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Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich – anders als Kants praktische Vernunft – in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die…mehr

Produktbeschreibung
Dass menschenrechtliche Prinzipien universal sein sollen, ist ein Gebot der Vernunft, das uns die Aufklärung auferlegt hat. Indes, wie sind die Erfordernisse dieses Universalismus zu erfüllen in der jeweiligen konkreten Weltlage? Das vermag uns nur eine politische Vernunft zu sagen, welche sich – anders als Kants praktische Vernunft – in Zeithorizonten bewegt. Aber eben diese Vernunft verliert heute rasch Terrain an antiuniversalistische Theorien, die kulturelle Sonderrechte propagieren und verfälschte Vergangenheiten produzieren. Dabei gerät die gute Gesinnung zum Maßstab des Handelns und die Entrüstung zum Mittel geistiger Auseinandersetzung. Um zu ermessen, was hierbei auf dem Spiel steht, verlangt Egon Flaig geistesgeschichtliche Rückbesinnung. Er fragt zum einen, welche Diskurse eine antiuniversalistische Einstellung legitimiert und vorangetrieben haben; und er erörtert zum anderen, weshalb die politische Vernunft auf historische Verankerung angewiesen ist. Denn allein aus einem kulturellen Gedächtnis heraus, das sich der Aufklärung verpflichtet weiß, gewinnen wir die Orientierung für politisches Handeln im Geiste eines emanzipatorischen Universalismus.
Autorenporträt
Egon Flaig, geboren 1949, lehrte als Professor für Alte Geschichte an den Universitäten Greifswald und Rostock. Gastprofessuren führten ihn ans Collège de France, die Sorbonne und an die Universität Konstanz; er war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und am Historischen Kolleg München. 1996 wurde ihm der Hans-Reimer-Preis der Aby-Warburg- Stiftung verliehen. Zuletzt sind von ihm erschienen »Weltgeschichte der Sklaverei« (2009), »Die Mehrheitsentscheidung« (2013) und bei zu Klampen »Gegen den Strom. Für eine säkulare Republik Europa« (2013).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.03.2017

