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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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Ein nuanciertes Bild der neuen Ökologie: Bernhard Kegel schildert, wie sich der Klimawandel auf die Natur auswirkt. Seine wichtigste Botschaft betrifft aber nicht Tiere und Pflanzen, sondern den Menschen.
Dass es, wenn wir Menschen die Atmosphäre weiter mit Kohlendioxid und Methan vollpumpen, immer heißer, in manchen Regionen der Erde viel zu trocken und in anderen viel zu nass wird, gehört inzwischen zum Allgemeinwissen. Doch die Klimakrise, in der wir uns befinden, ist kein rein physikalisches Phänomen. Nicht nur die Temperatur und die Verteilung des Wassers auf der Erde verändern sich, nein, alles gerät ins Rutschen, die gesamte Natur.
Die natürlichen Lebensgemeinschaften von heute, also etwa Wälder, Savannen, Korallenriffe und die Tundra, werden "in der Verteilung und Zusammensetzung, wie wir sie kennen, keinen Bestand haben", warnt der Biologe und Autor Bernhard Kegel in seinem neuen Buch "Die Natur der Zukunft". Anschaulich und kenntnisreich legt er dar, dass es sich nicht um einen Wandel handelt, wie er ganz normal ist für die Evolution, sondern um ein schnelles und gewaltiges Geschehen. Kegel schöpft dabei wie in früheren Büchern sowohl aus eigenem Erleben wie auch aus einem umfassenden Studium wissenschaftlicher Quellen, was sein Werk zugleich gut lesbar und lehrreich macht.
Die Natur gerät durch die Erwärmung schon heute in Bewegung. Nicht nur Tiere, auch Pflanzen reagieren auf die veränderten Klimabedingungen, werden seltener, weil sie mit den Veränderungen nicht mitkommen, oder auch häufiger, weil sich ihnen neue Territorien zur Besiedlung öffnen. In Deutschland etwa sei damit zu rechnen, dass sich Pflanzen wie die Beifuß-Ambrosie, die ursprünglich bei uns nicht heimisch war, aber warmes Klima mag, mit Ausnahme der hohen Gebirgslagen flächendeckend ausbreiten wird. "Für Allergiker ist das keine gute Nachricht", schreibt Kegel. Schon heute macht diese äußerst allergene Pflanze vielen Menschen zu schaffen.
Zu den Vorzügen des Buchs zählt, dass der Autor kein schwarzweißes, sondern ein nuanciertes Bild der neuen Ökologie zeichnet. So stellt er auch dar, dass Neophyten, also pflanzliche Einwanderer, durchaus eine positive Rolle spielen könnten, wenn sie Funktionen in Ökosystemen übernehmen, die heimische Pflanzen nicht mehr ausfüllen können. Insgesamt überwiegen jedoch die warnenden Töne. Anhand eines früheren Temperaturmaximums der Erdgeschichte, an der Grenze von Paläozän zu Eozän vor rund 56 Millionen Jahren, führt Kegel seinen Lesern vor Augen, mit welchen Umbrüchen in der Natur bei starkem Anstieg von Kohlendioxid und Temperaturen zu rechnen ist: Von Massensterben von Meeresorganismen bis zur evolutionären Schrumpfung von Säugetieren hätten damals die Konsequenzen gereicht.
Dass die Natur diese Ereignisse verkraftet hat, dürfe uns nicht trösten: Die Phasen des Wandels seien für Lebewesen, die sie durchmachen mussten, oftmals existenzbedrohend gewesen. "Außerdem ist diese Krise (. . .) anders: Sie ist schneller, sie spielt sich in einer Welt ab, die vom Menschen völlig verändert wurde, in der Arten sich nicht mehr frei bewegen können, in der es überall Grenzen und Hindernisse gibt und in der viele Arten, ganze Ökosysteme bereits angeschlagen und in hohem Maße gefährdet sind", warnt Kegel.
Akribisch beschreibt der Autor Prozesse, die bereits heute ablaufen. Während sich mancher darüber freuen wird, dass die Winter kürzer werden, bedeutet dies zum Beispiel für viele Vogelarten eine existentielle Gefahr. Die Rhythmen des Vogelzugs seien auf das bisherige Klima eingestellt. Kürzere Winter in Europa bedeuten, dass sich Insekten früher entwickeln. Das bekommen Vogelarten zu spüren, die zur gewohnten Zeit aus den Winterquartieren zurückkehren und deren Jungen dann nicht mehr weiche, gut verdauliche Larven vorfinden, sondern bereits weiterentwickelte Insekten mit härteren Körpern.
Auch physiologisch könnten viele Arten den Veränderungen nicht gewachsen sein, schreibt Kegel. Für Miesmuscheln und andere Meerestiere könnte der Ozean von morgen zu heiß werden. Zwar gebe es in jeder Population "Plastizität", also Individuen, die mit Extremen besser klarkommen als andere, und zudem die Fähigkeit zur Adaptation, also zu einer schnellen Anpassung an neue Bedingungen. In der warmen Zukunft werde sich das Rad der Evolution aber schneller drehen: "Ob es reichen wird, um entstandene Lücken im Artenbestand wieder zu füllen und Tiere und Pflanzen schnell an den Klimawandel anzupassen, kann heute noch niemand beantworten."
Dass ganze Ökosysteme bedroht sind, etwa Korallenriffe, und die Erderwärmung zur Ausbreitung von gefährlichen Krankheitserregern und sogar neuen Pandemien beitragen kann, verleihen den Ausführungen ihre Dringlichkeit: "Zeitbomben" heißt ein Unterkapitel, "Defaunation" ein anderes.
Das Buch blendet andere Faktoren, die über die Natur der Zukunft entscheiden, ebenso wie die Grundsatzfrage, was Natur in einer vom Menschen dominierten Welt überhaupt noch ist, weitgehend aus. Dass Habitate zerschnitten und umgepflügt werden, Städte sich ausbreiten, Chemikalien die Stoffwechsel und Reproduktionsweisen durcheinanderbringen und allgegenwärtiger Stickstoffdünger die Pflanzenvielfalt verringert, streift Kegel nur am Rand, wie auch neue biotechnologische Verfahren, mit denen ungekannte Lebensformen entstehen oder ausgestorbene Arten wieder zum Leben erweckt werden könnten. Doch die harte Tour durch die realen oder noch drohenden Folgen speziell der Klimakrise rechtfertigen diesen Fokus.
Dass wir schleunigst darüber nachdenken müssen, in welcher Welt und mit welcher Natur wir leben wollen, ist die Grundbotschaft des Buchs. Denn am stärksten könnten von den schnellen Veränderungen nicht Tiere und Pflanzen, sondern wir Menschen überfordert sein. Bei aller Unsicherheit von Prognosen hält Kegel eines für gewiss: "Was uns erwartet, ist in der Geschichte der Menschheit ohne Parallele."
CHRISTIAN SCHWÄGERL
Bernhard Kegel: "Die Natur der Zukunft". Tier- und Pflanzenwelt in Zeiten des Klimawandels. Dumont Verlag, Köln 2021. 384 S., geb., 24,- [Euro].
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