Das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu, als der politisch in Ungnade gefallene Machmud Abdel Sahir von Kairo in die abgelegene und gefährliche Oase Siwa nahe der libyschen Grenze versetzt wird. Er weiß, dass zwei seiner Vorgänger ermordet wurden. Aber weiß er auch wirklich, was ihn erwartet? Siwa ist eine eigene Welt mit ureigenen Gesetzen. Auf Schritt und Tritt erwacht die Geschichte: das Orakel von Alexander dem Großen, das Bad der Kleopatra, der hartnäckige Widerstand der berberischen Einwohner gegen alle Eindringlinge. In Siwa gerät Machmud zwischen die Fronten der sich untereinander bekriegenden Einwohner. Als die Kluft zwischen Besetzer und Besetzten, Frau und Mann, Traum und Realität immer weiter wird, erreichen die Spannungen ihren Höhepunkt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Angetan zeigt sich Kersten Knipp von Baha Tahers Roman "Die Oase" über die Konflikte zwischen Ägyptern und Beduinen Ende des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum sieht er den ägyptischen Major Machmud Abdel Sahir, der von den Briten von Kairo in die abgelegene Wüstenstadt Siwa versetzt wird, um dort Steuern von den Beduinen einzutreiben. Wie Taher den Zusammenprall des modernen Ägypters mit der alten Welt darstellt, findet Knipp rundum überzeugend. Er liest dies als einen frühen "Clash of civilisations" und bescheinigt Taher, die Dynamik dieses Zusammenpralls, der letztlich in Gewalt mündet, detailliert aufzuzeigen, indem er die Sicht beider Gruppen schildert. Interessant scheint ihm dabei auch die Rolle von Sahirs irischer Frau, die durch ihre freimütige Art die Situation verschärft. Mit Lob bedenkt der Rezensent die "feine Sprache" des Autors sowie die ausgezeichnete Übersetzung des Romans. Sein Fazit: ein beeindruckendes Werk über die "geografischen und psychologischen Randseiten" des britischen Kolonialismus in Ägypten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2012Wollt ihr denn gar nicht modern sein?
Baha Taher erzählt vom Kampf zwischen den Ägyptern und den Beduinen, die einst am äußersten Zipfel des Reiches ein autarkes Leben führten
Opportunismus hilft bisweilen, sich Probleme mit Vorgesetzten vom Leib zu halten. Das Problem ist, dass seine Folgen nicht vollends berechenbar sind. Feigheit kann aber trotz bester Absichten gelegentlich auch zu unerwünschten Resultaten führen. Machmud Abdel Sahir muss das erfahren, seines Zeichens ägyptischer Major in Diensten der britischen Kolonialmacht, die das Land seit 1882 im Griff hält. Ebendas hatte Ahmad Urabi Pascha verhindern wollen, der ägyptische Offizier, der Ägypten von der Fremdherrschaft und der durch den Bau des Suezkanals entstandenen ungeheuren Schuldenlast befreien wollte. Machmud sympathisiert zwar mit Urabi Pascha, tritt aber nicht offen für ihn ein. Dennoch macht seine Gesinnung ihn verdächtig, um ihn zu bestrafen und gleichzeitig loszuwerden, schicken die Briten ihn in die Oase Siwa im Westen des Landes, nahe der Grenze zu Libyen. Seine Aufgabe dort: ausstehende Steuerschulden der Bewohner einzuholen. Seine beiden Vorgänger hat diese Aufgabe das Leben gekostet. Sie wurden von den Steuerrebellen ermordet.
In seinem Roman "Die Oase" schildert der 1935 geborene Baha Taher das Leben und die politischen Verhältnisse in einem ebenso entlegenen wie traditionsreichen Flecken am äußersten Zipfel des Landes. Tage brauchen die Karawanen, um von Kairo in das Wüstenstädtchen vorzudringen, das in jener Zeit vor allem von Beduinen bewohnt wird, die zwischen Briten und Ägyptern keinen großen Unterschied machen - für sie sind beide Invasoren, und gegen beide versuchen sie sich zu wehren. In feiner Sprache schildert Baher das schwierige Verhältnis zwischen den von Machmud geführten Ägyptern und den Beduinen. Machmud stellen sich diese als fremde, feindliche und schwer durchschaubare Masse dar, die vor allem darauf bedacht ist, die Eindringlinge abzuwehren, politisch ebenso wie kulturell. Der in spätmodernen Zeiten aufgekommene "clash of civilizations" probt hier ein erstes Vorspiel. Doch ist es Tahers Kunst, die Logik des Zusammenpralls in ihre kleinsten Bestandteile zu zerlegen, detailliert die Dynamik einer von Anfang an verunglückten Kommunikation aufzuzeigen, die schließlich in Gewalt mündet.
