Produktdetails
- Verlag: Aufbau Verlage GmbH
- Seitenzahl: 1040
- Erscheinungstermin: 20. November 2017
- Deutsch
- ISBN-13: 9783841213976
- Artikelnr.: 48112136
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.20178. Twains analoge Tweets
Erst hundert Jahre nach seinem Tod, so wünschte es sich der Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt als Mark Twain, solle das Buch erscheinen, an dem er in seinen letzten Lebensjahren gearbeitet hatte: Vier Jahre lang, von 1906 bis 1909, hatte er seine Autobiographie wechselnden Sekretären diktiert, ein 500 000 Wörter langes Selbstgespräch, das unberechenbar von Anekdote zu Anekdote springt und sich um die Konventionen des Genres so wenig schert wie Tom Sawyer um die Vorschriften seiner Tante Polly. Um keine falsche Rücksicht auf seine Zeitgenossen zu nehmen, sollten die Leser warten, bis er "tot und nichtsahnend und gleichgültig" geworden war. Und als 2010 endlich der erste Band der dreibändigen Gesamtausgabe erschien, da konnte man sich nur wundern, wie modern es noch immer war, wie staubfrei seine Prosa, wie gültig seine Gesellschaftsanalyse, wie zeitgemäß seine Unkonzentriertheit.
Nun liegt der dritte und letzte Band der "geheimen Autobiographie" auch auf Deutsch vor und räumt die letzten Zweifel aus, ob Twains Zögern berechtigt war: In seinen letzten Diktaten legt er sich mit seiner ganzen satirischen Wucht mit zwei seiner bedeutendsten Zeitgenossen an: mit dem Präsidenten Theodore Roosevelt und dem Industriellen Andrew Carnegie. Von Carnegies Eitelkeit ist Twain fasziniert, seitenlang erzählt er von seinen Begegnungen mit dem berühmten Philanthropen, von dessen grenzenlosem Verlangen nach Aufmerksamkeit und Ruhm, den er sich mit der Stiftung immer neuer Bibliotheken erkaufen will ("Ich glaube, in drei oder vier Jahrhunderten werden Carnegie-Bibliotheken dichter gesät sein als Kirchen"), von der Folter, die Carnegie ausübt, wenn er immer und immer wieder dieselben Geschichten von seinen Treffen mit Kaisern und Königen erzählt: "Ich finde ihn wirklich sympathisch", schreibt Twain, "aber ich glaube nicht, dass ich König Eduards Besuch noch einmal ertragen könnte."
Während Twain bei der Verspottung Carnegies allerdings noch seinen ganzen Charme einsetzt, hat er für Roosevelt nur Verachtung übrig - und es lässt sich gar nicht verhindern, dass sich seine Tiraden gegen den Präsidenten wie Tweets aus dem vergangenen Jahr lesen: "Es gibt nicht einen intelligenten Menschen in Amerika, der nicht insgeheim davon überzeugt wäre, dass der Präsident dem Wesen nach und in jeder Hinsicht und mit allen denkbaren Folgen verrückt ist und in eine Anstalt gehört", schreibt Twain. Oder: "Von seiner politischen Taktik spricht Mr. President unentwegt; was jedoch seine Grundsätze betrifft, so hüllt er sich in diskretes Schweigen. Falls er überhaupt irgendwelche Grundsätze hat, ähneln sie so sehr politischer Taktik, dass sie sich von dieser Handelsware nicht unterscheiden lassen." Und: "Nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, der ohne jede Selbstachtung und Achtung vor seinem hohen Amt war; nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, der kein Gentleman war; nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, dessen Bestimmung es eigentlich war, Metzger, Spelunkenbesitzer oder Raufbold zu werden."
Er sei, schreibt Twain, davon überzeugt, dass "die Erwähnung von Theodores Namen" in fünfzig Jahren "Gelächter hervorrufen wird - Gelächter über die achtzig Millionen ebenso wie über ihn selbst". Dass dem Leser das Lachen heute im Hals stecken bleibt, liegt nicht nur daran, dass Twains Stil noch immer so erfrischend ist. Sondern auch an der Rückwärtsgewandtheit unserer Zeit.
