Nach einer Einführung zur Geschichte und Methodologie der Forschung untersucht Hans Jonas die Gnosis in ihrer mythischen Form. Es werden verschiedene Texte der Gnosis zu Rate gezogen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.1999Was starrst du mich an, o Ungeheures?
Der Gnostiker unter dem Sternenhimmel: Hans Jonas und seine Theologie des Exils
"Ungeheure Daseins-Unsicherheit, Welt-Angst des Menschen, Angst vor der Welt und vor sich selbst" quelle im Gnostizismus herauf. "In ihm begegnet das Dasein sich selbst, seine tiefe Angst scheint ihm daraus zurück." Den "Asiaten jener Tage", die die Gnosis erfunden haben, werde unter einem stählernen Himmel die fürchterliche Feindseligkeit und Fremdheit der ihn umgebenden Welt deutlich, in der sich der Mensch seiner gänzlichen Ausgeliefertheit und Verlorenheit an dies Weltwesen bewusst wird. Der Mensch ist der Welt verfallen, "ein tiefes Sich-selbst-Unbekanntsein, Unheimlichsein bricht auf: Der Weltangst entspricht die Selbstangst, die Angst um sich selbst und vor sich selbst, da dies Selbst der Tummelplatz der Weltdämonen ist". Diese Sätze aus den Gnosis-Studien von Hans Jonas sind perfekt dem frühen Existenzialismus nachempfunden, sie zeichnen ein ganz unjüdisches Verständnis von Welt und doch zugleich die Angst, es könnte doch dieses eben wahr sein oder werden. Dabei sollen diese Worte eigentlich eine geistige Bewegung von vor zweitausend Jahren beschreiben. Konnten sie das überhaupt vor lauter Zeitgemäßheit anno 1934 leisten?
Gewiss erfährt man aus den Arbeiten des jüdischen Religionsphilosophen Hans Jonas (1903 bis 1993) wesentlich mehr über Hans Jonas und seine Epoche als über die "Gnosis". Doch die Alternative, die sich bietet, besteht in der Regel aus fußnotenreichen Spezialabhandlungen. Und dort gilt die Regel, dass mit jeder weiteren Fußnote die Anzahl der möglichen Leser halbiert wird. So liest man denn doch die Arbeiten von Jonas noch immer mit Gewinn, als großen Wurf und als forschungs- und philosophiegeschichtliches Dokument ersten Ranges. Das große Hauptwerk "Gnosis und spätantiker Geist" erschien in drei Etappen, 1934, 1954 und 1993. Der Insel Verlag legt nun eine aus dem Englischen übersetzte Kurzfassung dieses monumentalen Werkes vor, die 1958 und dann zuletzt 1991 in Boston erschien. Dieses Werk enthält die wichtigsten Thesen des großen Werkes in noch besser lesbarer, für ein breiteres Publikum zugänglicher Form. Ein kundiges Nachwort aus der Hand von Christian Wiese ordnet die Gnosisforschung von Hans Jonas in dessen Gesamtwerk ein. In der angefügten Bibliografie kann man sich freilich nur mit Mühe zurechtfinden.
Auch in diesem handlichen Werk geht es wieder ganz vorrangig um das gnostische Daseinsverständnis: "Wir können uns vorstellen, mit welchen Gefühlen Gnostiker zum Sternenhimmel emporgeblickt haben. Wie böse muss ihnen sein Glänzen, wie beunruhigend seine ungeheure Weite und die starre Unwandelbarkeit seiner Bahnen, wie grausam seine Stummheit angemutet haben." Der Mensch im Exil, fern der jenseitigen Heimat. Das wird für Hans Jonas, der die besten Jahre seines Lebens im amerikanischen Exil verbringen musste, zur Botschaft der Gnosis. - Im zwölften und letzten Kapitel setzt sich Jonas dann auch mit den 1945 gefundenen Schriften aus Nag Hammadi auseinander und sucht auch aus ihnen heraus, was ihn bestätigen kann. Diese Schriften sind auch für das Verständnis des frühen Christentums extrem wichtig; hinderlich ist nur, dass sie oft schwer verständlich sind und dass kaum ein Forscher Muße hat, sie geduldig verstehen zu lernen, kurz gesagt, sie sind etwas für Stuyvesant-Typen, die es lange ohne Essbares aushalten. Mit Jonas kann man sagen: "Niemals zuvor hat ein einziger archäologischer Fund den Stand der Dokumentation für ein ganzes Forschungsgebiet ähnlich radikal verändert." Entsprechend widmet Jonas hier auch dem Problem der gnostischen Ethik größeren Raum; ob man freilich diese durchgehende radikale Askese "sittlichen Nihilismus" nennen soll, ist eine Geschmacksfrage oder mehr.
