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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Monique Roffey erzählt eine postkoloniale feministische Legende, ohne im Konzeptuellen zu erstarren. Ihr Trick: die farbenfrohe Erdung des Mythos
Amor vincit omnia? Nicht bei Monique Roffey. Auch wenn die Liebe kleine Wunder wirkt, bleibt die Bosheit mächtiger: die Ablehnung des Fremden, die Verfluchung des Verführerischen, die Geilheit, die Gier, die schiere Niedertracht. Und trotzdem ist dieser kunstvoll um ein mythisches Sujet herum geknüpfte Roman kein Dokument der Hoffnungslosigkeit, im Gegenteil, denn was hier im Jahr 1976 geschieht, geschildert in gestochen scharfem Realismus, das perforiert die Schicksalsergebenheit des legendenhaften Überbaus. Hier lieben sich ein Mann und eine Meerjungfrau, die sich weit draußen auf den Wassern begegnet sind. Die Kraft dieser Liebe ist groß genug, um die Verwandlung des seit tausend Jahren im Meer lebenden, blutjung wirkenden Zwitterwesens in eine Frau anzustoßen - eine Rückverwandlung, wie sich zeigen wird -, den Fluch zumindest für eine Weile zu brechen.
Aycayia, so heißt die Nixe, fasst nach und nach Vertrauen zu den Wohlmeinenden auf der Karibikinsel Black Conch. Und doch lebt sie zwischen den Welten, bleibt eine "Halb-Halb". Ihr Sehnen nach äußerer wie innerer Freiheit ist von Beginn an melancholisch grundiert. Ein reines Phantasma männlicher Lüste aber ist Aycayia nicht. Anders als die zum Leben erweckte Statue des Bildhauers Pygmalion bei Ovid war sie es selbst, die den einfachen, singenden Fischer David erwählt hat. Ein Vorleben besitzt sie ebenfalls: Einst war sie die "Tochter von einer der Ehefrauen eines angesehenen Casike" auf Kuba, die mit ihrer mädchenhaften Schönheit allen Männern den Kopf verdrehte, bis deren Ehefrauen sie mit dem ewigen Meeresfluch belegten.
So ähnlich besagt es auch die von Roffey aufgegriffene Legende: Aycayia, der Name bedeutet "Schöne Stimme", ist so etwas wie die karibische Loreley. Eine Sirene. Hier jedoch wird sie zur Angehörigen eines Volkes, das die Spanier ausgerottet haben. Zur Zeitreisenden. Als Indigene ohne Volk und Heimat fühlt sie sich jedoch noch einsamer denn als Meerfrau. Universal ist nur ihr Frausein. So überwältigt sie denn auch ihre erste sexuelle Erfahrung, nachdem der Fischunterleib sich in zwei Beine gespalten hat. Das Ende der Keuschheit.
Wie sie, der wir zunächst im Meer begegnen, in Davids Bett gelandet ist, das ist eine farbenfroh erzählte Fabel, die in ihren besten Momenten so allegorisch und zugleich so abenteuerlich wirkt wie die Jagd auf Moby-Dick bei Herman Melville. Zwei "Yankees" aus Nordamerika, Vater und Sohn, hatten an einem Angelwettbewerb teilgenommen und plötzlich die Meerjungfrau am Haken, diesen "Menschfisch", den sie nur "Vieh" nennen. Kaum heben sie die Gekaschte nach langem Kampf an Bord, was die einheimischen Gehilfen für ein Sakrileg halten, da schlägt der ältere Yankee der Halbnackten einen Haken "tief ins Fleisch", was ihn so sehr erregt, dass er kaum an sich halten kann: "Jeder der Männer spürte ein heftiges Ziehen in den Eiern. Der Alte wollte seinen Schwanz rausholen und auf sie pissen." Stolz führen die Trophäenjäger ihre Beute an der Mole vor, aber noch in derselben Nacht entwendet David die Angebetete und versteckt sie in seinem Haus.
