Fantastisch und abenteuerlich! Ein Schmöker um geheimnisvolle Kräfte und ein fast vergessenes Volk Johannes traut seinen Augen kaum, als er im Hinterhof plötzlich zwei Kinder entdeckt, die so klein sind, dass sie ihm nur bis zu den Knien reichen. Nis und Moa sind Medlevinger - Kinder aus jenem Volk, das vor 500 Jahren in ein Land unter der Erde gezogen ist und den Kontakt zu den Menschen abgebrochen hat. Sie sind nach oben gekommen, um Antak, den Hüter der Geschichte, und Nis' Vater Vedur zu suchen. Und Johannes wird in ein unglaubliches Abenteuer hineingezogen, in dem es um Gold, Entführung und eine verschwundene Fibel geht. Bald weiß Johannes nicht mehr, wem er noch vertrauen kann ...
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004In Hamburg sind die Nächte lang
Kirsten Boie erzählt einen phantastischen, aufregenden Abenteuer-Krimi für ganz Ausgeschlafene: "Die Medlevinger"
Die Medlevinger sind ein kleines, hobbit-ähnliches Völkchen mit vielerlei ausgefallenen Talenten. Früher haben sie mit den Menschen zusammengelebt. Aber irgendwann wurden die Menschen ihnen zu grell, zu gierig und zu gewalttätig; und so zogen sie fort aus der Menschenwelt. Ein Verbindungstunnel zwischen diesen beiden Welten blieb über die Generationen hinweg aber bestehen. Er endet ausgerechnet im Hinterhof eines Mietshauses am Hamburger Hafen. Kirsten Boie beschreibt liebevoll die geruhsame Welt der Medlevinger, von denen doch einige ihre Neugier auf die Menschen und ihre kuriosen Erfindungen nicht bezähmen können. Sie begeben sich heimlich "nach oben" zu den Menschen, um sie mit eigenen Augen zu studieren. Das hat fatale Folgen, weil sie ausgerechnet auf ein besonders fieses Menschenexemplar stoßen, der die Medlevinger dazu zwingen will, für ihn Gold zu machen.
In dem Mietshaus leben aber auch der zwölfjährige Johannes und seine Mutter, und die sind beide zum Glück überhaupt nicht fies. Aber wie das so geht - ehe sie merken, was die merkwürdigen Löcher bei den Rosenbüschen im Hinterhof zu bedeuten haben, und ehe sie kapieren, wer die Medlevinger sind und was sie wollen, hat der Fiesling schon einige von ihnen gefangengesetzt. Außerdem haben Johannes und seine Mutter sowie seine Freundin Line und deren Vater ohnehin schon eine Menge Sorgen. Johannes gruselt sich vor seinem Englischlehrer. Schlimmer noch: Er wird von ein paar älteren Schülern mit Drohungen erpreßt. Er laviert sich durch, einesteils ganz tapfer und geschickt, aber manchmal auch so töricht, so daß man ihn wie die lebenskluge Line schon mal mächtig an den Ohren ziehen möchte.
Die Geschichte entwickelt sich auf mehreren Ebenen. In der idyllischen Welt der Medlevinger ahnt man die Bedrohung, weiß aber nicht recht, wie man sich dazu verhalten soll. In der Menschenwelt vermischen sich die kleinen und großen Alltagssorgen, und für viel anderes bleibt wenig Zeit und Energie. Aber dann macht Johannes die überraschende Entdeckung, daß es nicht nur solche Wesen wie die Medlevinger gibt, sondern daß sie auch auf seine Hilfe angewiesen sind. Von dem Moment an nimmt die Geschichte einen turbulenten Verlauf. Verdachtsmomente bauen sich auf und verflüchtigen sich wieder. Die Entlarvung des Fieslings ist ein hartes Stück kriminalistischer Arbeit bis in die Nächte hinein. Die Schule muß dafür ein wenig zurückstehen. Aber damit ist es noch nicht getan . . .
