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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ein Buch über die Klimabilanz von Lebensmitteln
Kaum geboren, beginnen wir die Welt zu erschmecken. Essen und Trinken versorgen uns dabei nicht nur mit Energie. Sie sind auch Lusterfahrungen und immer häufiger Gewissensentscheidungen. Umweltsensible Menschen fragen sich zunehmend, was sie überhaupt noch auf ihrem Speisezettel haben dürfen, wenn schon eine einzige Portion Spaghetti Bolognese 1,5 Kilogramm CO2 verursacht - so viel wie 30 Minuten Online-Streaming. Zwingen die Folgen von Tierwirtschaft, Ferntransporten und industrieller Lebensmittelverarbeitung bereits heute zum Umstieg auf Fleisch- und Milch-Alternativen aus dem Labor? Das Taschenbuch "Die Ökobilanz auf dem Teller" sucht ohne Schwarzweißmalerei und missionarische Töne eine Antwort. Der Ernährungswissenschaftler Malte Rubach gewichtet detailliert unser gängiges Nahrungsmittelangebot und dessen Auswirkungen auf das Klima. Er wartet dabei mit einer Fülle von Informationen und Zahlen auf und ergänzt seine Analyse mit Hinweisen, wie sich Klimakiller-Eigenschaften beliebter Lebensmittel pragmatisch mit geringerem Energie- und Wasseraufwand im Alltag ausgleichen lassen. Denn Rubach ist sich der Vielfalt ökologischer Probleme bewusst und weiß: "Ernährung macht weniger als ein Drittel der Treibhausgase in unserem persönlichen Konsum aus."
Dass die Menschheit nicht mehr auf den Status vor der industriellen Revolution zurückkann und will, steht auch für Malte Rubach außer Frage. Unter der Überschrift "Wie wir lebten" handelt er eingangs den historischen Einfluss des Menschen auf Klima und Natur ab. Sein eigentliches Interesse gilt der aktuellen Art "Wie wir leben" im Mittelteil, der sich vor allem mit unserem Verzehr von Wasser, Tieren und Pflanzen beschäftigt. Im Kapitel "Wie wir leben werden" folgt ein Blick auf die Zukunft, nicht zuletzt auf Fleisch- und Milch-Alternativen. Am Schluss steht in zwei Seiten die Kernbotschaft, wie man über das eigene Essen das Klima schützen kann.
Für Ökoromantik hat der Verfasser wenig übrig. Kein Lebensmittel schone von sich aus Ressourcen oder das Klima, sagt er offen. Und dass alle Weiterverarbeitung immer nur auf Kosten des Klimas geschehen könne. Nahrungsmittel nämlich müsse man sich vorstellen "wie eine Batterie, die sich immer wieder auflädt, je weiter sie vom Landwirt bis zum Verbraucher wandert, maximal belastet mit Treibhausgasen, Wasser, Land und Energie, sprich Umwelt." Nicht nur Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, die mit ihrer Ökobilanz relativ gut wegkommen, sondern praktisch alle Nahrungsmittel bis hin zu Gewürzen und exotischem Körnerfutter seien mit Kosten für das Klima verbunden, betont Rubach. Unsere hochtechnisierte Überflussgesellschaft mit wachsendem Ressourcenverbrauch benötige deshalb dringend maßvollen Konsum und ökologische Standards. Der Autor führt konkret vor Augen, was speziell die breit diskutierte Tierwirtschaft für die Ökobilanz unseres Essens ausmacht. Tierische Lebensmittel scheinen demnach nicht automatisch schlechter als pflanzliche. Von der These, nur eine vegane oder fast vegane Ernährung könne die Welt retten, hält Rubach wenig, obwohl auch er als Ernährungswissenschaftler prinzipiell für mindestens einen halben Teller voll Gemüse zu jeder Mahlzeit votiert. Starre Ernährungsregeln will er aber keinesfalls aufstellen: "Ich bin weder für noch gegen die eine oder andere Ernährungsweise ... Es gibt keine One-in-all-Lösung", sagt er. Ihm sei wichtiger, was sich an Wasserfußabdruck und Treibhausgasverbrauch bei Lebensmitteln einsparen oder kompensieren lasse, ohne dass man den Spaß am Essen verliert. Man könne das ganz praktisch angehen, meint er, und empfiehlt: "Sie haben ein Rindersteak gegessen? Dann verzichten Sie im Gegenzug einfach auf 40 Kilometer Autofahrt!"
Rubachs Buch durchziehen ansonsten Hinweise auf Produkte, die wir in Deutschland noch immer mit gutem Gewissen essen können, "auch dank ökologischer Erfolge vor Ort". Auf den letzten Seiten wird in Kurzfassung ausgeführt, wie man sich ökologisch verantwortungsbewusst ernährt. Ein absoluter Verzicht auf tierische Lebensmittel gehört nicht dazu. "So einfach, wie sie klingt, so falsch ist diese Antwort", sagt Rubach. "Jeder Mensch auf der Welt darf Milch trinken und Fleisch, Eier und Fisch essen. Vor allem wer in Deutschland auf regionale und saisonale Produkte setzt, kann effektiv dabei helfen, das Klima hier und anderswo zu schützen - ohne den Komplettverzicht auf tierische Lebensmittel." Den Fleischgenuss zu halbieren sei zwar empfehlenswert, aber letztlich wichtiger für den ökologischen Fussabdruck von Lebensmitteln insgesamt, das Bewusstsein für die Art, zu konsumieren, zu schärfen und gewohnte Alltagshandlungen zu überdenken. "Schon etwas weniger Online-Streaming, Autofahren oder Stromverbrauch schont das Klima und schafft gleichzeitig Freiräume für eine gesunde und ausgewogene Ernährung."
Fleisch aus der Retorte sieht Rubach allerdings kritisch: "Jeder Verarbeitungsschritt in Richtung Fleischersatz ist ein Schritt weg von einer nachhaltigen Ernährung." Doch ihn erstaunt nicht, dass Lebensmittelkonzerne Ersatzprodukte entwickeln, die wie Fleisch, Milch, Käse oder Ei aussehen und mit einem "Vegan-Label" moralisch einwandfreien Verzehr bieten. "Menschen sind nach wie vor Genusstiere", kommentiert er und rät zu maßvoller Gaumenfreude: "Mehr selbst kochen, mehr genießen, dafür weniger essen."
ULLA FÖLSING
Malte Rubach: "Die Ökobilanz auf dem Teller. Wie wir mit unserem Essen das Klima schützen können", S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2020, 260 Seiten, 18 Euro.
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