Tahers Kniff, die zunehmende Entfremdung aufzuzeigen, ist so simpel wie effektiv: Er erzählt das Geschehen aus der Sicht beider Gruppen, der Ägypter und Briten einerseits und der Beduinen andererseits. Die Logik der einen erscheint den jeweils anderen als bizarrer Unsinn. Warum attackiert die Zentralmacht in Kairo ein Gemeinwesen, das seit undenklichen Zeiten nahezu autark, jedenfalls unabhängig von allen übergreifenden politischen Gebilden, existierte? Und umgekehrt: Warum weigern sich die Beduinen partout, sich der Moderne zu öffnen, eine Welt zu betreten, die doch unaufhaltsam ist? Verbindendes Drittes der beiden Gruppen ist das Orakel der Oase, das zu den bedeutendsten Wahrsagestätten der Antike zählte. Erwähnt bereits von Herodot, bildete sich hier der Kult um den Fruchtbarkeitsgott Amun. Während die Beduinen ein magisch geprägtes Verhältnis zu den Überresten des Orakels pflegen, kultivieren die Ägypter und Briten dort den ruhelosen Erkenntnisdrang einer stark romantisch unterlegten Aufklärung.
Deren sichtbarste Vertreterin ist in dem Roman Catherine, Machmuds irische Ehefrau, die in der Orakelstätte das Andere des Westens sieht - eines Westens, den sie, deren Heimatland ja ebenfalls von den Engländern okkupiert wurde, durchaus auch als mächtige Besatzungsmaschinerie sieht. Ihr Interesse wird durch den Umstand gesteigert, dass auf seinen Feldzügen auch Alexander der Goße die Oase besucht hat und dort, so jedenfalls wollen es die antiken und später dann einige westliche Wissenschaftsmythen, auch bestattet worden sein soll. Catherine begibt sich auf die Suche nach diesem Grab und erregt in ihrer freimütigen Art bei den Beduinen einige Irritation. Und doch: Die eigentliche Katastrophe, die Sprengung des Tempels von Umm Ubeida, die Machmud Asmi, der damalige Gouverneur der Oase, 1897 befahl, geht zurück auf die Willkür der ägyptischen Kolonialbeamten. Asmi, so die geläufige Variante der Geschichte, benötigte Baumaterial für neue Häuser, das er den Trümmern des Tempels entnahm. Es könnte aber auch sein - und dies ist die vorsichtig vorgetragene These Baha Tahers -, dass die Sprengung ganz andere Gründe hatte. Tahers Protagonist Machmud Abdel Sahir durchläuft in der entlegene Oase eine gleich mehrfache Entfremdung: zu seiner Frau, zu den Briten, zu manchen Unterstützern der Urabi-Revolution. Könnte dies eine Rolle bei der Sprengung des Tempels gespielt haben? Der aus heutiger Sicht barbarische Akt schien bislang kolonialem Hochmut geschuldet. Nicht ausgeschlossen aber auch, dass er den bizarren Launen eines an der Welt verzweifelnden ägyptischen Beamten entsprang. Wie auch immer, Taher hat einen von Regina Karachouli exzellent übersetzten Roman über die geographischen und psychologischen Randseiten des britischen Kolonialismus geschrieben.
KERSTEN KNIPP
Baha Taher: "Die Oase". Roman.
Aus dem Arabischen von Regina Karachouli. Unionsverlag, Zürich 2011. 332 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Baha Taher erzählt vom Kampf zwischen den Ägyptern und den Beduinen, die einst am äußersten Zipfel des Reiches ein autarkes Leben führten
Opportunismus hilft bisweilen, sich Probleme mit Vorgesetzten vom Leib zu halten. Das Problem ist, dass seine Folgen nicht vollends berechenbar sind. Feigheit kann aber trotz bester Absichten gelegentlich auch zu unerwünschten Resultaten führen. Machmud Abdel Sahir muss das erfahren, seines Zeichens ägyptischer Major in Diensten der britischen Kolonialmacht, die das Land seit 1882 im Griff hält. Ebendas hatte Ahmad Urabi Pascha verhindern wollen, der ägyptische Offizier, der Ägypten von der Fremdherrschaft und der durch den Bau des Suezkanals entstandenen ungeheuren Schuldenlast befreien wollte. Machmud sympathisiert zwar mit Urabi Pascha, tritt aber nicht offen für ihn ein. Dennoch macht seine Gesinnung ihn verdächtig, um ihn zu bestrafen und gleichzeitig loszuwerden, schicken die Briten ihn in die Oase Siwa im Westen des Landes, nahe der Grenze zu Libyen. Seine Aufgabe dort: ausstehende Steuerschulden der Bewohner einzuholen. Seine beiden Vorgänger hat diese Aufgabe das Leben gekostet. Sie wurden von den Steuerrebellen ermordet.
