In der Natur, zu Lande und zu Wasser, existieren Geschopfe, die uns Menschen in vielerlei Hinsicht das Wasser reichen konnen. Im Gegensatz zum Menschen wandeln sie das Klima nicht, verursachen in der Folge weder Tsunamis noch Durreperioden.Keines dieser Mitgeschopfe behauptet, die Erde oder auch nur einen Teil davon zu besitzen. Der bedingungslose Besitzanspruch, wie ihn moderne Gesellschaften kennen und durchsetzen, fuhrt zum Ungleichgewicht - ja zur okologischen Ungerechtigkeit. Ein Pladoyer fur einen gerechten Umgang mit der Natur.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018Wenn Flüsse zu juristischen Personen werden
Gerichte als Bastionen des Umweltschutzes: David Boyd legt ein Plädoyer für die Stärkung der Rechte der Natur vor.
Von Christian Schwägerl
In letzter Zeit haben weniger Regierungen den Schutz von Erde und Umwelt vorangebracht als Gerichte. Ob Rodungsstopp im Hambacher Forst oder Fahrverbote gegen die Luftverschmutzung: Umweltschützer hatten ihre wichtigsten Siege Richtern zu verdanken, die geltendes Recht umsetzten. Ähnlich in den Vereinigten Staaten. Dort hat jüngst ein Bundesrichter den Bau der umstrittenen Pipeline Keystone XL blockiert, während es der Präsident im Weißen Haus darauf ankommen lässt, den Verbrauch fossiler Brennstoffe weiter zu steigern.
In Neuseeland wird Natur noch auf viel grundlegendere Weise durch Recht geschützt. Seit vier Jahren ist dort der "Te Urewera Act" in Kraft, benannt nach einem großen Waldgebiet auf der Nordinsel des Pazifiklandes. Das Gesetz erkennt "den inhärenten Wert von Te Urewera an" und spricht dem Gebiet "all die Rechte, Vollmachten, Verpflichtungen und Verantwortungen einer juristischen Person" zu. Die Natur selbst wird zur Rechtsperson. Ähnlich verhält es sich in Neuseeland mit zwei Flüssen, dem Whanganui und dem Waikato. Letzteres wird in einem Gesetz als "einziges, unteilbares Wesen" beschrieben.
Dieser Ansatz sollte dem Umweltexperten und Rechtsgelehrten David Boyd zufolge weltweit Schule machen. In seinem Buch erzählt er die Geschichte eines grundlegenden Umbruchs im Verhältnis von Menschen und Umwelt. Er sieht Neuseeland - und auch südamerikanische Länder wie Ecuador - als Pioniere einer Entwicklung an, die an frühere Revolutionen anschließt. Boyd zitiert die Expertin Elaine Hsiao: "Wie Frauen und Sklaven hat sich auch der Whanganui River von einem Besitz zu einer juristischen Person gewandelt."
Boyd, Professor an der University of British Columbia, betrachtet das Thema einerseits aus einer akademischen Perspektive. Zugleich hat er aber eine politische Rolle inne, denn er wurde vor kurzem vom UN-Menschenrechtsrat zum Sonderberichterstatter für Menschenrechte berufen. Das gibt seinem Buch ein besonderes Gewicht, denn Boyd möchte diese Rolle nutzen, Menschenrechte auch durch Naturrechte zu stärken. Weltweit sind nämlich die Gebiete indigener Völker bedroht. Der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat vor seinem Sieg zu einem regelrechten Eroberungsfeldzug gegen die indigenen Völker des Amazonas aufgerufen. Naturrechte sind Boyd zufolge der beste Weg, um angestammte Sichtweisen von Ureinwohnern in der kapitalistischen Welt von heute zu stärken.
Boyd stellt ein Fundament unserer Rechtsordnung in Frage. "Die Vorstellung, dass die Natur lediglich eine Sammlung von Dingen ist, die dem Menschen zur Verfügung stehen, ist eine der universellsten und akzeptiertesten der menschlichen Gesellschaft", schreibt er und stellt zugleich diesen Besitzanspruch von Menschen auf jeden Quadratmeter Erde zur Disposition: "Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist unsere Arroganz atemberaubend." Die Einteilung des Lebens in zwei Kategorien - Menschen und Dinge - sei eine wesentliche Ursache des katastrophalen Raubbaus an der Umwelt.
Boyd hält nicht weniger als eine "juristische Revolution" für nötig, um das Leiden fühlender Tiere zu mindern, das vom Menschen verursachte Artensterben zu beenden und die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu schützen.
"Die Natur und ihr Recht" widmet sich in weiten Teilen Beispielen von neuen Ansätzen in der Rechtsprechung, die nicht-menschlichem Leben einen hohen Stellenwert oder gar den Rang einer juristischen Person geben. Boyd zeichnet die Konflikte nach, die etwa dazu geführt haben, dass sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit dem Schneckenflitzer beschäftigte, einer unscheinbaren Fischart, die durch einen Staudamm bedroht war. Im Schlussteil beschreibt er den Prozess, der dazu geführt hat, dass die Rechte von "Mutter Erde" in der bolivianischen Verfassung verankert sind.