Die Überwältigung der Urteilskraft
Egon Flaig ist einer der schäumenden Kritiker des für falsch gehaltenen Zeitgeistes. Dabei könnte seine
Idee, jetzt Kants Weltbürgertum zu rehabilitieren, doch ein Fundament konservativer Rationalität sein
VON ANDREAS ZIELCKE
Ein weitgehender Schwund der Urteilskraft kann Intellektuelle befallen, die professionell mit politischer Diagnose befasst sind, sobald es um Themen geht, die ihre Identität, ihre wesentliche Zugehörigkeit berühren.“ Gegen diese Warnung von Egon Flaig wäre wenig einzuwenden – bestünde nicht das alte Problem, dass jeder politische Intellektuelle geneigt ist, Splitter im Auge seiner Kontrahenten zu sehen, nicht den Balken im eigenen. Wer würde schon den Schwund des eigenen Urteilsvermögens gerade bei den Fragen erkennen, die an die eigene politische Substanz rühren? Beim Urteilen über die Urteilskraft Dritter ist also gehörige Vorsicht geboten, doch Flaig gehen in seinem Buch immer wieder die Gäule durch. Je näher er der aktuellen – sagen wir vereinfacht: multikulturellen – Lage kommt, desto extremer werden seine Verdikte:
Wir leben in Zeiten eines „Gesinnungsterrors, der seit der McCarthy-Ära ohne Beispiel ist“. Der „moralische Furor in Deutschland näherte sich 2015/2016 einer totalitären Atmosphäre“. Überall schlägt einem „moralisch stimulierter Enthusiasmus“ entgegen, der nicht nur „bei den Überwältigten die Urteilskraft zertrümmert, sondern obendrein die Intellektualität überhaupt“. Auch kritische Theoretiker wie Habermas, für Flaig ohnehin einer der Urheber des falschen Zeitgeistes, „versagen vor dieser Wirklichkeit nicht nur wegen unzureichender theoretischer Prämissen, sondern wegen eines systematischen Mangels an Urteilskraft“. So geht es fort. Es scheint, als steigere Flaig sich selbst in den „Furor“, in die „Hysterie“, in die „Paranoia“ hinein, die er den verhassten „Gutmenschen“ bescheinigt.
Seine Sprache vom „politischen Delirium“, vom „ausgeschalteten Intellekt“, von „moralbewaffneten Überfällen“, von „Gesinnungsjustiz“ oder „amoklaufender Justiz“, vom Niedergang der Medien zum „Lumpenjournalismus“, von „öffentlichen Schauprozessen gegen Andersdenkende“, all das ist frei von Urteilsdisziplin und realitätsgerechter Besinnung. Offenbart die Maßlosigkeit der Urteile tiefsitzenden Zorn? Mag sein, jedenfalls schadet sie der philosophischen Ambition.
Dabei könnte Flaigs Versuch, eine Theorie der politischen Vernunft aufzustellen, durchaus das Zeug haben, konservativer politischer Rationalität und Programmatik ein Fundament zu liefern, das erheblich ernster zu nehmen (und damit auch erheblich gehaltvoller zu kritisieren) wäre als das, was die Götz Kubitscheks oder Marc Jongens dieser Welt raunen.
Dafür allerdings müsste Flaig den Anspruch, seine Theorie in Rückbesinnung auf die griechische Polisdemokratie zu entfalten, beim Wort nehmen und von dort, wie behauptet, eine Linie zur praktischen Philosophie Kants, mit der das Buch einsetzt, ziehen, um dann über die Stationen eines Carl Schmitt oder eines Alain des Benoist bis heute vorzustoßen. Das sind bei Flaig wichtige Referenzen, aber ohne systematisierten Zusammenhang.
Interessant wäre die Ausarbeitung schon deshalb, weil Flaig von Kant nicht nur den menschenrechtlichen Universalismus und das Gebot republikanischer Selbstherrschaft übernimmt, sondern auch die geschichtsphilosophische Vision eines Weltbürgertums. Das will heute etwas heißen, wenn ein Denker sehr konservativer Observanz beflügelt ist von einem „Universalismus, der es sich zum expliziten Ziel setzt, die gesamte Menschheit auf die Wanderung zu bringen – hin zu einem weltbürgerlichen Zustand, unter der Fahne der politischen Freiheit. Das geistige Vermögen, diese Wanderschaft zu ersinnen und ihre Implikationen zu durchdenken, soll ‚Politische Vernunft‘ heißen.“
Lässt sich mit Kants Freiheitsbegriff nicht der politische Liberalismus begründen? Also der Liberalismus, den Flaig hinterher so heftig befehdet? Und teilt er die Utopie eines Weltbürgertums nicht sogar mit Habermas – seinem roten Tuch? Verwirrend ist das in der Tat. Umso wichtiger wäre es, bei der Ausarbeitung des Flaig’schen Vernunftbegriffs diejenigen Theoriepunkte präzise markieren zu können, an denen sich schließlich die Geister so fundamental scheiden.
An welcher Stelle werden die Weichen gestellt? An welcher Stelle tritt die Rückbindung an die Geschichte in den Vordergrund, wird kulturelle Homogenität bedeutsam, erhält das politische Regime den Vorrang vor der privaten Handlungsfreiheit, wird Verfassungspatriotismus als zu schwach empfunden für den Solidaritätszusammenhang innerhalb eines Staates? Und an welcher Stelle wird „Feindschaft“ konstitutiv für die Selbstwahrnehmung einer politisch freien Nation? Oder die soldatische Opferbereitschaft ihrer Bürger?
Interessant wäre die Ausarbeitung aber auch deshalb, weil Flaig sich mit den kantianischen Prämissen prinzipiell von den Rechtsextremen absetzt. Menschenrechtlicher Universalismus verträgt sich weder mit ethnischem Nationalismus noch mit dem Ethnopluralismus der identitären Bewegungen noch mit Autokratie. Nicht, dass es Flaig an Sympathien für Anliegen der rechten Aktivisten mangeln würde, allein seine Xenophobie und Islamophobie kommen ihnen entgegen. Trotzdem wäre es ein grober Fehler, ihn mit diesem Lager zu identifizieren. Ins Grübeln bringt einen allerdings die Frage, ob die Wut, die aus seinen heftigen Attacken spricht, dieselbe ist, die so viele Rechtsextreme umtreibt.
Egon Flaig: Die Niederlage der politischen Vernunft. Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen. Zu Klampen Verlag, Springe 2017. 416 Seiten, 24,80 Euro.
Fotos aus dem besprochenen Band
Lässt sich mit Kants Begriff von
Freiheit nicht der Liberalismus
begründen, den Flaig befehdet?
Ist die Wut, die aus den Attacken
spricht, dieselbe, die so
viele Rechtsextreme umtreibt?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.05.2017