In seinem Roman "Die Oase" schildert der 1935 geborene Baha Taher das Leben und die politischen Verhältnisse in einem ebenso entlegenen wie traditionsreichen Flecken am äußersten Zipfel des Landes. Tage brauchen die Karawanen, um von Kairo in das Wüstenstädtchen vorzudringen, das in jener Zeit vor allem von Beduinen bewohnt wird, die zwischen Briten und Ägyptern keinen großen Unterschied machen - für sie sind beide Invasoren, und gegen beide versuchen sie sich zu wehren. In feiner Sprache schildert Baher das schwierige Verhältnis zwischen den von Machmud geführten Ägyptern und den Beduinen. Machmud stellen sich diese als fremde, feindliche und schwer durchschaubare Masse dar, die vor allem darauf bedacht ist, die Eindringlinge abzuwehren, politisch ebenso wie kulturell. Der in spätmodernen Zeiten aufgekommene "clash of civilizations" probt hier ein erstes Vorspiel. Doch ist es Tahers Kunst, die Logik des Zusammenpralls in ihre kleinsten Bestandteile zu zerlegen, detailliert die Dynamik einer von Anfang an verunglückten Kommunikation aufzuzeigen, die schließlich in Gewalt mündet.
Tahers Kniff, die zunehmende Entfremdung aufzuzeigen, ist so simpel wie effektiv: Er erzählt das Geschehen aus der Sicht beider Gruppen, der Ägypter und Briten einerseits und der Beduinen andererseits. Die Logik der einen erscheint den jeweils anderen als bizarrer Unsinn. Warum attackiert die Zentralmacht in Kairo ein Gemeinwesen, das seit undenklichen Zeiten nahezu autark, jedenfalls unabhängig von allen übergreifenden politischen Gebilden, existierte? Und umgekehrt: Warum weigern sich die Beduinen partout, sich der Moderne zu öffnen, eine Welt zu betreten, die doch unaufhaltsam ist? Verbindendes Drittes der beiden Gruppen ist das Orakel der Oase, das zu den bedeutendsten Wahrsagestätten der Antike zählte. Erwähnt bereits von Herodot, bildete sich hier der Kult um den Fruchtbarkeitsgott Amun. Während die Beduinen ein magisch geprägtes Verhältnis zu den Überresten des Orakels pflegen, kultivieren die Ägypter und Briten dort den ruhelosen Erkenntnisdrang einer stark romantisch unterlegten Aufklärung.
Deren sichtbarste Vertreterin ist in dem Roman Catherine, Machmuds irische Ehefrau, die in der Orakelstätte das Andere des Westens sieht - eines Westens, den sie, deren Heimatland ja ebenfalls von den Engländern okkupiert wurde, durchaus auch als mächtige Besatzungsmaschinerie sieht. Ihr Interesse wird durch den Umstand gesteigert, dass auf seinen Feldzügen auch Alexander der Goße die Oase besucht hat und dort, so jedenfalls wollen es die antiken und später dann einige westliche Wissenschaftsmythen, auch bestattet worden sein soll. Catherine begibt sich auf die Suche nach diesem Grab und erregt in ihrer freimütigen Art bei den Beduinen einige Irritation. Und doch: Die eigentliche Katastrophe, die Sprengung des Tempels von Umm Ubeida, die Machmud Asmi, der damalige Gouverneur der Oase, 1897 befahl, geht zurück auf die Willkür der ägyptischen Kolonialbeamten. Asmi, so die geläufige Variante der Geschichte, benötigte Baumaterial für neue Häuser, das er den Trümmern des Tempels entnahm. Es könnte aber auch sein - und dies ist die vorsichtig vorgetragene These Baha Tahers -, dass die Sprengung ganz andere Gründe hatte. Tahers Protagonist Machmud Abdel Sahir durchläuft in der entlegene Oase eine gleich mehrfache Entfremdung: zu seiner Frau, zu den Briten, zu manchen Unterstützern der Urabi-Revolution. Könnte dies eine Rolle bei der Sprengung des Tempels gespielt haben? Der aus heutiger Sicht barbarische Akt schien bislang kolonialem Hochmut geschuldet. Nicht ausgeschlossen aber auch, dass er den bizarren Launen eines an der Welt verzweifelnden ägyptischen Beamten entsprang. Wie auch immer, Taher hat einen von Regina Karachouli exzellent übersetzten Roman über die geographischen und psychologischen Randseiten des britischen Kolonialismus geschrieben.
KERSTEN KNIPP
Baha Taher: "Die Oase". Roman.
Aus dem Arabischen von Regina Karachouli. Unionsverlag, Zürich 2011. 332 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»In seinem Roman schildert Baha Taher das Leben und die politischen Verhältnisse in einem ebenso entlegenen wie traditionsreichen Flecken am äußersten Zipfel des Landes. Tage brauchen die Karawanen, um von Kairo in das Wüstenstädtchen vorzudringen das in jener Zeit vor allem von Beduinen bewohnt wird, die zwischen Briten und Ägyptern keinen großen Unterschied machen - für sie sind beide Invasoren, und gegen beide versuchen sie sich zu wehren. Taher hat einen von Regina Karachouli exzellent übersetzten Roman über die geographischen und psychologischen Randseiten des britischen Kolonialismus geschrieben.« Kersten Knipp Frankfurter Allgemeine Zeitung