Harald Staun
Mark Twain: "Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben". Übersetzt von Andreas Mahler und Hans-Christian Oeser. Aufbau, 1040 Seiten, 49,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erst hundert Jahre nach seinem Tod, so wünschte es sich der Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt als Mark Twain, solle das Buch erscheinen, an dem er in seinen letzten Lebensjahren gearbeitet hatte: Vier Jahre lang, von 1906 bis 1909, hatte er seine Autobiographie wechselnden Sekretären diktiert, ein 500 000 Wörter langes Selbstgespräch, das unberechenbar von Anekdote zu Anekdote springt und sich um die Konventionen des Genres so wenig schert wie Tom Sawyer um die Vorschriften seiner Tante Polly. Um keine falsche Rücksicht auf seine Zeitgenossen zu nehmen, sollten die Leser warten, bis er "tot und nichtsahnend und gleichgültig" geworden war. Und als 2010 endlich der erste Band der dreibändigen Gesamtausgabe erschien, da konnte man sich nur wundern, wie modern es noch immer war, wie staubfrei seine Prosa, wie gültig seine Gesellschaftsanalyse, wie zeitgemäß seine Unkonzentriertheit.
Nun liegt der dritte und letzte Band der "geheimen Autobiographie" auch auf Deutsch vor und räumt die letzten Zweifel aus, ob Twains Zögern berechtigt war: In seinen letzten Diktaten legt er sich mit seiner ganzen satirischen Wucht mit zwei seiner bedeutendsten Zeitgenossen an: mit dem Präsidenten Theodore Roosevelt und dem Industriellen Andrew Carnegie. Von Carnegies Eitelkeit ist Twain fasziniert, seitenlang erzählt er von seinen Begegnungen mit dem berühmten Philanthropen, von dessen grenzenlosem Verlangen nach Aufmerksamkeit und Ruhm, den er sich mit der Stiftung immer neuer Bibliotheken erkaufen will ("Ich glaube, in drei oder vier Jahrhunderten werden Carnegie-Bibliotheken dichter gesät sein als Kirchen"), von der Folter, die Carnegie ausübt, wenn er immer und immer wieder dieselben Geschichten von seinen Treffen mit Kaisern und Königen erzählt: "Ich finde ihn wirklich sympathisch", schreibt Twain, "aber ich glaube nicht, dass ich König Eduards Besuch noch einmal ertragen könnte."
Während Twain bei der Verspottung Carnegies allerdings noch seinen ganzen Charme einsetzt, hat er für Roosevelt nur Verachtung übrig - und es lässt sich gar nicht verhindern, dass sich seine Tiraden gegen den Präsidenten wie Tweets aus dem vergangenen Jahr lesen: "Es gibt nicht einen intelligenten Menschen in Amerika, der nicht insgeheim davon überzeugt wäre, dass der Präsident dem Wesen nach und in jeder Hinsicht und mit allen denkbaren Folgen verrückt ist und in eine Anstalt gehört", schreibt Twain. Oder: "Von seiner politischen Taktik spricht Mr. President unentwegt; was jedoch seine Grundsätze betrifft, so hüllt er sich in diskretes Schweigen. Falls er überhaupt irgendwelche Grundsätze hat, ähneln sie so sehr politischer Taktik, dass sie sich von dieser Handelsware nicht unterscheiden lassen." Und: "Nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, der ohne jede Selbstachtung und Achtung vor seinem hohen Amt war; nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, der kein Gentleman war; nie zuvor hatten wir einen Präsidenten, dessen Bestimmung es eigentlich war, Metzger, Spelunkenbesitzer oder Raufbold zu werden."
Er sei, schreibt Twain, davon überzeugt, dass "die Erwähnung von Theodores Namen" in fünfzig Jahren "Gelächter hervorrufen wird - Gelächter über die achtzig Millionen ebenso wie über ihn selbst". Dass dem Leser das Lachen heute im Hals stecken bleibt, liegt nicht nur daran, dass Twains Stil noch immer so erfrischend ist. Sondern auch an der Rückwärtsgewandtheit unserer Zeit.
Harald Staun
Mark Twain: "Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben". Übersetzt von Andreas Mahler und Hans-Christian Oeser. Aufbau, 1040 Seiten, 49,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
» Im abschließenden dritten Band [...] gibt Mark Twain noch einmal den Gesellschaftsreporter seiner selbt - und den Chronisten des Lebens und Sterbens in seiner Familie. Eine imposante, vitale Selbstbeschreibung. « Süddeutsche Zeitung 20171228