Fantasy-Bücher benötigen in der Regel viele Seiten, denn die Parallelwelt muß relativ ausführlich beschrieben werden, damit die Leser sich in sie hineinversetzen können. Krimis hingegen können zwar auch durch ausschweifende Detailschilderungen zu dicken Büchern aufgebläht werden. Aber entscheidend sind hier doch immer die Handlungen, seien es die der Täter oder derjenigen, die sie jagen. Fantasy-Romane gleiten dahin, Krimis sind sprunghaft. Die Mischung dieser Genres ist ein riskantes Unterfangen. Hier ist es glänzend gelungen. Kirsten Boie baut die beiden unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen und der Medlevinger sehr geruhsam auf. Wenn es da am Anfang nicht den Verweis auf die Geschichte von Kain und Abel aus dem Alten Testament und bald darauf ein paar rätselhafte Einschübe mit angedeuteten Folterungen gäbe! Bald jedoch zieht das Erzähltempo an, und wer das Buch in aller Gemütsruhe zu lesen begonnen hat, wird jetzt immer kräftiger in den Bann der Mehrebenenhandlung gezogen. Kirsten Boie reichert die Haupthandlung ungemein geschickt mit einer ganzen Reihe von Nebenhandlungen an, die niemals ablenkend wirken, sondern im Gegenteil das Phantastische plausibel und "realistisch" machen. Hinzu kommt eine Menge Situationskomik. Die bewirkt kleine und meisterhaft eingesetzte Atempausen für das Mitbangen und das Erschrecken, das sich einstellt, wenn Johannes und seine Mitstreiter auf die richtige Lösung nicht kommen, wenn sie Fehler machen oder sich auch einmal kräftig mißverstehen.
Arno Schmidt nannte die Erfindung von Parallelwelten und ihre Verknüpfung mit der eigenen Lebenswelt ein "Längeres Gedankenspiel". Solche Lese- und Lebensspiele haben eine große Tradition. Wie lebendig diese Tradition ist, wie vergnüglich, spannend und unversehens (aber wirklich unversehens!) auch lehrreich sie sein kann, das hat Kirsten Boie mit diesem überzeugenden phantastischen Krimi bewiesen.
WILFRIED VON BREDOW
Kirsten Boie: "Die Medlevinger.". Mit Vignetten von Volker Fredrich. Oetinger Verlag, Hamburg 2004. 432 S., geb., 13,90 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kirsten Boie erzählt einen phantastischen, aufregenden Abenteuer-Krimi für ganz Ausgeschlafene: "Die Medlevinger"
Die Medlevinger sind ein kleines, hobbit-ähnliches Völkchen mit vielerlei ausgefallenen Talenten. Früher haben sie mit den Menschen zusammengelebt. Aber irgendwann wurden die Menschen ihnen zu grell, zu gierig und zu gewalttätig; und so zogen sie fort aus der Menschenwelt. Ein Verbindungstunnel zwischen diesen beiden Welten blieb über die Generationen hinweg aber bestehen. Er endet ausgerechnet im Hinterhof eines Mietshauses am Hamburger Hafen. Kirsten Boie beschreibt liebevoll die geruhsame Welt der Medlevinger, von denen doch einige ihre Neugier auf die Menschen und ihre kuriosen Erfindungen nicht bezähmen können. Sie begeben sich heimlich "nach oben" zu den Menschen, um sie mit eigenen Augen zu studieren. Das hat fatale Folgen, weil sie ausgerechnet auf ein besonders fieses Menschenexemplar stoßen, der die Medlevinger dazu zwingen will, für ihn Gold zu machen.
