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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Nach einem Jahrhundert erstmals auf Deutsch: Der von Joseph Conrad und Ford Madox Ford gemeinsam geschriebene Kurzroman "Die Natur eines Verbrechens"
Die Geheimkammern der Literatur sind immer noch reich gefüllt mit hierzulande bisher Ungehobenem. Nicht nur dank lange bei uns vernachlässigter Kulturkreise (Afrika, Südostasien, arabischer Raum), sondern mindestens ebenso aufgrund vergessener oder übersehener Bücher vertrauter Provenienz, teilweise sogar solcher, die Autoren von Weltruhm geschrieben haben. So ist jetzt ein Roman von Joseph Conrad erstmals auf Deutsch erschienen, pünktlich zum im August bevorstehenden hundertsten Todestag des polnisch-englischen Schriftstellers, und der Buchtitel lässt ein zentrales Thema seines ganzen Werks aufscheinen: "Die Natur eines Verbrechens". Wer dächte da nicht an den größten Conrad-Roman, "Lord Jim", mit dessen unentwirrbarem Schuldkomplex oder an den berühmtesten, "Herz der Finsternis", der wie kein anderes Buch den Charakter kolonialistischer Überheblichkeit seziert?
Die Publikation dieser beiden Fortsetzungsromane in der englischen Zeitschrift "Blackwood's Magazine" erfolgte unmittelbar aufeinander folgend, 1899 ("Heart of Darkness") und 1899/1900 ("Lord Jim"). Ein Jahr zuvor hatte Conrad an seinem Wohnort im ländlichen Kent die Bekanntschaft eines benachbarten jüngeren Schriftstellers gemacht: Ford Hermann Hueffer, der sich später erst Ford Madox Hueffer und schließlich unter dem Eindruck der in England nach dem Ersten Weltkrieg deutschfeindlichen Stimmung Ford Madox Ford nennen sollte. Er war weniger skrupulös als Conrad, aber auch weniger bekannt (sein Erfolgsroman "The Good Soldier", der auf Deutsch "Die allertraurigste Geschichte" heißt, erschien erst 1915), weshalb er die Bekanntschaft nutzte, um den Kollegen für gemeinsame Romanprojekte zu gewinnen: 1901 erschien "The Inheritors", 1903 "Romance". Weil beide Male der erhoffte Erfolg ausblieb, wurde ihr dritter Gemeinschaftsroman erst angegangen, als Ford 1908 eine eigene literarische Zeitschrift gründete: "English Review". Dort wurde im Folgejahr "The Nature of a Crime" in zwei Heften abgedruckt; in Buchform kam der schmale Roman erst 1924 heraus; dessen minimale Revision und das eigens fürs Buch geschriebene kurze Nachwort gehören zu den letzten Arbeiten, die Conrad als Autor vor seinem Tod noch ausführte.
Nun hat Michael Klein als achten Band seiner literarischen Entdeckungsreihe im Heidelberger Morio Verlag diese letzte Kooperation von Conrad und Ford übersetzt und reich ergänzt ediert. "Romance" war schon 2000 in der mittlerweile eingegangenen Achilla Presse als "Bezauberung" auf Deutsch erschienen; das älteste Gemeinschaftswerk wartet weiter darauf, aber Klein nennt in seinem Nachwort zu "Die Natur eines Verbrechens" den Erstling einen "kompositorisch einfältigen Roman" mit "Passagen purer Zeilenschinderei". Da darf man wohl zumindest nicht auf seine Initiative rechnen. Wobei man auch bezweifeln darf, dass der nun erschienene Kurzroman die Neugier deutschsprachiger Leser auf Conrads Zusammenarbeiten mit Ford befeuern wird.
Denn Abenteuerliteratur, wie man sie im besten Sinne von Conrad kennt, bietet er nicht, auch wenn das grünstichige Titelblatt einem oberflächlichen Betrachter exotische Naturatmosphäre suggerieren könnte. Tatsächlich handelt es sich aber um einen Briefroman, bestehend aus einem einzigen immer wieder durch Schlaf unterbrochenen Schreiben, das der betrügerische Verwalter eines gewaltigen englischen Vermögens an eine von ihm angehimmelte Frau in Rom richtet, weil ihm Entdeckung droht.
Er kündigt ihr seinen Selbstmord an, doch im Schreiben wandelt sich seine Lagebeurteilung immer mehr ins Zuversichtliche, bis man am Schluss des gerade einmal sechzig Seiten umfassenden Romans mit ihm vermuten darf, dass seine Veruntreuung noch einmal ungesühnt bleiben wird. Ob man darin eine salvatorische Wirkung der Briefbeichte sieht oder einen letzten Betrug von deren Autor, diesmal an sich selbst, lässt sich nicht entscheiden.
Psychologisch betrachtet, ist "Die Natur eines Verbrechens" ein faszinierendes Buch; stilistisch indes fehlt all das, was sowohl Conrads als auch Fords einzeln verfasste Werke auszeichnet: Anschaulichkeit und Spannungsaufbau. Eine Passage aus dem am sechsten Tag abgefassten Abschnitt des insgesamt achtteiligen Briefs mag das illustrieren. "Du wirst fragen: Warum der Tod? Warum nicht irgendeine Alternative? Flucht oder Gefängnis? Beide diese Dinge sind bekannt; allein der Tod, trotz der Erfahrung, die die Menschheit mit dem Tod gemacht hat, ist das große Unbekannte. Für einen Spieler ist es ein coup, eine unglaubliche Verlockung - da wir weder wissen, was wir einsetzen, noch was wir gewinnen können." Das ist Existenzialismus avant la lettre, aber die Relevanz für das, was sich entscheidet, ist eine bloß behauptete. Am Ende ist der selbst ernannte Spieler ein erleichterter Feigling - ganz anders als Lord Jim, der seine Feigheit freiwillig mit dem Leben sühnt.
Bliebt als einziger Reiz das insofern offene Ende, als der Brief tatsächlich abgeschickt und somit das bürgerliche Heil des Schreibers in die Hand der Empfängerin gelegt wird. Aber sie selbst wird zu wenig plastisch in der Selbstauskunft ihres Bewunderers, als dass die Bedrohlichkeit einer "belle dame sans merci", wie sie die englische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts seit Keats vielfach beschworen hat, noch einmal entstünde. Durch die von Klein beigegebenen Selbstauskünfte von Conrad und Ford zu ihrer Zusammenarbeit bekommt der Band zwar mehr als doppelten Umfang, aber auch einen literaturgeschichtlichen Charakter, der sein eigentliches Kernstück zum Exemplum degradiert. Aber mehr ist es tatsächlich nie gewesen. So ist dieser gehobene Schatz eher literarisches Katzengold. ANDREAS PLATTHAUS
Joseph Conrad, Ford Madox Ford: "Die Natur eines Verbrechens". Ein Kurzroman und Dokumente der Zusammenarbeit.
Aus dem Englischen, hrsg. und Nachwort von Michael Klein. Morio Verlag, Heidelberg 2024. 172 S., 5 Abb., geb., 28,- Euro.
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