Auch in diesem Buch meint Jonas noch, der "gnostische Erlösermythos" sei eine vorchristliche Thorie dergestalt, dass ein Ur-Mensch vom Himmel herab in die Verbannung auf Erden gefallen sei, hier sich seines göttlichen Kerns innegeworden und alle anderen Lichtfunken zu einem einzigen, dann wieder gen Himmel schreitenden erlösten Erlöser vereinigt habe. Dass dieser Mythos freilich vor- und außerchristlich sei, ist durch die Arbeit von Carsten Colpe von 1961 anerkanntermaßen widerlegt; zumindest findet sich eine Konzeption dieser Art bestenfalls erst zu Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus. So bestünde eigentlich kein Anlass, die These zu wiederholen. Und auch ganz allgemein kann man mit der These über den generell vorchristlichen Charakter der Gnosis heute nicht mehr Beifall finden. Über den Denkstil von Hans Jonas schrieb schon Rudolf Bultmann im Vorwort zu der ersten Arbeit 1934: "Die Methode des Verfassers, den eigentlichen Sinn eines historischen Phänomens durch das Prinzip der Existenzanalyse zu erfassen, scheint mir hier ihre Fruchtbarkeit glänzend erwiesen zu haben und ich bin gewiss, dass dieses Werk die geistesgeschichtliche Forschung in mancher Hinsicht befruchten wird, nicht zum Mindesten auch die Interpretation des Neuen Testaments." So war es denn auch, und fünfzig Jahre lang hat man so die ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung erforscht. Was sollte für solche Forschung nicht alles dem Griechischen entgegengesetzt sein, erst das asiatische, dann das gnostische, dann das faschistische und schließlich das hebräische Denken! Wenn nicht alles täuscht, gehört diese (Anti-)Griechen-Tümelei zu den Mythen, die mit dem zwanzigsten Jahrhundert verblasst sein werden. Days Ende dieser - im Grunde hegelianischen und deutsch-idealistischen Weise, in Völker- und Kulturschablonen zu denken, kam mit der Schärfung des methodischen Instrumentariums seit dem Ende der siebziger Jahre dieses Jahrhunderts. Von dieser Zeit an wollte man alles genauer wissen - um den hohen Preis, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Jonas sieht noch ganze Wälder.
Die Erforschung der Gnosis im Geist von Hans Jonas bleibt vor allem für die interessant, die - Jonas noch überbietend - darin ein allgemeineres und in jeder Epoche wiederkehrendes Phänomen sehen, das faszinierend ist als Gegenentwurf zur fröhlich optimistischen Weltsicht, als Einbruch dessen, was der Schöpfung und dem Menschen feind und fremd ist.
KLAUS BERGER
Hans Jonas: "Gnosis". Die Botschaft des fremden Gottes. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christian Wiese. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 544 S., geb., 68,- DM.
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Der Gnostiker unter dem Sternenhimmel: Hans Jonas und seine Theologie des Exils
"Ungeheure Daseins-Unsicherheit, Welt-Angst des Menschen, Angst vor der Welt und vor sich selbst" quelle im Gnostizismus herauf. "In ihm begegnet das Dasein sich selbst, seine tiefe Angst scheint ihm daraus zurück." Den "Asiaten jener Tage", die die Gnosis erfunden haben, werde unter einem stählernen Himmel die fürchterliche Feindseligkeit und Fremdheit der ihn umgebenden Welt deutlich, in der sich der Mensch seiner gänzlichen Ausgeliefertheit und Verlorenheit an dies Weltwesen bewusst wird. Der Mensch ist der Welt verfallen, "ein tiefes Sich-selbst-Unbekanntsein, Unheimlichsein bricht auf: Der Weltangst entspricht die Selbstangst, die Angst um sich selbst und vor sich selbst, da dies Selbst der Tummelplatz der Weltdämonen ist". Diese Sätze aus den Gnosis-Studien von Hans Jonas sind perfekt dem frühen Existenzialismus nachempfunden, sie zeichnen ein ganz unjüdisches Verständnis von Welt und doch zugleich die Angst, es könnte doch dieses eben wahr sein oder werden. Dabei sollen diese Worte eigentlich eine geistige Bewegung von vor zweitausend Jahren beschreiben. Konnten sie das überhaupt vor lauter Zeitgemäßheit anno 1934 leisten?
Gewiss erfährt man aus den Arbeiten des jüdischen Religionsphilosophen Hans Jonas (1903 bis 1993) wesentlich mehr über Hans Jonas und seine Epoche als über die "Gnosis". Doch die Alternative, die sich bietet, besteht in der Regel aus fußnotenreichen Spezialabhandlungen. Und dort gilt die Regel, dass mit jeder weiteren Fußnote die Anzahl der möglichen Leser halbiert wird. So liest man denn doch die Arbeiten von Jonas noch immer mit Gewinn, als großen Wurf und als forschungs- und philosophiegeschichtliches Dokument ersten Ranges. Das große Hauptwerk "Gnosis und spätantiker Geist" erschien in drei Etappen, 1934, 1954 und 1993. Der Insel Verlag legt nun eine aus dem Englischen übersetzte Kurzfassung dieses monumentalen Werkes vor, die 1958 und dann zuletzt 1991 in Boston erschien. Dieses Werk enthält die wichtigsten Thesen des großen Werkes in noch besser lesbarer, für ein breiteres Publikum zugänglicher Form. Ein kundiges Nachwort aus der Hand von Christian Wiese ordnet die Gnosisforschung von Hans Jonas in dessen Gesamtwerk ein. In der angefügten Bibliografie kann man sich freilich nur mit Mühe zurechtfinden.