In dem Mietshaus leben aber auch der zwölfjährige Johannes und seine Mutter, und die sind beide zum Glück überhaupt nicht fies. Aber wie das so geht - ehe sie merken, was die merkwürdigen Löcher bei den Rosenbüschen im Hinterhof zu bedeuten haben, und ehe sie kapieren, wer die Medlevinger sind und was sie wollen, hat der Fiesling schon einige von ihnen gefangengesetzt. Außerdem haben Johannes und seine Mutter sowie seine Freundin Line und deren Vater ohnehin schon eine Menge Sorgen. Johannes gruselt sich vor seinem Englischlehrer. Schlimmer noch: Er wird von ein paar älteren Schülern mit Drohungen erpreßt. Er laviert sich durch, einesteils ganz tapfer und geschickt, aber manchmal auch so töricht, so daß man ihn wie die lebenskluge Line schon mal mächtig an den Ohren ziehen möchte.
Die Geschichte entwickelt sich auf mehreren Ebenen. In der idyllischen Welt der Medlevinger ahnt man die Bedrohung, weiß aber nicht recht, wie man sich dazu verhalten soll. In der Menschenwelt vermischen sich die kleinen und großen Alltagssorgen, und für viel anderes bleibt wenig Zeit und Energie. Aber dann macht Johannes die überraschende Entdeckung, daß es nicht nur solche Wesen wie die Medlevinger gibt, sondern daß sie auch auf seine Hilfe angewiesen sind. Von dem Moment an nimmt die Geschichte einen turbulenten Verlauf. Verdachtsmomente bauen sich auf und verflüchtigen sich wieder. Die Entlarvung des Fieslings ist ein hartes Stück kriminalistischer Arbeit bis in die Nächte hinein. Die Schule muß dafür ein wenig zurückstehen. Aber damit ist es noch nicht getan . . .
Fantasy-Bücher benötigen in der Regel viele Seiten, denn die Parallelwelt muß relativ ausführlich beschrieben werden, damit die Leser sich in sie hineinversetzen können. Krimis hingegen können zwar auch durch ausschweifende Detailschilderungen zu dicken Büchern aufgebläht werden. Aber entscheidend sind hier doch immer die Handlungen, seien es die der Täter oder derjenigen, die sie jagen. Fantasy-Romane gleiten dahin, Krimis sind sprunghaft. Die Mischung dieser Genres ist ein riskantes Unterfangen. Hier ist es glänzend gelungen. Kirsten Boie baut die beiden unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen und der Medlevinger sehr geruhsam auf. Wenn es da am Anfang nicht den Verweis auf die Geschichte von Kain und Abel aus dem Alten Testament und bald darauf ein paar rätselhafte Einschübe mit angedeuteten Folterungen gäbe! Bald jedoch zieht das Erzähltempo an, und wer das Buch in aller Gemütsruhe zu lesen begonnen hat, wird jetzt immer kräftiger in den Bann der Mehrebenenhandlung gezogen. Kirsten Boie reichert die Haupthandlung ungemein geschickt mit einer ganzen Reihe von Nebenhandlungen an, die niemals ablenkend wirken, sondern im Gegenteil das Phantastische plausibel und "realistisch" machen. Hinzu kommt eine Menge Situationskomik. Die bewirkt kleine und meisterhaft eingesetzte Atempausen für das Mitbangen und das Erschrecken, das sich einstellt, wenn Johannes und seine Mitstreiter auf die richtige Lösung nicht kommen, wenn sie Fehler machen oder sich auch einmal kräftig mißverstehen.
Arno Schmidt nannte die Erfindung von Parallelwelten und ihre Verknüpfung mit der eigenen Lebenswelt ein "Längeres Gedankenspiel". Solche Lese- und Lebensspiele haben eine große Tradition. Wie lebendig diese Tradition ist, wie vergnüglich, spannend und unversehens (aber wirklich unversehens!) auch lehrreich sie sein kann, das hat Kirsten Boie mit diesem überzeugenden phantastischen Krimi bewiesen.
WILFRIED VON BREDOW
Kirsten Boie: "Die Medlevinger.". Mit Vignetten von Volker Fredrich. Oetinger Verlag, Hamburg 2004. 432 S., geb., 13,90 [Euro]. Ab 10 J.
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