Ein Ruheständler fordert Opferbereitschaft

Paranoia als politische Tugend: Egon Flaig will die Aufklärung retten und dreht zu diesem Zweck die Gebetsmühle der Gegenaufklärung. Was am Ende dabei herauskommt, ist mehr als abgeschmackt.

Als der Althistoriker Egon Flaig sich noch der Wissenschaft hingab, hat er die Idee von Platons "Politeia", aus vermeintlicher Weisheit Befehle abzuleiten, als "Ende der Politik" kritisiert. Nun aber meint er, "evidente Wahrheiten" erkennen und aus ihnen eine Fundamentalkritik der politischen Gegenwart ableiten zu können. Das Motiv dazu ist die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel, die Flaig als "neochristliche Propaganda des Verzichts auf Selbstbehauptung", "öffentlich widerrufenen Amtseid" und "Staatsstreich" geißelt.

Um der seiner Schrift den Titel gebenden "Niederlage der politischen Vernunft" abzuhelfen, veranstaltet er ein weitschweifiges Tribunal gegen Foucault, Systemtheorie, Frankfurter Schule, Multikulturalismus, Ethnologie und Postkolonialismus. Aber immer, wenn Flaig seine argumentativen Schwächen spürt, flüchtet er sich in Polemik nach dem Muster, Lévi-Strauss "Schwachsinnslogik" zu bescheinigen, oder vernebelt mit pseudo-tiefsinnigem Jargon wie dem "Eschatolithikum gähnender Immerselbigkeit". Frantz Fanon soll ein Rassist wie Hitler gewesen sein, verantwortlich für den islamischen Fundamentalismus, den Staatszerfall in afrikanischen Staaten und die "arabischen Vergewaltiger", die Flaig durch ihren "kulturellen und religiösen Hintergrund" motiviert sieht.

Angesichts solch kruder Thesen verwundert kaum, dass der Sozialphilosoph Charles Taylor in eine Reihe mit dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg gestellt wird, weil er kulturellen Minderheiten Sonderrechte zugestanden sehen möchte, um erlittenes Unrecht auszugleichen. Es ist ein intellektueller Offenbarungseid, dass Flaig solche humanitären Wiedergutmachungsversuche mit mörderisch-expansiver Lebensraumideologie gleichsetzt.

Zur Kritik an vermeintlichen Fehlentwicklungen amalgamiert der Autor eine klischeehafte Dekadenzkritik aus Arnold Gehlens Warnung vor überfordernder "Hypermoral", Ferdinand Tönnies' Hochschätzung einer zum Ertragen von Verlusten fähigen Gemeinschaft und Carl Schmitts antiliberalen Stereotypen, die Flaig vollständig übernimmt, von der Feindschaft als politischer Tatsache bis zur erforderlichen Opferbereitschaft.

In Anlehnung an Werner Sombarts Stilisierung opferbereiter Helden gegenüber materialistischen Händlern wird gepriesen, dass "die Todesbereiten" ein spezifisches Gut anböten, welches "auf dem Markt sonst nicht zu haben" sei. Das sei erforderlich, weil die politische Freiheit sich "im Krieg mit dem theokratischen Feind" befinde und sich "zuvorderst eines inneren Feindes erwehren" müsse, "nämlich der Vereinseitigung der individuellen Freiheit", welche Flaig dem alle anderen Güter überragenden "Ziel der Perfektionierung des Menschen" untergeordnet sehen möchte.