Dort beginnt die Verwandlung. David hilft bei den ersten Gehversuchen. Aber in einer Gemeinschaft, in der alle miteinander verwandt und verschwägert sind, lässt sich eine zugefallene Wunderfrau nur schwer verbergen. So sind den Liebenden bald auch Feinde auf der Spur, aus Eifersucht die eine, aus Habgier die anderen, denn so eine Monstrosität ist Millionen wert.
Solidarität - als Frau und Andersfarbige - erfährt die Fremde vor allem von Miss Rain, einer mit David verwandten Weißen, der die halbe Insel gehört und die deshalb von vielen schwarzen Insulanern, den Nachfahren von Sklavenfamilien, angefeindet wird. Sie lehrt Aycayia die Sprache im lokalen Dialekt.
Die in Port of Spain, Trinidad, geborene, seit ihrer Kindheit in Großbritannien lebende und sich als "bikulturell" beschreibende Autorin, die in Manchester Creative Writing unterrichtet, beherrscht ihr Handwerk. Sie erzählt, vortrefflich übersetzt, in drei wechselnden Formen: im klassisch auktorialen Erzählpräteritum, in naiv-poetisch verdichteten Versen, die Aycayias sprachlich tastende Perspektive wiedergeben ("Worüber ich nachdenk jetzt / Lange Zeit später / Wie das Herzgefühl stärker als ich ist / Stärker als Menschen"), und in einem betont schlichten Stil, wenn Passagen aus Davids zurückblickendem Tagebuch zitiert werden: "Ich schlaf tief-tief und merk beim Aufwachen, dass mich jemand anguckt. Ich mach die Augen auf - da ist Aycayia und kniet neben meim Bett."
Dabei verschaltet Roffey gekonnt literarische Vorlagen von Hemingway und Melville bis zu Neruda und García Márquez, jongliert mit feministischen Konzepten, bürstet Legenden gegen den Strich. Und doch erzählt sie stets erfrischend konkret, lässt ihre Heldin Schritt für Schritt zu den Menschen zurückkehren - und dann ebenso wieder verschwinden.
Roffey beherrscht ihr Handwerk vielleicht sogar eine Spur zu gut, sodass sie sich zu einer leichten Übererfüllung mit Zeitthematik hinreißen lässt. Die Überlagerung des Kernthemas der weiblichen Emanzipation mit den Sujets Fremdheit, Migration und Rassismus in einer postkolonialen Gesellschaft - "verschissener Fisch" nennt die eifersüchtige Priscilla die Zurückgekehrte - wird beeindruckend evoziert. Die parallel erzählte Geschichte der unglücklichen Beziehung von Miss Rain und ihrer Jugendliebe Life, einem stolzen schwarzen Künstler (zwischen den beiden steht die historische Schuld des Kolonialismus), fällt dagegen deutlich ab. Dass auch noch die Themen Behinderung (Miss Rain hat einen gehörlosen Sohn), Korruption und Homophobie angerissen werden, wirkt eher beflissen als inhaltlich gedeckt. Gleichwohl ist Monique Roffey eine originelle postmoderne Liebesgeschichte gelungen, die zugleich eine äußerst starke Parabel aufs Fremdsein darstellt, zumal als Frau. Wir sehen, dass es noch keine Erfüllung ist, sich einfangen zu lassen, sei es mit Gewalt, sei es mit Gefühl, wenn damit die Selbstaufgabe verbunden ist. Aber jedes Fischernetz besteht vor allem aus Löchern: Durch die lässt sich schlüpfen, wenn man wahrhaft liebt. OLIVER JUNGEN
Monique Roffey: "Die Meerjungfrau von Black Conch". Roman.
Aus dem Englischen von Gesine Schröder. Tropen Verlag, Stuttgart 2022. 236 S., geb., 22,- Euro.
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