehabt, hieß es immer wieder. Sie sei feurig gewesen. Großzügig. Starrsinnig. Oder auch: herrisch. Wäre sie ein Mann gewesen, sie wäre Major geworden, eher noch Marschall, vielleicht sogar Staatspräsident.“ Die große, politische Geschichte ist in del Buonos Roman „Die Marschallin“ in jedem Satz mit der kleinen, privaten verkettet.
Mit dem Rausschmiss aus der Partei endet die glorreiche Geschichte der Marschallin, die in sechzehn Kapiteln äußerst lebhaft und dynamisch erzählt wurde, das erste spielt im Ersten Weltkrieg und 1919. Was danach kommt, ist Stagnation und Resignation, ein tristes nörgelndes Lamento. Ein Niedergang ins Greisentum, in die Bedeutungslosigkeit, Zora endet in einem Pflegeheim im jugoslawischen Nova Gorica, zuckerkrank, sie wird das Ableben ihres Marschalls nicht mehr erleben. Pietro bleibt in einem Heim in Bari, Opfer seiner Demenz. Es ist eine atemraubende Geschichte, progressiv im wahren Sinn, auf diverse Figuren und Perspektiven konzentriert – vier Brüder, drei Söhne, vier Schwiegertöchter, drei Enkelinnen, eine davon die Autorin, jede Menge Dienstmädchen. Ein Gewebe, in dem alles mit allem zusammenhängt, aber nicht alles wird benannt, zur Eindeutigkeit gebracht. Es ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, von Italien aus gesehen, beginnend mit den Schlachten am Isonzo, brutalen Giftgaseinsätzen, Blaukreuz und Grünkreuz, der Deutschen und Österreicher. Zoras Bruder wird nach Kriegsende verletzt durch eine Granate, als er mit seinen Freunden leere Patronenhülsen sammelt, dadurch begegnet die Slowenin Zora Pietro, dem jungen Sanitätsoffizier, dreiundzwanzig, Sizilianer.
Danach kommen die sozialen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, Pietro studiert in Berlin, Mussolini marschiert zur Macht nach Rom, entwickelt seine Vorstellungen von „Italy first“, von Volkskörper und Volksgesundheit und einer umgreifenden Italianisierung: die slowenische Sprache und Kultur werden unterdrückt, der bekannteste schwarze Jazzmusiker heißt nun Luigi Fortebraccio – pathetisch und lächerlich findet Zora diese ganze Inszenierung. Beim Krieg in Abessinien kommt wieder Giftgas zum Einsatz. Die Italiener folgen und dienen Mussolini und vergehen sich dann, nach der Befreiung durch die Amerikaner, mit bodenloser Gemeinheit an seinem Leichnam. Die großen politischen und psychologischen Erkenntnisse, die das gesamte Jahrhundert bestimmen, werden noch wie Modeerscheinungen wahrgenommen. Marinetti, der große Futurist, will zur Volksgesundung die einheimische Pasta durch braunen Reis ersetzen. Freuds Psychoanalyse wird populär, „seine Bücher standen hinten in der Bibliothek. Zora hatte schon in Wien von Professor Freud gehört, während ihrer Schulzeit im Mädchenpensionat, da wurden allerhand Dinge über Die Traumdeutung kolportiert. Auch wenn keines der Mädchen je eine gelesen hat“.
Große historische Leitfiguren sind, neben Tito, der Autor Antonio Gramsci und Amadeo Bordiga, Gründer der KPI. Sie werden beide auf die Gefängnisinsel Ustica vor Palermo verbannt, wo Zoras Schwiegervater zum Bürgermeister ernannt wird. Gramsci ist der Held eines italienischen Kommunismus, er bleibt nur vierundvierzig Tage auf der Insel, und sein früher Tod wird heftig beklagt.
Auf eine andere Insel macht Zora eine denkwürdige Exkursion, um die Freundin ihres Bruders Ljubko zu suchen. Aber auf San Domino werden nur Gleichgeschlechtliche geschickt – Mussolini ist sich sicher: In Italien gibt es nur echte Männer –, und die gesuchte Person ist der junge Michele, der Bruder ist schwul. Natürlich hat man schon damals von Gender-Diskussionen gehört, in Berlin, von dem Arzt, der sagt, das dritte Geschlecht sei keine Krankheit, nur eine Varietät, Ljubko hat den Namen vergessen, weiß nur, dass ein Tier darin vorkam.
Zora hat ein übersteigertes Misstrauen allem gegenüber, sie analysiert ständig, politisch und psychologisch, als hätte sie bei Professor Freud studiert. Sie will alles im Griff behalten, den Haushalt, die Domestiken, das Leben des Mannes, das Schicksal der vier Brüder, die Erziehung der drei Söhne, die Auswahl der Schwiegertöchter. Sie hat auch ihr Haus in Bari selbst entworfen, hat sich architektonisch an Mazzonis schnörkellosem Postamt in Palermo orientiert und „Ornament und Verbrechen“ von Adolf Loos in die Hand genommen. Im Krieg ist sie mit den Partisanen verbündet, klaut eines Tages Medikamente aus der Klinik des Mannes, um sie in Triest den Kämpfern zu bringen – eine der wenigen spontanen Aktionen in ihrem Leben. Später will sie die Partisanen mit Waffen versorgen. Die Revolution ist nur großbürgerlich denkbar, in Italien wenigstens. „Kommunismus ist Aristokratie für alle“, das Motto des Romans.