Das ist nicht nur eine totalitäre Phantasie, sondern sie ist auch unpolitisch, insofern das historische Ziel erfunden wird, es bedürfe einer Weltrepublik mit Volksentscheiden. Politik wird also nicht als ergebnisoffen, sondern als vorherbestimmt gedacht, denn für Flaig ist "die Furcht vor dem Fremden niemals unbegründet". Mit diesem Ausgang in die selbstverschuldete Unmündigkeit kann er Paranoia als politische Tugend ausgeben und die Irrationalität, dass Islamfeindlichkeit vor allem in Gebieten mit wenig Muslimen auftritt, als Ausdruck einer berechtigten Sorge informierter Zeitgenossen beschönigen.

Den Volkswillen will Flaig aber nur dann gelten lassen, wenn er ihm passt, und das gilt nicht für die Abneigung der postheroischen Gesellschaft gegenüber Opfern. Dies als pathologische Geschichtsvergessenheit zu kritisieren ist umso abwegiger, als es nur Flaigs Gnade der späten Geburt ist, die ihn zum Bellizisten macht, während die kriegserfahrene Generation noch um den Sinn der bundesrepublikanischen Friedenssehnsucht wusste. Dass der Pensionär Flaig erneute Opferbereitschaft fordert, ihren Vollzug aber einer jungen Generation abverlangen muss, ist abgeschmackt.

Zur Verschleierung seiner ideologischen Glaubensbekenntnisse dient Flaig das klassische Muster der Verschwörungstheorie gegen alle Andersdenkenden in Politik, Wirtschaft, Recht, Medien, Wissenschaft und Religion. So denunziert er die seriöse Forschung zur intergenerationellen Weitergabe von Traumata als abwegig, "die kirchlichen Funktionäre" als Lügner, die Jurisprudenz als "Gegner der Demokratie", die "multinationalen Milliardäre" des "globalen Neoliberalismus" als Verbündete der "Schlepper und Schleuser der Migrationsströme" und die Massenmedien als "Pflichtlügen" verbreitenden "Widersacher der Meinungsfreiheit".

So entspricht seine Kritik an mangelnder politischer Kontrollierbarkeit der Medien und an Verfassungsgerichten als "Nomokratie neuen Typs" dem russischen, polnischen, ungarischen und türkischen Neoautoritarismus. Und wenn er über "die Kosten jener Attentate in Frankreich und Belgien" klagt, "an denen Angela Merkels unkontrollierte Gäste mitwirkten", hat sich Flaig mit dieser durch keinerlei Fakten über Herkunft und Motivation der Terroristen gedeckten doppelten Verleumdung der Flüchtlinge und der Bundeskanzlerin der rechtsradikalen Propaganda angeschlossen.

Zwar hat die Bundesrepublik schon viele irrlichternde Intellektuelle ausgehalten; ein unaufrichtiger Täuschungsversuch ist es aber, dass Flaig für seine Weltanschauung einen wissenschaftlichen Wahrheitsanspruch erhebt, obwohl er mit seinem Satz, "der hysterische Dauerton" erzeuge "die komplementäre Paranoia", nichts besser beschreibt als sein eigenes Vorgehen. Frei nach Adorno muss man daher sagen: Die vermeintliche Niederlage der politischen Vernunft ist diejenige von Flaigs eigener. Denn wer die Aufklärung retten möchte, darf keine Gegenaufklärung betreiben.

KARSTEN FISCHER

Egon Flaig: "Die Niederlage der politischen Vernunft". Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen.

Zu Klampen Verlag, Springe 2017.

416 S., geb., 24,80 [Euro].

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»...höchst notwendige Verteidigung der Errungenschaften der Aufklärung.« Rolf Löchel in: literaturkritik.de, 7. Juni 2017