Diese Beispiele werden spannend und lehrreich erzählt. Sie führen vor, was möglich wäre, wenn Gesetzgeber und dann Richter ein neues Denken einüben würden. Allerdings kommen in dem Buch die rechtlichen und rechtsphilosophischen Grundlagen des Themas nur arg kurz zur Sprache. Wenn es wirklich einer "juristischen Revolution" bedarf, dann hätte Boyd als ihr Fürsprecher noch etwas tiefer bohren und das intellektuelle Fundament für den grundlegenden Wandel legen sollen. Zudem hätten Probleme, die sich aus den neuen Denkansätzen ergeben, stärker beleuchtet werden können: Hat sich der Schutz der Natur in Bolivien und Neuseeland wirklich verbessert? Welchen realen Effekt hatte die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung in Deutschland? Das wäre einer näheren Untersuchung wert gewesen, statt nur Ideale zu zelebrieren.
Dennoch bietet das Buch eine anregende und wichtige Lektüre für alle, die sich fragen, wie Klimawandel und Schwund der Artenvielfalt überhaupt noch aufgehalten werden können. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf etwas, das als selbstverständlich gilt, aber es eigentlich nicht sein sollte. Späteren Generationen könnte das heute überall unsichtbar eingeflochtene dualistische Denken - der Mensch als Eigentümer der Erde hier, die Natur als Gegenstand dort - als eine der Hauptursache ökologischer Krisen überdeutlich werden.
Zudem ist es verdienstvoll, den Fokus auf die Judikative zu lenken. Dass auf nationale Regierungen kein Verlass ist, wird derzeit überdeutlich: Entweder ist die Exekutive selbst dem Rechtspopulismus verfallen und bekämpft ökologisches Denken, so wie es Trump und Bolsonaro tun. Oder Regierungen sind damit beschäftigt, die Folgen der rechtspopulistischen Tendenzen einzudämmen, und unterlassen die nötigen Schritte in der Umweltpolitik. Bestehende Gesetze durch Klagen auszunutzen und durch eine Debatte über die Rechte der Natur das Denken von Richtern zu verändern, könnte unter den aktuellen Bedingungen zu den erfolgversprechenden Strategien für den Umweltschutz gehören.
David Boyd: "Die Natur und ihr Recht". Sie ist klug, sensibel, erfinderisch und genügt sich selbst.
Aus dem Englischen von Karoline Zawistowska.
Ecowin Verlag, Elsbethen 2018. 272 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerichte als Bastionen des Umweltschutzes: David Boyd legt ein Plädoyer für die Stärkung der Rechte der Natur vor.
Von Christian Schwägerl
In letzter Zeit haben weniger Regierungen den Schutz von Erde und Umwelt vorangebracht als Gerichte. Ob Rodungsstopp im Hambacher Forst oder Fahrverbote gegen die Luftverschmutzung: Umweltschützer hatten ihre wichtigsten Siege Richtern zu verdanken, die geltendes Recht umsetzten. Ähnlich in den Vereinigten Staaten. Dort hat jüngst ein Bundesrichter den Bau der umstrittenen Pipeline Keystone XL blockiert, während es der Präsident im Weißen Haus darauf ankommen lässt, den Verbrauch fossiler Brennstoffe weiter zu steigern.
In Neuseeland wird Natur noch auf viel grundlegendere Weise durch Recht geschützt. Seit vier Jahren ist dort der "Te Urewera Act" in Kraft, benannt nach einem großen Waldgebiet auf der Nordinsel des Pazifiklandes. Das Gesetz erkennt "den inhärenten Wert von Te Urewera an" und spricht dem Gebiet "all die Rechte, Vollmachten, Verpflichtungen und Verantwortungen einer juristischen Person" zu. Die Natur selbst wird zur Rechtsperson. Ähnlich verhält es sich in Neuseeland mit zwei Flüssen, dem Whanganui und dem Waikato. Letzteres wird in einem Gesetz als "einziges, unteilbares Wesen" beschrieben.
Dieser Ansatz sollte dem Umweltexperten und Rechtsgelehrten David Boyd zufolge weltweit Schule machen. In seinem Buch erzählt er die Geschichte eines grundlegenden Umbruchs im Verhältnis von Menschen und Umwelt. Er sieht Neuseeland - und auch südamerikanische Länder wie Ecuador - als Pioniere einer Entwicklung an, die an frühere Revolutionen anschließt. Boyd zitiert die Expertin Elaine Hsiao: "Wie Frauen und Sklaven hat sich auch der Whanganui River von einem Besitz zu einer juristischen Person gewandelt."