1948 kommt es zum Bruch in der Geschichte, der von Zoras Familie und der Italiens. Wenige Wochen vor dem Rausschmiss aus der Partei gibt es einen Bankeinbruch, die Partei braucht Geld, aber das geht auf groteske Weise schief. Das letzte Kapitel des Buches ist ein Monolog der Marschallin Zora, 1980, in ihrer Pflegeanstalt, es ist ein innerer Monolog, auch wenn sie ihre Pflegerin anredet und sich verantwortlich erklärt für die Kette der Todesfälle und Autounfälle in der Familie in den letzten Jahren.
Mit diesem Schlussmonolog der Frau erinnert die Autorin Zora del Buono, die in Zürich geboren wurde und dort Architektur studierte, diskret an ein großes Vorbild des modernen Erzählers, den Jahrhundertroman von James Joyce, den Pietro seinen Söhnen Abend für Abend vorlas, um sie mit der Weltliteratur vertraut zu machen. Eine Frau, die im Mittelpunkt der Welt steht.
FRITZ GÖTTLER
Der Banküberfall für
die Partei geht auf groteske
Weise schief
„Kommunismus ist Aristokratie für alle.“ – Zora del Buono.
Foto: Yvonne Böhler
Zora del Buono: Die
Marschallin. Roman.
C.H. Beck, München 2020. 381 Seiten, 24 Euro.
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Die ZEIT - Was wir lesen, Petra Gerster, heute-Moderatorin
"Den besten deutschsprachigen Roman des Herbstes hat die Schweizerin Zora del Buono geschrieben, einen reichen, abenteuerfrohen, lebenswahren Aktivistinnenroman."
SPIEGEL, Volker Weidermann
"Atemberaubend."
Süddeutsche Zeitung, Fritz Göttler
"Ein süffig und stilsicher erzählter Roman."
Neue Züricher Zeitung, Rainer Moritz
"Ein großer Wurf. (...) Mit all seinen Figuren und Schauplätzen ist 'Die Marschallin' ein großes Lesevergnügen, so temperament- und grauenvoll, wie es das vergangene Jahrhundert vielleicht wirklich war."
Die ZEIT, Eva Menasse
"Del Buonos Buch ist so, wie Literatur sein soll: überraschend, nicht vorhersehbar, geduldig dabei, detailprall, abgründig, tiefsinnig, nicht moralisierend und frei von Klischees. Was del Buono macht, ist Kunst."
Die Weltwoche, Michael Maar
"Ein wundervoller, aktueller Roman. In das Leben dieser Frau hat sich Weltgeschichte eingeschrieben."
SRF 52 Beste Bücher, Felix Münger
"Dass der Roman stilistisch (zudem) ein unerhörtes Vergnügen ist, ohne jede Phrase oder Prätention, macht ihn zu einem doppelten glücklichen Sonderfall."
Spiegel Online, Elke Schmitter
"Präzise gezeichnete Miniaturen, die sich zu einem lebensprallen Panorama verbinden."
Gießener Anzeiger, Heidrun Helwig
"Detailgenau, vielschichtig und raffiniert. Bei Netflix würde "Die Marschallin" unter "Filme mit starken Frauen" einsortiert werden."
Die Tageszeitung, Doris Akrap
"Eine brillante Erzählarchitektin."
Schweiz am Wochenende, Julia Stephan
"Eine spannende Geschichtslektion."
Blick, Daniel Arnet
"'Die Marschallin' setzt nicht nur einer faszinierenden, widersprüchlichen Figur ein Denkmal, sondern lässt eine ganze Epoche erstehen, und wir bewegen uns staunend durch eine Welt, in der Multikulturalität zum ganz selbstverständlichen Alltag gehörte."
Neue Zürcher Zeitung, Manfred Papst
"Del Buono steht eine Sprache zu Gebote, deren Präzision in Poesie umschlägt."
Richard Kämmerlings, Die Welt
"Einen lebenssatteren Roman mit interessanteren Figuren kann man derzeit kaum finden." Elke Heidenreich, Kölner Stadtanzeiger
"Ein Jahrhundertroman."
SPIEGEL Online, Elke Heidenreich
"Die Stärke des Buches ist, dass alle Figuren so lebendig und vital sind, als wäre die Autorin dabei gewesen."
SRF Literaturclub, Nicola Steiner
"Große Familiensaga."
SonntagsBlick, Daniel Arnet
"Zora del Buonos 'Die Marschallin' ist der interessanteste Roman des deutschsprachigen Herbstes." SPIEGEL Online