Auch in diesem handlichen Werk geht es wieder ganz vorrangig um das gnostische Daseinsverständnis: "Wir können uns vorstellen, mit welchen Gefühlen Gnostiker zum Sternenhimmel emporgeblickt haben. Wie böse muss ihnen sein Glänzen, wie beunruhigend seine ungeheure Weite und die starre Unwandelbarkeit seiner Bahnen, wie grausam seine Stummheit angemutet haben." Der Mensch im Exil, fern der jenseitigen Heimat. Das wird für Hans Jonas, der die besten Jahre seines Lebens im amerikanischen Exil verbringen musste, zur Botschaft der Gnosis. - Im zwölften und letzten Kapitel setzt sich Jonas dann auch mit den 1945 gefundenen Schriften aus Nag Hammadi auseinander und sucht auch aus ihnen heraus, was ihn bestätigen kann. Diese Schriften sind auch für das Verständnis des frühen Christentums extrem wichtig; hinderlich ist nur, dass sie oft schwer verständlich sind und dass kaum ein Forscher Muße hat, sie geduldig verstehen zu lernen, kurz gesagt, sie sind etwas für Stuyvesant-Typen, die es lange ohne Essbares aushalten. Mit Jonas kann man sagen: "Niemals zuvor hat ein einziger archäologischer Fund den Stand der Dokumentation für ein ganzes Forschungsgebiet ähnlich radikal verändert." Entsprechend widmet Jonas hier auch dem Problem der gnostischen Ethik größeren Raum; ob man freilich diese durchgehende radikale Askese "sittlichen Nihilismus" nennen soll, ist eine Geschmacksfrage oder mehr.
Auch in diesem Buch meint Jonas noch, der "gnostische Erlösermythos" sei eine vorchristliche Thorie dergestalt, dass ein Ur-Mensch vom Himmel herab in die Verbannung auf Erden gefallen sei, hier sich seines göttlichen Kerns innegeworden und alle anderen Lichtfunken zu einem einzigen, dann wieder gen Himmel schreitenden erlösten Erlöser vereinigt habe. Dass dieser Mythos freilich vor- und außerchristlich sei, ist durch die Arbeit von Carsten Colpe von 1961 anerkanntermaßen widerlegt; zumindest findet sich eine Konzeption dieser Art bestenfalls erst zu Anfang des dritten Jahrhunderts nach Christus. So bestünde eigentlich kein Anlass, die These zu wiederholen. Und auch ganz allgemein kann man mit der These über den generell vorchristlichen Charakter der Gnosis heute nicht mehr Beifall finden. Über den Denkstil von Hans Jonas schrieb schon Rudolf Bultmann im Vorwort zu der ersten Arbeit 1934: "Die Methode des Verfassers, den eigentlichen Sinn eines historischen Phänomens durch das Prinzip der Existenzanalyse zu erfassen, scheint mir hier ihre Fruchtbarkeit glänzend erwiesen zu haben und ich bin gewiss, dass dieses Werk die geistesgeschichtliche Forschung in mancher Hinsicht befruchten wird, nicht zum Mindesten auch die Interpretation des Neuen Testaments." So war es denn auch, und fünfzig Jahre lang hat man so die ersten drei Jahrhunderte unserer Zeitrechnung erforscht. Was sollte für solche Forschung nicht alles dem Griechischen entgegengesetzt sein, erst das asiatische, dann das gnostische, dann das faschistische und schließlich das hebräische Denken! Wenn nicht alles täuscht, gehört diese (Anti-)Griechen-Tümelei zu den Mythen, die mit dem zwanzigsten Jahrhundert verblasst sein werden. Days Ende dieser - im Grunde hegelianischen und deutsch-idealistischen Weise, in Völker- und Kulturschablonen zu denken, kam mit der Schärfung des methodischen Instrumentariums seit dem Ende der siebziger Jahre dieses Jahrhunderts. Von dieser Zeit an wollte man alles genauer wissen - um den hohen Preis, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Jonas sieht noch ganze Wälder.
Die Erforschung der Gnosis im Geist von Hans Jonas bleibt vor allem für die interessant, die - Jonas noch überbietend - darin ein allgemeineres und in jeder Epoche wiederkehrendes Phänomen sehen, das faszinierend ist als Gegenentwurf zur fröhlich optimistischen Weltsicht, als Einbruch dessen, was der Schöpfung und dem Menschen feind und fremd ist.
KLAUS BERGER
Hans Jonas: "Gnosis". Die Botschaft des fremden Gottes. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christian Wiese. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 544 S., geb., 68,- DM.
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