Boyd, Professor an der University of British Columbia, betrachtet das Thema einerseits aus einer akademischen Perspektive. Zugleich hat er aber eine politische Rolle inne, denn er wurde vor kurzem vom UN-Menschenrechtsrat zum Sonderberichterstatter für Menschenrechte berufen. Das gibt seinem Buch ein besonderes Gewicht, denn Boyd möchte diese Rolle nutzen, Menschenrechte auch durch Naturrechte zu stärken. Weltweit sind nämlich die Gebiete indigener Völker bedroht. Der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hat vor seinem Sieg zu einem regelrechten Eroberungsfeldzug gegen die indigenen Völker des Amazonas aufgerufen. Naturrechte sind Boyd zufolge der beste Weg, um angestammte Sichtweisen von Ureinwohnern in der kapitalistischen Welt von heute zu stärken.
Boyd stellt ein Fundament unserer Rechtsordnung in Frage. "Die Vorstellung, dass die Natur lediglich eine Sammlung von Dingen ist, die dem Menschen zur Verfügung stehen, ist eine der universellsten und akzeptiertesten der menschlichen Gesellschaft", schreibt er und stellt zugleich diesen Besitzanspruch von Menschen auf jeden Quadratmeter Erde zur Disposition: "Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist unsere Arroganz atemberaubend." Die Einteilung des Lebens in zwei Kategorien - Menschen und Dinge - sei eine wesentliche Ursache des katastrophalen Raubbaus an der Umwelt.
Boyd hält nicht weniger als eine "juristische Revolution" für nötig, um das Leiden fühlender Tiere zu mindern, das vom Menschen verursachte Artensterben zu beenden und die lebenserhaltenden Systeme des Planeten zu schützen.
"Die Natur und ihr Recht" widmet sich in weiten Teilen Beispielen von neuen Ansätzen in der Rechtsprechung, die nicht-menschlichem Leben einen hohen Stellenwert oder gar den Rang einer juristischen Person geben. Boyd zeichnet die Konflikte nach, die etwa dazu geführt haben, dass sich der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten mit dem Schneckenflitzer beschäftigte, einer unscheinbaren Fischart, die durch einen Staudamm bedroht war. Im Schlussteil beschreibt er den Prozess, der dazu geführt hat, dass die Rechte von "Mutter Erde" in der bolivianischen Verfassung verankert sind.
Diese Beispiele werden spannend und lehrreich erzählt. Sie führen vor, was möglich wäre, wenn Gesetzgeber und dann Richter ein neues Denken einüben würden. Allerdings kommen in dem Buch die rechtlichen und rechtsphilosophischen Grundlagen des Themas nur arg kurz zur Sprache. Wenn es wirklich einer "juristischen Revolution" bedarf, dann hätte Boyd als ihr Fürsprecher noch etwas tiefer bohren und das intellektuelle Fundament für den grundlegenden Wandel legen sollen. Zudem hätten Probleme, die sich aus den neuen Denkansätzen ergeben, stärker beleuchtet werden können: Hat sich der Schutz der Natur in Bolivien und Neuseeland wirklich verbessert? Welchen realen Effekt hatte die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung in Deutschland? Das wäre einer näheren Untersuchung wert gewesen, statt nur Ideale zu zelebrieren.
Dennoch bietet das Buch eine anregende und wichtige Lektüre für alle, die sich fragen, wie Klimawandel und Schwund der Artenvielfalt überhaupt noch aufgehalten werden können. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf etwas, das als selbstverständlich gilt, aber es eigentlich nicht sein sollte. Späteren Generationen könnte das heute überall unsichtbar eingeflochtene dualistische Denken - der Mensch als Eigentümer der Erde hier, die Natur als Gegenstand dort - als eine der Hauptursache ökologischer Krisen überdeutlich werden.
Zudem ist es verdienstvoll, den Fokus auf die Judikative zu lenken. Dass auf nationale Regierungen kein Verlass ist, wird derzeit überdeutlich: Entweder ist die Exekutive selbst dem Rechtspopulismus verfallen und bekämpft ökologisches Denken, so wie es Trump und Bolsonaro tun. Oder Regierungen sind damit beschäftigt, die Folgen der rechtspopulistischen Tendenzen einzudämmen, und unterlassen die nötigen Schritte in der Umweltpolitik. Bestehende Gesetze durch Klagen auszunutzen und durch eine Debatte über die Rechte der Natur das Denken von Richtern zu verändern, könnte unter den aktuellen Bedingungen zu den erfolgversprechenden Strategien für den Umweltschutz gehören.
David Boyd: "Die Natur und ihr Recht". Sie ist klug, sensibel, erfinderisch und genügt sich selbst.
Aus dem Englischen von Karoline Zawistowska.
Ecowin Verlag, Elsbethen 2018. 272 S., geb., 24,- [Euro].
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